Autorin
Sabine Ibing
Bettina Wüst wurde 1965 in Karlsruhe geboren. Sie wuchs in
Deutschland, den USA, Frankreich und der Schweiz auf. Nach
Abitur und Abschluss einer Business School arbeitete sie im
diplomatischen Dienst, in der Kommunikations- und
Finanzbranche in der Schweiz und Frankreich. 2011 sattelte sie
beruflich um und absolvierte eine Ausbildung als diplomierter
Business & Life Coach. Sie ist vom Deutschen Bundesverband
Coaching e.V. anerkannt und Mitglied der
Deutschschweizerischen Gesellschaft für Transaktionsanalyse.
Bettina Wüst lebt heute in der Schweiz.
Sie arbeitet im weiteren Feld als Autorencoach und gibt
regelmäßig Workshops für Autoren hinsichtlich Figuren- und
Storypsychologie sowie Kreativitätstechniken. In diesem Bereich
hat sie eine eigene Methode erarbeitet, das Thea Script, das
Psychologie und Dramaturgie-Werkzeuge miteinanderverknüpft.
Es basiert auf der Grundlage des amerikanischen Psychiaters
Dr. Eric Berne, der die Transaktionsanalyse entwickelte.
S. I.: Bettina, du arbeitest als Autorencoach. Wie bist du auf die
Idee gekommen, Schriftstellern zu helfen, ihr Manuskript zu
schärfen? Hast du selbst Seminare zum Creative Writing oder
zur Dramaturgie besucht?
B. W.: Ja, ich habe einige Seminare zum Thema Dramaturgie &
Drehbuch besucht und kilometerweise Fachliteratur über alle
Themen rund um diesen Bereich gesammelt. Zudem schreibe ich
selbst, kenne die 7 Plagen eines jeden Autors also sehr gut.
Hauptberuflich liegen meine Coaching-Schwerpunkte im Bereich
Business & Life Coaching. Das Autorencoaching Thea Script ist
ein Zufallsprodukt, ich hatte niemals geplant, als Autorencoach
zu arbeiten. In meinem Freundeskreis tummeln sich jedoch viele
Autoren und naturgemäß unterhalten wir uns oft über unsere
Projekte. Im Laufe der Zeit habe ich ziemlich begeistert
festgestellt, wie gut sich die Transaktionsanalyse eignet, um den
Figuren Tiefe und Profil zu geben und welch clevere Fragen die
TA an Figur und Autor stellt. Das musste ich einfach weitergeben.
Ich habe also alles, was ich über Psychologie, Dramaturgie und
Kreativität weiß zu einem Paket geschnürt und biete dieses nun
unter dem Namen Thea Script an.
S. I.: Du arbeitest mit dem Storykompass. Magst du uns das kurz
erklären?
B. W.: Der Storykompass ist das Grundgerüst einer Geschichte.
Das äußere Ziel, das Want, zu bestimmen, ist für die wenigsten
Autoren ein Problem. Schwieriger wird es mit inneren Bedürfnis,
dem Need und dem Defizit, dieses brauchen wir aber, um das
Innenleben der Figur aufzufächern, die backstory der Figur und
stimmige Wendepunkte zu erarbeiten. Eine Story, die Leser
emotional berühren soll, darf sich nicht auf die äußere Handlung
konzentrieren, sondern auf das, was unter der Oberfläche und
hinter diesen Handlungen liegt. Eine Geschichte handelt ja nur
äußerlich von den Ereignissen, die den Figuren widerfahren. Im
Kern geht es aber um die inneren Konflikte und Widersprüche
der Figur und wie sie diese Knackpunkte im Verlaufe der
Geschichte über die Ereignisse löst. Die Ereignisse, die Handlung,
also der Plot sind trigger für die Entwicklung. Auch das Thema ist
oft viel komplexer als der Autor zu Beginn der Zusammenarbeit
ahnt. Wie wichtig es ist, das wahre Thema zu finden, dieses
genau zu erforschen, kann ich gar nicht oft genug betonen. Das
Thema wird im Roman selten explizit erwähnt, wird jedoch durch
die Handlungen der Figuren, aller Figuren, sichtbar. Das Thema
hält den Roman im Innersten zusammen, es gibt dem Plot eine
Bedeutung und den Handlungen der Figuren einen Sinn.
S. I.: Du hast eine Ausbildung zur diplomierten Business & Life
Coach abgeschlossen. Als Basis diente unter anderem die
Transaktionsanalyse (nach Eric Berne), ein Werkzeug der
Psychotherapie, mit dem man das eigene Handeln und die
Reaktion anderer erkennt, um Psychospielchen zu vermeiden,
nicht immer in Verhaltensmuster zurückzufallen. Genau diese
Spielchen sind für Schriftsteller interessant, um Dialoge zu
bilden. Erzähle uns etwas dazu.
