Autorin
Sabine Ibing
Ellen Dunne ist in den Bergen bei Salzburg aufgewachsen.
Mit 16 erwachte ihr Interesse für Irland und den Nordirland-
Konflikt. Nach acht Jahren Arbeit als Texterin und
Konzeptionistin in diversen Werbe- und Onlineagenturen in
Salzburg übersiedelte sie 2004 nach Irland und arbeitete
mehrere Jahre in verschiedenen Positionen im Europa-
Hauptquartier von »Google« in Dublin. Es folgten Wanderjahre
nach Berlin und München, doch alle Wege führten letztendlich
zurück nach Irland. Seit 2010 arbeitet sie ausschließlich als freie
Texterin und Schriftstellerin. Seit Ende 2011 lebt Ellen Dunne in
der Nähe von Dublin.
http://www.ellen-dunne.com/
S.I.: Liebe Ellen, du hast mit »Harte Landung« eine vortreffliche
Landung im Krimigenre gesetzt! Und zu Recht bist du mit diesem
Buch beim » Friedrich-Glauser-Preis« in der Sparte
Kriminalroman unter den fünf Nominierten der Shortlist der
Sparte Kriminalroman gelandet. Was ist das für ein Gefühl?
E.D.: Ein unglaublich schönes! Die Nominierung kam für mich
aus allerheiterstem Himmel. Der Glauser-Preis war mir schon
lange ein Begriff. Dass ich auf der Shortlist landen könnte, hatte
ich gar nicht in Betracht gezogen. Umso schöner war die
Überraschung!
S.I.: Die Entscheidung fällt im Mai. Ich drücke dir die Daumen.
Bist du sehr aufgeregt? Was geht dir durch den Kopf?
E.D.: Danke dir! Klar, ich bin schon sehr positiv aufgeregt. Im
Detail weiß ich bisher nicht, was auf mich zukommt. Ich genieße
einfach mal die Vorfreude – vor allem auch auf die vielen
Kolleg’innen, die ich hoffentlich in Halle treffen und
kennenlernen werde.
S.I.: Deutsch-irische Verwicklungen, eine Kommissarin mit
Charakter ermittelt bei der »Online-Tauschbörse Skiller«,
Carolin Höller, eine Führungskraft ist aus dem Fenster gefallen,
Suizid oder Mord? Du beschreibst hier das Umfeld einer Firma
aus dem Online-Bereich, den neuen Märkten. Du selbst hast bei
»Google« gearbeitet. Hast aus der Erfahrung in diesem Umfeld
die Atmosphäre für den Krimi gezogen?
E.D.: Natürlich, einige Erfahrungen sind dabei, wenn auch fiktiv
verändert. Meine Zeit bei Google war eine extreme
Wachstumsphase während der mittleren/späten Nuller-Jahre.
Damals hat sich das Unternehmen in Rekordzeit vom Start-up in
einen Konzern verwandelt. Es waren außergewöhnliche und
spannende Zeiten, an die ich gerne zurückdenke. Ich wurde
gefordert und gefördert, bin mit vielen meiner damaligen
Kolleg’innen noch immer eng befreundet. Aber ein Krimi
fokussiert auf Schattenseiten, und die gibt es genauso. In der
Online-Branche sind sie nur besser versteckt. Das
Spannungsfeld zwischen raschem Wachstum und dem
Erwartungsdruck von Investoren/Börse auf die auf hehren
Zielen begründete interne Kultur interessierte mich besonders.
Die Wachstumsschmerzen, sozusagen. Vor dem Problem steht
inzwischen die nächste Generation an Tech-Unternehmen, der
so genannten Sharing Economy: Facebook, AirBnB, Uber,
Snapchat, Spotify etc. Das beweisen auch die Debatten um
Sexismus, junge CEOs, die sich danebenbenehmen, etc.
