Autorin
Sabine Ibing
Interview mit
Stefan Wendel
(von Sabine Ibing)
Du hast lange als Lektor bei Arena und Thienemann
gearbeitet, bei letzterem Verlag sogar als Programmleiter.
Wieso der Weg in die Selbstständigkeit?
www.autorenberatung.net
Stefan: Oh, das Klima in den Verlagen ist nicht nur für die
Autoren, sondern auch für die Angestellten ziemlich rau.
Programmleiter (ehedem Cheflektor) blieb man früher bis zur
Rente. Die Zeiten sind vorbei. Kaum einer kann sich
heutzutage noch so lange auf seinem Posten halten, denn das
gelingt nur dann, wenn man über Jahrzehnte nicht nur
unvermindert kreativ, sondern auch wirtschaftlich stets
erfolgreich ist. Wenn nicht, muss ein neuer Besen her. Und ich
muss auch gestehen: Dieser Job hat mich müde gemacht …
Ein Hamsterrad! Frühjahrsprogramm, Herbstprogramm,
Frühjahrsprogramm, Herbstprogramm … Wie ein
Zirkuspferd! Ich sehnte mich zunehmend nach einer Auszeit,
um mich besinnen zu können. In einem anderen Verlag hätte
die Mühle allerdings nur wieder von vorne begonnen. Also
wagte ich schließlich den beherzten Schritt in die
Selbstständigkeit. Und den habe ich nicht bereut.
Du hast 2011 einen Beruf erfunden: Autorenberater. Das hat
seitdem noch keiner kopiert. Wieso eigentlich nicht? Ist der
Beruf unattraktiv?
Stefan: Stimmt, und darauf bin ich auch ein bisschen stolz. Die
meisten Ex-Programmleiter werden Agenten oder freie
Lektoren. Das war mir irgendwie zu wenig originell. Das
Konzept ist während meiner Auszeit entstanden und gereift.
Was kann ich? Was will ich? Was will ich nicht mehr? Ich hab’s
mir sozusagen auf den Leib geschneidert. Vielleicht gibt es
deshalb keine Kopien? Oder weil die Gefahr, damit reich zu
werden, so gering ist?
Warum bist du nicht Agent geworden, das wäre
naheliegender. Der Agent verdient bei jedem verkauften
Buch seines Autors mit.
Stefan: Diese Option hätte durchaus bestanden. Das Knowhow
ist durchaus da. Der Reiz auch. Aber nicht mit fünfzig. Das
Agenturgeschäft ist extrem langwierig. Es dauert, bis man
sich einen wirtschaftlich tragbaren Klientenstamm aufgebaut
hat. Die Verlagsmühlen mahlen langsam. Provisionen gibt es
ja nur im Erfolgsfall. Hinzu kommt die Infrastruktur einer
professionellen Agentur. Man braucht Bestseller, die auch die
erfolglose Arbeit mitfinanzieren. Man kann letztlich nur mit
Autoren zusammenarbeiten, die „es bringen“. Deswegen
habe ich mich für eine Honorarbasis entschieden. Das ist
etwas ungewöhnlich, bietet aber die Möglichkeit, sowohl für
angehende als auch für gestandene Autoren in allen
Lebenslagen unabhängiger Ansprechpartner zu sein – eben
immer dann, wenn der Schuh irgendwo drückt. Die Autoren
haben schnell kapiert, welche Vorteile mein Konzept für sie
mit sich bringt, und kommen im Bedarfsfall immer wieder auf
mich zurück – übrigens ganz ohne vertragliche Bindung, was
mich jedes Mal enorm freut.
Du bietest deine Arbeit auch Agenten an, wie z.B.
Manuskriptberatung. Sollte der Agent nicht seine Klienten
direkt betreuen?
Stefan: Natürlich! Aber auch der Tag eines Agenten hat nur 24
Stunden, und manchmal gibt es Engpässe, bei denen ich
aushelfen kann.
Ist der Agent heute unumgänglich? Warum soll ich einen
anderen Menschen mitverdienen lassen? Man kann sein
Exposé doch auch direkt den Lektoren anbieten.
Stefan: Na ja, die Firewalls der großen Publikumsverlage sind
ziemlich hermetisch. Da ist es schon gut, einen „Trojaner-
Agenten“ zu haben, der vorgelassen und ernst genommen
wird. Für mich ist das aber auch eine Frage der Mentalität.