B. W.: Auch Dialoge dienen dazu, eine Figur zu
charakterisieren. Es ist spannend, mit Subtext und der Dynamik
zwischen den Figuren zu arbeiten. Dabei können die Konzepte
des Drama-Dreiecks und der psychologischen Spiele helfen. Das
Drama-Dreieck wird vom Egogramm und den Imperativen der
Figur abgeleitet und zeigt Beziehungs- und Rollenmuster
zwischen den Beteiligten auf. Kann oder will eine Figur nicht
offen kommunizieren, sprich sagen, was sie wirklich denkt und
fühlt, greift sie zu einem Notprogramm, den psychologischen
Spielen, welche unbewusst oder bewusst, also manipulativ,
eingesetzt werden. Mittels dieser Spiele kann ein Autor die
verborgenen Motive einer Figur offen legen, ohne diese explizit
zu beschreiben, und er kann ihren Tiefencharakter zeigen. Er
lädt den Leser auf diese Weise ein, seine eigenen Schlüsse zu
ziehen und mitzurätseln. Show don’t tell eben .
S. I.: Was genau ist ein Egogramm, Bettina? Magst du uns das
erklären?
B. W.: Ein Egogramm bildet das Verhaltensmuster einer Figur
ab. Es zeigt auf, ob und in welchem Maß sie durchsetzungsstark
oder stark angepasst ist, ob sie fürsorglich oder egoistisch ist,
ob sie sich Regeln und Normen anpasst, ob sie auf Streit
gebürstet oder harmoniebewusst ist und wie es um ihre
Begeisterungsfähigkeit, Spontanität, Kreativität und Sexualität
bestellt ist. Vom Egogramm lässt sich auch ablesen, wie sich
eine Figur in Konfliktsituationen verhält, ein sehr wertvolles
Hilfsmittel für Autoren und deren Figuren. Im regulären
Coaching erstelle ich dieses Egogramm durch Zuhören,
beobachten und gezieltes Nachhaken. Im Autorencoaching
erarbeiten wir es anhand von Textaufgaben, die ich spezifisch
für jede Story ausarbeite.
S. I.: Körpersprache ist eine wichtige Angelegenheit in der
Figurenbildung. Warum?
B. W.: Auch die Körpersprache dient der Charakterisierung. Mit
Körpersprache kann man Gefühle ausdrücken, die Dynamik
zwischen Figuren verdeutlichen. Körpersprache kann
sozusagen als Bild eingesetzt werden, das der Leser auch ohne
Erklärungen erfassen kann. Es kann sehr viel effektiver sein,
die Gemütslage einer Figur über den Körper zu zeigen als über
einen Dialog oder einen Kommentar des Erzählers. Somit lässt
der Autor dem Leser einen Freiraum, regt ihn zum Denken und
Fühlen an, kurz, er fordert den Leser dazu auf, sich
einzubringen. Zu guter Letzt hilft die Körpersprache der Figur
dem Autor auch, sich in die Figur hinein zu versetzen.
S. I.: Weshalb muss ein Schriftsteller seine Protagonisten und
Antagonisten von der Wiege bis zu letzten Seite so detailliert
kennen? Auch wenn z.B. die Kindheit der Handelnden im Buch gar
nicht vorkommt.
B. W.: Die backstory vervollständigt das Bild, das ein Autor über
seine Figur gewinnen muss. Es ist wie im wahren Leben, eine
Person macht etwas, das unter Umständen dramatische
Auswirkungen hat und wir wollen wissen: Wieso hast du das
getan? Oder nicht getan? Woher kommst du, wer bist du, was ist
deine Geschichte? Diese Fragen helfen uns, einen Menschen zu
verstehen, auch wenn er uns wesensfremd ist. Und diese
Fragen sind auch für einen Autor wichtig.
Die Schwierigkeiten, die eine Figur innerhalb der Geschichte
bewältigen muss, äußere und innere Schwierigkeiten, ergeben
sich ja aus ihrer Geschichte, aus ihren Anlagen, ihren
Erfahrungen. Diese bestimmen, warum das äußere und innere
Ziel für speziell diese Figur so schwer zu erreichen sind. Ihre
Handlungen dürfen nicht zufällig gestaltet werden, sondern
müssen sich aus dem Tiefencharakter der Figur erklären. Dieser
Tiefencharakter zeigt sich nicht unbedingt im normalen Leben,
wenn alles so vor sich hinplätschert, aber dann, wenn eine Figur
unter Druck gerät, wenn sie instinktiv oder reaktiv handelt. Oft
haben wir es zu Beginn einer Story mit einer Figur zu tun, die ihr
Leben nach einem Glaubenssatz führt, der ihre Entwicklung
blockiert. Diese Entwicklung muss der Autor aber glaubwürdig
darstellen, er muss – wie ein Coach es mit seinen Klienten tut –
wissen, welche Hindernisse und Aufgaben er ihr in den Weg legt,
um eine nachvollziehbare und glaubwürdige Entwicklung
innerhalb der Geschichte aufzuzeigen. Dieses Ausarbeiten der
backstory ist also nicht nur eine zwingende Grundlage, sondern
auch eine Schatzkiste, aus der ein Autor sich während der
Plotstrukturierung permanent bedienen kann.