S.I.: Du beschreibst eine kleine innovative Firma, die zur Größe
aufgestiegen ist. Gemütlichkeit vorbei, der Druck steigt enorm
für die Mitarbeiter, trotz vieler Annehmlichkeiten wie Essen,
Getränke, Massagen usw. auf Firmenkosten. Da kann der
Polizist schon neidisch auf die Oberflächlichkeiten werden,
wenn er in diesem Umfeld ermittelt. Ist das so in der Realität,
der Druck steigt mit der Größe? Was ist die Gefahr?
E.D.: De fakto wurde und wird sehr hart gearbeitet. Nur in
einem Rahmen, in dem man sich lieber aufhält, weil die Kollegen
nett, das Essen gut und viele Lebenskosten übernommen sind –
und der Außenstehenden diesen Eindruck von laissez affair
vermittelt. Doch die Leistungskultur in all diesen Unternehmen
ist äußerst ausgeprägt. Nur wird sie (sorry das Klischee)
Generation-Y-kompatibel verpackt, um die talentiertesten
Mitarbeiter anzulocken. Nur – was, wenn das Unternehmen
dann voll ist mit talentierten, ehrgeizigen High Potentials? Dann
beginnt der Verteilungskampf um den Aufstieg. Über den
Erfolg entscheiden a) die richtigen Fähigkeiten b) die richtigen
Beziehungen und c) ob man zur richtigen Zeit am richtigen Ort
ist. Zu 40% also der Zufall und die glückliche Verkettung von
Umständen, nicht die Leistung. Und in der Managementebene
steigt dieser Druck exponentiell. Diese Diskrepanz führt zu
einer Menge Enttäuschungen und Konflikte. Die aufgrund der
propagierten freundlichen Firmenkultur nicht offen
ausgetragen werden dürfen und dadurch subtiler, aber
genauso hart ausgefochten werden.
S.I.: Solche Firmen sind Anziehungspunkt für arrivierte
Professionals und junge Absolventen der Universitäten.
»Failure is a badge of honor«, so sagt man und meint damit eine
radikal andere Fehlerkultur als in europäischen Unternehmen.
Fehler sind im Silicon Valley kein Stigma. Mitarbeiterzu-
friedeneit ist wichtig, Apple baut für seine Angestellte ein
eigenes Krankenhaus. Gilt das auch für die Ableger in Europa?
Was steckt hinter dieser Mitarbeiterkultur?
E.D.: Die Mitarbeiterkultur hängt stark vom einzelnen
Unternehmen ab, und da meist von der Persönlichkeit der
Gründer’innen. Google ist nicht gleich Amazon oder Facebook
oder AirBnb. Den Slogan »Failure is a badge of honor« würde ich
aber tendenziell mit großer Vorsicht genießen. Allein schon
deswegen, weil über das Scheitern ja meist nur sehr
erfolgreiche Leute öffentlich sprechen, und das erst, wenn sie
wieder obenauf sind. Außerdem: Ich kenne genug persönliche
Beispiele aus verschiedensten Unternehmen, wo Fehler offiziell
zwar verziehen werden, doch indirekt die weitere Karriere der
Person behindert haben. Natürlich immer mit einem anderen
sachlich vorgetragenen Grund. Für mich eine perfide Art des
Mobbings und in keinem Zusammenhang mit der öffentlich
dargestellten Unternehmenskultur. Existiert deshalb auch
offiziell gar nicht. ;)
S.I.: Die Kombination aus hoher Risikobereitschaft, großer
Dynamik, starker Vernetzung und disruptivem Denken, was
macht das mit den Mitarbeitern? Ist es irgendwann vorbei mit
der Kreativität der Köpfe?
E.D.: Die Online-Branche arbeitet in einer wirklich
halsbrecherischen Geschwindigkeit. Man muss wachsen, so
schnell wie möglich, und wird danach von der Konkurrenz
verfolgt, von den Profiterwartungen der Investoren, der Börse,
etc. Plus das in den Fragen oben beschriebene Spannungsfeld.
Ich kenne keine Statistiken, aber Burn-out und
Langzeitkrankenstände kommen in der Branche sehr häufig
vor, und in jungen Jahren. Ich weiß auch, dass die
Unternehmen versuchen gegenzusteuern bzw. ihr
Management dafür zu sensibilisieren. Wie sehr es dann
umgesetzt wird, hängt natürlich auch vom (fehlenden)
Verständnis der individuellen Führungskräfte ab.