Nicht jedem Autor ist es gegeben, sich und seine Projekte
selbst zu vertreten. Und ein guter Agent ist seine Provision im
Normalfall wert.
Du hilfst deinen Autoren, sich mit dem Vertragswerk
zurechtzufinden. Es geht nicht nur um Honorare, sondern
auch um die versteckten Feinheiten. Junge Autoren werden
von Verlagen ganz gern »über den Tisch gezogen«. Magst du
uns einen beliebten Stolperstein im Vertrag nennen, den man
nicht übersehen sollte?
Stefan: Irgendwelche Kröten muss man bei jedem
Verlagsvertrag schlucken. Sehr viele Nicht-Agenten-
Verlagsverträge werden z.B. immer noch für die Dauer der
gesetzlichen Schutzfrist abgeschlossen, d.h. bis siebzig Jahre
nach dem Tod des Urhebers. Verrückt, oder? Mir ist kein
anderer Vertragstyp mit so einer langen Laufzeit bekannt. Im
Regelfall ist das – tragischerweise – kein Problem, denn die
Lebensdauer von Büchern wird immer kürzer. Sollte sich ein
Buch allerdings zu einem Longseller entwickeln, dann sind die
Konditionen per Vertrag in Stein gemeißelt. Und nur mit einer
Befristung kann man die Vertragsinhalte auf ihre
Angemessenheit hin überprüfen, bevor man einer
Vertragsverlängerung zustimmt. Oder sogar den Verlag
wechseln, wenn man sehr unzufrieden mit dem alten ist.
Du hast mir gesagt, Honorare sind oft verhandelbar, aber
der Ton macht die Musik ... Wenn deine Autoren sich nicht
trauen, übernimmst du auch die Verhandlung. Erzähle uns
etwas darüber.
Stefan: Nicht nur der Ton, man muss auch gewisse
kalkulatorische Gegebenheiten kennen, um zu wissen, wie
weit man gehen kann. Ebenso gewisse Standards, die sich für
bestimmte Buchtypen eingebürgert haben. Mir liegen
mittlerweile viele Vergleichsverträge vor, sodass ich mit den
Verlagen auf Augenhöhe verhandeln kann. Und mit
Diplomatie kommt man da oft weiter … Mein Vorteil: Ich gehe
sehr unaufgeregt an die Sache heran und kann die Dinge auf
den Punkt bringen.
Auch Schriftsteller sind nicht alle gleich gestrickt. Hier gibt es
schüchterne Menschen, Haudegen und Poltergeister. Was ist
ein absolutes No-Go in der Kommunikation mit einem Verlag?
Hast du ein Beispiel?
Stefan: Sehr schüchternen Autoren empfehle ich, sich beim
Verhandeln Unterstützung zu holen, denn: Wer nicht fragt,
kriegt auch nichts. Das ist wie überall im Leben. Mit dem Fuß
auf den Boden stampfen und sagen: „Ich will aber!“ führt
häufig auch zu nichts und verhärtet nur die Fronten. Immer
schön sachlich argumentieren, lautet meine Devise, denn
Argumenten können sich Verlage am schlechtesten
entziehen. Als ein No-Go empfinde ich, in
Vertragsverhandlungen allzu emotional zu werden. Nichts
gegen Emotionen, aber hier gehören die nicht hin. Und man
muss ein Gespür dafür entwickeln, wann das Ende der
Fahnenstange erreicht ist. Schrecklich fand ich zu meinen
Verlagszeiten auch, wenn jemand von Vertrag zu Vertrag
immer wieder aufs Neue versucht hat zu verhandeln. Wenn
man sich mal auf eine gute Basis verständigt hat, muss man
es auch mal gut sein lassen können – zumindest ein Weilchen
…
Mir sind neuere Verlage aufgefallen (keine
Selbstkostenverlage), die sprachlich schlechte Bücher
herausbringen, auf Papier und als eBook. Unter Lektorat
verstehen die ein Korrektorat, das auch noch grottenschlecht
ist. Der Autor verdient kaum was. Ich habe mir einen solchen
Vertrag zeigen lassen und würde ihn als sittenwidrig
bezeichnen. Welche Pilze schießen hier neuerdings aus dem
Boden?