S. I.: Gilt das auch für Actionromane, bei denen die Figuren ja
gar nicht großartig gezeichnet sind?
B. W.: Jede Art von Geschichte profitiert vom Wissen und
Können des Autors. Jede Art von Geschichte wird durch
einzigartige Figuren noch besser, auch Actionstories. Sie können
auch ohne sorgfältig gezeichnete Figuren funktionieren, keine
Frage, aber diese Filme werden außer kawumm-Effekte und
Adrenalin keine emotionale Resonanz im Leser auslösen. Im
Endeffekt erinnern wir uns doch an Figuren einer Geschichte
und erzählen diese Geschichten auch aus dem Blickwinkel der
Figur. Was wäre Ziemlich beste Freund ohne Driss, was wäre
Schindlers Liste ohne Oskar?
S. I.: Wie sieht es mit Autobiografien aus? Ich bin ein Promi und
berichte über mein bewegtes Leben, oder ich habe ein
Abenteuer erlebt, schreibe über diesen Teil meines Lebens (z.B.
»Die weiße Massai«). Lügt sich Autobiograf nicht immer selbst
etwas in die Tasche? Wie funktioniert hier dein Konzept?
B. W.: Autobiographisches Schreiben kann durchaus einen
therapeutischen, kathartischen Effekt haben, ein ganzer
Berufszweig fußt auf diesen Prinzipien (Biblio- und
Schreibtherapie). Auch hier kann die TA helfen, Hintergründe zu
beleuchten, Zusammenhänge zu verstehen, das eigene
Lebensskript zu verstehen. Manche Autobiographie mag
geschönt und dramatisiert sein, aber es ist ja auch zutiefst
menschlich, Vergangenes in eine Kausalität zurecht zu rücken.
Man kennt auch das Phänomen des selektiven Gedächtnisses.
Auch unser Leben ist eine Geschichte, eine Story, die wir uns
selbst erzählen und die etwas zurechtgerückt wird. Das mag gar
nicht bewusst geschehen. Je öfter wir uns und anderen diese
Geschichte erzählen, umso wahrer wird sie. Denn Leben ist ja
letztendlich nichts anderes als gelebte Geschichte und erlebte
Geschichten.
S. I.: Gibt es auch berühmte Autoren, die bei dir um Rat suchen,
wenn sie mit dem Manuskript feststecken? Bitte keine Namen. ;-)
B. W.: Ich arbeite mit vielen großartigen Autoren zusammen,
veröffentlichte und unveröffentlichte. Ein Promi hingegen war
noch nicht dabei.
S. I.: Steckt ein Schriftsteller in seinem Manuskript fest,
bemängelt es, weiß aber nicht, woran es liegt, gibt es typische
Gründe?
B. W.: Dafür kann es viele Gründe geben. Manchmal liegt es am
übergroßen Perfektionismus des Autors, an Selbstzweifeln, den
Zweifeln und Kritik Anderer, die die eigene Stimme übertönen. Es
kann auch sein, dass der Autor ein Angstthema bearbeitet, das
ihn blockiert. Meistens liegt es jedoch daran, dass der Autor die
Figur tatsächlich noch nicht gut genug kennt und somit nicht
sicher ist, wie er die Handlung aufgleisen soll, welche
Wendepunkte und welche Hindernisse er der Figur in den Weg
legen muss, so dass sie sich verändert (sofern eine
Charakterentwicklung angestrebt ist). Es kann auch daran
liegen, dass ein Autor nicht das wahre Thema seiner Romanwelt
kennt, und diese nicht mit den passenden Figuren bevölkert.
S. I.: Du kennst sicher den Diskurs: Ein Autor soll über das
schreiben, was er kennt versus er soll über das schreiben was
er nicht kennt.
B. W.: Beides ist richtig. Schreibt man über etwas, das man
kennt, kann man sich einen Großteil Recherche sparen und
schreibt sozusagen von innen nach außen. Kennt man einen
Themenbereich noch nicht, so muss man sich schlau machen,
recherchieren, erforschen und das Erkannte verinnerlichen. Es
wäre also richtiger zu sagen: Ein Autor sollte über das
schreiben, was er für wahr und richtig empfindet, woran er
glaubt.
S. I.: Wo kann man deine Seminare oder deine Beratung im
Netz finden?
B. W.: Erste Eindrücke kann man über meine Webseite
sammeln : www.thea-script.com .
Weitere Erfahrungsberichte kann man auf der Seite der
Montségur Akademie nachlesen:
http://akademie.montsegur.de/aktuelles/
S. I.: Ich danke dir für das Gespräch.
B. W.: Gern geschehen, liebe Sabine
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Bettina Wüst
(von Sabine Ibing)
nach dem Seminar im Gespräch
beim Grillen nach dem Seminar