S.I.: Du beschreibst in deinem Krimi, dass unter der Oberfläche
doch nur mit Wasser gekocht wird, trotz flache Hierarchien
usw. Anspruch und Wirklichkeit, passen die zusammen?
E.D.: Kommt auf die Ansprüche an. Persönlich habe ich von
meiner Zeit in einem Online-Multinational sehr profitiert. Ich
kenne aber genügend Menschen, die sich dort nicht
wohlgefühlt haben oder letztendlich frustriert ausgestiegen
sind. Eine nicht zu vernachlässigende Anzahl dieser Leute sind
aber früher oder später wieder ins Unternehmen
zurückgekehrt bzw. haben das versucht. Man mag in den
Multinationals nur mit Wasser kochen – aber es schmeckt eben
ganz vorzüglich.
S.I.: Du stammst aus dem Bergen. Woher kommt deine
Sehnsucht nach dem Meer? In einem vorigen Leben …? Und was
hält dich in Irland, warum diese Heimat?
E.D.: Das kann ich tatsächlich schwer erklären. Meine
Faszination für Irland hat mit ca. 16 Jahren begonnen, da habe
ich Jim Sheridans „Im Namen des Vaters“ im Kino gesehen. Ab
da wollte ich unbedingt mehr über den Nordirlandkonflikt und
seine Auswirkungen auf die Menschen erfahren. Jahre später
wollten mein sehr abenteuerlustiger Mann und ich nochmal
raus in die Welt. Es wurde Irland, wir fanden beide Arbeit in der
Online-Branche. Ich übertreibe also nicht wenn ich sage, ein
Film hat mein Leben verändert. Ich sollte Mr. Sheridan mal ein
paar Blumen schicken. Er wohnt nur ein paar Kilometer
entfernt.
S.I.: Kein Heimweh nach den verschneiten Bergen, Skifahren?
E.D.: Je älter ich werde, desto mehr freue ich mich über
Besuche in Salzburg und Österreich. Das Gefühl der
Verbundenheit mit dem Land, der Kultur und der Landschaft
wird stärker – wenn auch nicht so sehr beim Skifahren, sondern
eher beim Gedanken an Caféhäuser, die Weihnachtsbräuche
oder ans Wandern und ans gute Essen. Und meine Familie ist ja
noch immer da, und gute Freunde.
S.I.: Deine Kommissarin, Patsy Logan, eine 38-jährige
Kommissarin bei der Münchner Kripo hat irische Wurzeln. Der
Fall führt sie auch nach Irland. Was war deine Intension, die
Geschichte auf zwei Länder aufzuteilen, Patsy »zwei Herzen« zu
geben? Hast du auch »zwei Herzen«?
E.D.: Ja, ichhabe eine Schwäche für zerrissene
Persönlichkeiten, fürs Hin- und Hergerissen sein zwischen
Welten, Identitäten, Kulturen. Es war keine bewusste
Entscheidung, aber ein Blick auf meine bisherige Bibliographie
(Harte Landung ist mein dritter Roman) macht das ziemlich
offensichtlich. Alle Protagonisten sind Wandler zwischen den
Welten, Rastlose. Wo da die Henne ist und wo das Ei? Hmmmm ...
S.I.: Du bist eine Europäerin, aufgewachsen in Österreich, hast
ebenso in Deutschland und Irland gearbeitet, nun fest
verankert in Irland. Wie hat sich das Länderhopping auf deine
Persönlichkeit ausgewirkt? Andere Länder, andere Sitten, was
nimmt man mit?
E.D.: Je nach Gemütslage ist man heimatlos oder hat eine
zweite Heimat hinzugewonnen. Für mich gilt eher zweiteres.