Stefan: Vermutlich ist das so etwas wie die neue Generation
der Druckkostenzuschuss-Verlage. Print-on-Demand-
Verfahren haben enorme qualitative Fortschritte gemacht,
und es hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass man mit
E-Books und Dienstleistungen drum herum durchaus Geld
verdienen kann. Nicht jeder Autor, der keinen traditionellen
Printverlag für sein Buch findet, fühlt sich dazu berufen oder
in der Lage, als Selfpublisher tatsächlich alles selbst zu
stemmen. Ich kann nur empfehlen, mit solchen Verlagen sehr
vorsichtig umzugehen und sich vorher genau anzusehen, was
tatsächlich geleistet wird oder ob das alles nur falsche
Versprechungen sind, die nicht eingelöst werden. Kleiner
Tipp: Immer überprüfen, ob der Verlag überhaupt einen
Buchhandelsvertrieb hat! Wenn nicht, braucht man diesen
Verlag nicht, sondern kann auch gleich zu BoD, Amazon oder
Tolino gehen.
Die Publikumsverlage bieten nun reine eBookreihen an. Die
Bücher sind viel zu teuer für die Einführung eines jungen
Autors. Die Autoren verlieren das Recht am Printbook, ebenso
können sie nicht Blogger, Testleser usw. bestücken, wie sie
möchten. Das läuft über den Verlag. Der aber macht kein
Marketing und man ist obendrein geizig. Der Autor,
organisiert selbst. Diese Autoren sind glücklich bei X zu sein,
aber völlig ausgebremst, kommen nicht auf den Markt. Was
denken sich die Publikumsverlage dabei?
Stefan: Da wird mit Sicherheit enorm viel gedacht, aber eben
leider erst spät. Das E-Book mit seinen Möglichkeiten stellt eine
kleine Revolution des Buchmarkts dar, die viele große Verlage
und Buchkonzerne schlicht und einfach verpennt haben.
Hoppla! Erfolgreiches Publizieren ist heutzutage auch ganz
ohne Verlag möglich! Und wo bleiben wir Verlage dann, wenn
sich dieser Trend weiter fortsetzt? Die erste Reaktion, E-Books
zu ähnlich hohen Preisen wie die Printausgaben anzubieten,
funktioniert nur sehr bedingt. Das können die Selfpublisher
günstiger und haben damit Preisschwellen festgelegt. Nun
wird herumexperimentiert, wie man von dem Kuchen doch
noch ein größeres Stück abkriegen kann. Eine Rolle bei diesen
Unternehmungen spielt sicherlich auch das Talent-Scouting,
denn die Verlage werben bei den Autoren ja regelrecht
damit, dass man – vielleicht, vielleicht – fürs (hehre)
Printprogramm entdeckt wird, weshalb man sich diese
Verwertungsrechte gleich mit sichert. Da ein E-Book viel
günstiger produziert werden kann als eine Print-Ausgabe,
kann man testen, ob ein Buch seinen Markt bzw. seine Leser
erst einmal auf diesem Weg findet. Und wenn ja, dann kann
man immer noch eine Print-Ausgabe nachlegen. Ich bin
skeptisch, ob das so funktioniert. Im Einzelfall wird dieses
Konzept aufgehen, in den meisten Fällen eher nicht. Und
erfolgreiche, professionelle Selfpublisher werden eh nur
müde lächeln und dankend ablehnen. Die haben den Bogen
schon raus, die Verlage noch nicht.
Autoren wie eben beschrieben sollten zur letzten Frankfurter
Buchmesse mit eigenem Werbematerial beim Verlag
anrücken, was dann (oft mit minderwertiger Qualität) in
Tütchen für die Blogger verpackt wurde. Die ignorierten die
Tütchen, wollten nur zu ihren Stars. Hat es überhaupt Sinn,
sich einem solchen Vertrag zu verpflichten, anstatt es selbst
in die Hand zu nehmen?
Stefan: Auch das ist für mich wieder eine Frage der Mentalität
bzw. dessen, was man will. Wenn man sich als Autor damit
abgefunden hat, im stationären Buchhandel nicht in
Erscheinung zu treten und sich seine Leser außerhalb zu
suchen, dann kann man auf so einen „Verlag“ durchaus
verzichten, ohne irgendetwas zu vermissen. Ohne
Selbstmarketing geht sowieso nichts mehr – nicht in den Print-
und nicht in den E-Book-Verlagen. Und wer das
Selbstmarketing beherrscht, kann gut und gern auch ganz
auf eigene Rechnung arbeiten und braucht die Honorare mit
niemandem zu teilen.
