Autorin
Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
zeitgenössische Romane
Rezension
Der goldene Handschuh
von Heinz Strunk
Im Klappentext heißt es: „Die Geschichte vom Frauenmörder Fritz Honka
und seinen Opfern.“ Das ist für meine Begriffe zu weit gefasst, denn die
ganze Geschichte von Fritz Honka ist dies nicht. Ich würde jedem
empfehlen, sich den Lebenslauf von diesem Mann kurz im Internet vor
dem Lesen anzusehen, denn der Roman behandelt die letzten Jahre vor
der Inhaftierung des Serienmörders, der zwischen 1970 und 1975 in
Hamburg vier Frauen ermordete, zerstückelte, Frauenleichen in seiner
Wohnung versteckte, vor sich hin gammelnd, die letzten zwei wegen
Platzmangel auf die Straße warf. Honka, „der Mann, den sie Leiche
nennen“, ein Mensch, mit dem die Welt es nie gut gemeint hat, von
Kindesbeinen an. Dieser Roman ist nichts für schwache Nerven, er geht bis
an die Grenzen des Ekels Mensch, bis ins Detail zu schildern, zu was ein
Individuum in der Lage ist zu ertragen, dass nichts mehr zu verlieren hat.
Heinz Strunk durfte hierzu die bis heute verschlossenen Gerichtsakten des
Kriminalfalls Honka studieren.
„Der „goldene Handschuh“ ist eine Kneipe auf St. Pauli, Hamburg, bis
heute. Die Geschichte spielt in den Siebzigern, in einem Milieu von Nutten,
Säufern, Drogenabhängigen, Menschen, die tiefer nicht fallen können,
Gewalt brodelt im Gebälk, Körper die nach Verfall aussehen und auch so
riechen. Genau dort hinein blickt Heinz Strunk ganz tief: in die Säuferseele,
in Abgründe menschlichen Denkens und Handels, fern jeder Scham,
eingeschlossen Kot und Eiterbeulen. Der Geruchsinn des Lesers wird
aktiviert, seine Vorstellungskraft an den Rand des Erträglichen getragen.
„Sagenhaft, er ist noch keiner Frau begegnet, die mehr vertragen kann.
Anna sieht aus wie eine Lungenkranke nach dem soundsovielten Blutsturz
und riecht tatsächlich nach Scheiße.“ (Anna)
Dies Zitat ist harmlos. Man trinkt FaKo (Fanta-Korn halbe-halbe) und
Wasser ist zum Waschen da. Eine schöne heile Welt kommt garantiert
nicht vor. Wir blicken in die Seele von Fritz Honka und die von anderen
Protagonisten, in Honkas Albträume, in seine Gedanken. Ein Krimi ist dies
nicht. Ich würde es als Milieustudie bezeichnen. Als „sterbliche Überreste“
bezeichnet Strunk die Besucher des „goldene Handschuh“, Verwahrlosung
an jeder Ecke.
„Sie könnte fünfzig sein oder siebzig. Unter dem Mantel trägt sie nur einen
Kittel, einen schrecklichen, blauen Putzfrauenkittel. Je länger man sie
anschaut, desto furchtbarer sieht sie aus, gerade wenn man Alkohol
getrunken hat, so rum geht's nämlich auch. Man kann sich schon nicht
mehr vorstellen, wie die früher mal ausgesehen hat als Frau." (Gerda)
Obdachlose Frauen, die nur das besitzen, was sie am Leib tragen, ein
Kittelkleid und ein dünner Mantel, die für Schnaps und ein warmes Bett
alles geben, sich soweit erniedrigen lassen, Honka zu unterschreiben,
dass er mit ihnen alles anstellen darf, dass sie ihm gehören.
"Hiermit erkläre ich, Gerda Voss, dass ich es im Leben noch nicht so gut
hatte wie bei Herrn Honka."
Strunk schafft es, dass ich es als Leser an manchen Stellen kaum aushalte
weiterzulesen, als hartgesottener Leser. Beeindruckend ist Beschreibung
von Honka: Gewaltfantasie, Wutausbrüche, sein Ekel vor den Frauen, die
er abschleppt, seine Verachtung ihnen gegenüber. Manchmal scheint es,
als projiziere er seine Selbstverachtung auf diese armen Geschöpfe. Es
schüttelt den Leser an vielen Stellen. Trotz allem lässt Strunk seine
Protagonisten Menschen sein, denen eine Restwürde verblieben ist, keine
Karikaturen, Typen die dem Leser ein Mitgefühl hinterlassen. Der von
Strunk eigene schwarze Humor unterliegt diesem Roman und hilft dem
Leser an manchen Stellen, die Verwahrlosung der Menschen zu ertragen.
In einer Parallelhandlung geht es um eine Reederfamilie, um drei
Generationen von Männern (WH1, WH2, WH3), von der anderen Seite des
Elbufers, der gutbetuchten. WH1, ein Altnazi, WH3 ein armes Würstchen
und WH2, ein Typ, der Honka ähnlich ist, letztendlich genauso krank in
seinen Fantasien, rhetorisch nur auf anderem Niveau, nicht ganz so
gewaltbereit. Frauen als Objekte zu begreifen, das kommt in allen
Schichten vor. WH2 und WH3 verkehren im „goldenen Handschuh“.
„Sie wissen, dass sie früher sterben müssen als die anderen“, so Strunk
über seine Protagonisten, dessen bewusst, wie armselig ihr Leben ist. Aber
sie hängen dran, wie schäbig es auch sein mag.
Nebenbei, Strunk hat erzählt, nach der ersten Version des Manuskripts
hat es 18 weiterere Fassungen gebraucht, von 600 auf 250 Seiten reduziert,
verdichtete Erzählweise, ein intensives Lektorat. Dies Buch ist mehr als die
Geschichte eines Frauenmörders, mehr als eine Milieustudie. Es ist die
Beschreibung des alten St. Pauli, Straßenzüge, die zum Abriss freigegeben
waren, Menschen, die sich selbst dem Abriss freigegeben hatten,
Depression, Nachkriegswehen, kaputte Typen (von der SS-Führungskraft
zum Müllmann abgestuft). Auf der Buchmesse sagte Strunk, er mag den
Honka wirklich nicht, aber ein bisschen Mitleid kann nicht schaden. Und
genauso kommt dieser Roman dem Leser entgegen. Tiefer Ekel, ein
bisschen Voyeurismus, aber ein wenig Mitgefühl kann nicht schaden.
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