Egal, in welchem der zwei Länder ich gerade bin, ich freue mich
über seine Vorzüge und vermisse gleichzeitig anderes. In Irland
werde ich nach 14 Jahren noch immer von Fremden zunächst
als „Ausländerin“ gesehen, die hier Urlaub macht. Während ich
in Österreich sofort als „zugehörig“ akzeptiert werde, obwohl
ich mich innerlich stark verändert habe. Was das mit einem
macht, steht wahrscheinlich irgendwo zwischen den Zeilen
meiner Stories ...
S.I.: Der Brexit steht bevor. Die EU verlangt eine zollrechtliche
und regulatorische Grenze in der Irischen See und zwischen
Nord- und Südirland. Was würde das für Irland bedeuten?
E.D.: Wenn ich das wüsste – ich würde mich sofort bei der
irischen Regierung oder UK-Regierung als Beraterin hoch
bezahlen lassen. Die haben nämlich auch keine Ahnung. Aber
wenn der Brexit kommt, wird auch eine harte Grenze kommen
(müssen), davon bin ich überzeugt. Mit allen Problemen.
S.I.: Schriftsteller dienen als Seismografen politischer und
gesellschaftlicher Prozesse. Den Finger in Wunden legen,
Zuspitzen, auch bis zur Unerträglichkeit, polarisieren – all dies
gehört dazu. Was ist für dich als Krimischriftstellerin wichtig
beim Schreiben?
E.D.: Grundsätzlich schreibe ich immer darüber, wofür ich mich
im Augenblick sehr interessiere und hoffe, die Leser’innen
dahin mitzunehmen. Ich will weder Vorträge halten noch mit
dem Zeigefinger wedeln, sondern Geschichten erzählen, eine
vielleicht noch unbekannte (Gedanken)Welt öffnen. Die
Leser’innen entscheiden dann, welche Botschaft sie daraus
mitnehmen oder ob sie sich einfach unterhalten wollen. Bisher
handeln alle drei Romane von (über)mächtigen Systemen und
ihrer Auswirkungen auf das individuelle Leben, das ihnen mehr
oder weniger stark ausgeliefert ist. Harte Landung beschäftigt
sich auch mit Fassaden und Scheinheiligkeit, persönlich als auch
institutionell, aber auch über das (noch immer!) Tabuthema
ungewollter Kinderlosigkeit.
S.I.: Was darf ich bei meinem nächsten Irlandbesuch auf gar
keinen Fall übersehen? Was muss ich unbedingt besuchen?
E.D.: Oje, da wäre das Interview gleich nochmal so lang.
Können wir uns darüber mal bei einem Baileys Coffee
unterhalten? :D
S.I.: Gerne. Peter Handke schreibt mit Bleistiften, deren
Stummel er, nach Büchern sortiert, aufbewahrt. Hast du eine
ähnliche Marotte?
E.D.: Nein. Aber ich schreibe auch noch oft handschriftlich.
S.I.: Welche Romanfigur würdest du gern mit eigenen Händen
umbringen, weil sie dich so aufgeregt hat?
E.D.: Das ist eine sehr interessante Frage! Aber ich hege selten
Mordgedanken außerhalb meiner eigenen Romane. Sogar wenn
in Filmen der Bösewicht am Ende zu Brei geschlagen wird,
schaue ich oft weg. So seltsam das klingt, aber ich mag keine
Gewalt.
S.I.: Werden wir noch mehr von Patsy hören? Oder planst du
einen anderen Roman? Was gibt es Neues?
E.D.: Aber ja, ich arbeite derzeit am 2. Teil der Patsy-Reihe.
Diesmal wird ihr Fall in München spielen, aber Irland holt sie
natürlich trotzdem ein. Allgemein wird es eine düsterere
Angelegenheit als Harte Landung, so viel kann ich versprechen.
Ich beschäftige mich auch mit einem anderen Roman abseits
der Krimiwelt. Aber das ist noch ein ungelegtes Ei.
S.I.: Ich danke dir für das Gespräch.
Rezension: »Harte Landung«
Zu den anderen Interviews
Literaturblog Sabine Ibing
Interview mit
Ellen Dunne
(von Sabine Ibing)