Dann gibt es die No-Marketing-Verträge bei den Großen. Das
heißt, ein Taschenbuch wird gedruckt und vertrieben, mehr
nicht. Weder landet man in allen Buchhandlungen, schon gar
nicht auf den Präsentiertischen. Werbung macht man wieder
selbst. Wozu brauche ich in diesem Fall einen Verlag, der mich
meiner Rechte beraubt und mir nur Cents zahlt? Das kann ich
alleine auch. Die Arbeit kommt doch erst nach dem Druck.
Stefan: Eben. Mit dem kleinen Unterschied, dass das Buch
überhaupt im stationären Buchhandel landet, was andernfalls
nicht gegeben ist. (Wobei Tolino da ja auch gerade ein
interessantes Experiment gestartet hat.)
Du bietest Gutachten unter qualitativen und
marktspezifischen Gesichtspunkten. Ich habe das Gefühl, die
Verlage drehen langsam durch, was angeblich vom Leser
verlangt würde ... Ich hörte gerade von einer Autorin, man
müsste ihren Nordseekrimi nach Schweden verlegen, eine
andere Kollegin musste um die Kleidung ihrer Protagonistin
kämpfen, die passte dem Lektorat nicht. Was passiert hier?
Hat eine originelle Story oder Schreibart überhaupt noch eine
Chance, verlegt zu werden? Sind wir vom Mainstreamnebel
umgeben und sehen den Himmel nicht mehr?
Stefan: Der Erfolgsdruck in den Verlagen ist gewaltig. Die
einen fürchten um ihre Existenz und Unabhängigkeit, die
anderen kriegen Druck von oben. Die Angst, etwas falsch zu
machen, ist groß. Folglich versucht man, auf Teufel komm
raus „Fehler“ zu vermeiden und Bücher ohne Ecken und
Kanten zu machen, um bloß kein Risiko einzugehen. Verlage
halten das für professionelles Vorgehen. Ich weiß nicht.
Unverwechselbare Unikate, die ggf. neue Trends setzen,
entstehen so jedenfalls nicht … Mehr Experimentierfreude
wäre schön!
Immer mehr Schriftsteller wollen sich die derzeitige
Bevormundung der Verlage nicht mehr gefallen lassen,
verlegen selbst, siehe Cornelia Funke. Wie sieht die Zukunft
aus, unter Berücksichtigung der Technik?
Stefan: Der dankbare, treue Autor, der alles brav mit sich
machen lässt, wird auf die Liste der bedrohten Arten gesetzt
werden müssen. Gut so! Es wächst eine neue, selbstbewusste,
kritische Autorengeneration heran, die sich von den Verlagen
nicht mehr mit Haut und Haar abhängig fühlt und auch nicht
fühlen muss. Das Modell „Hybridautor“ wird sich immer weiter
durchsetzen. Autoren (nicht die Verlage!) entscheiden,
welcher Teilmarkt und welcher Vertriebskanal für ein Werk
am besten sind, um die Leser zu erreichen. Die Verlage
müssen wieder lernen, mit ihren Autoren partnerschaftlich
umzugehen, und sehr lieb zu ihnen sein, um sie an sich zu
binden. Das hat nicht nur etwas mit Geld zu tun, sondern auch
mit respektvollem, partnerschaftlichem Umgang. Viel Energie
verpufft m.E. innerhalb der Verlage aus falsch verstandener
Professionalität. Eine Teambesprechung jagt die nächste. Und
schwupps, ist wieder ein Arbeitstag vorbei, ohne dass
Kommunikation mit der Welt draußen stattgefunden hat.
Verlage müssen wendiger werden. Kleine, schlagkräftige
Einheiten haben in Zukunft vielleicht sogar wieder bessere
Chancen als große, behäbige Konzerne. Sonst ergeht es den
Verlagen wie den Dinosauriern …
Ich danke dir, dass du dir Zeit genommen hast, meine Fragen
zu beantworten.
Stefan: Sehr gerne!
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