Autorin
Sabine Ibing
Der erste Satz: »Als es hell wird und das Morgenlicht die
stahlgenietete Hochbahn entlangfährt, schlurren die
Hafenarbeiter zu den Spreeanlegern, schnaufen Kutschpferde
in die Futtersäcke, wird in den Küchen krachend die Kaffeemühle
gedreht, holpern Fahrräder und Handkarren übers
Katzenkopfpflaster, schiebt die erste Lokomotive auf ihr Gleis im
Görlitzer Bahnhof.«
Der Krimi spielt im Berlin der 1920-er Jahren. Atmosphärisch dicht,
spannend, ein guter Noir-Krimi. Kommissar Spiro,
abgeschlossenes Jurastudium, hatte in der Provinz Wittenberge
an der Elbe mit Bravur einen Mord geklärt und wird nun nach
Berlin versetzt. Ein Bankier wurde ermordet. Was steckt
dahinter? Wer wollte ihm ans Leder?
»›Vater Getreide- und Saatenhändler? Wär im Betrieb beim Vater
nicht mehr für Sie drin gewesen?‹ – ›Bin ja nicht alleine. Großer
Bruder, kleine Schwester. War schon Platz am Tisch für mich, hat
aber auch nicht richtig gepasst, der Stuhl.‹«
Spiro muss sich einfinden in die Großstadt, bewähren, hier ticken
die Uhren schneller, viel Glimmer gibt es zu sehen. Nike, die
Tochter des Bankiers macht ihm schöne Augen, eine Künstlerin,
verrückt, ferngerückt der Welt, eine Lebefrau, die macht, was
sie will. Auch sie und andere Familienmitglieder stehen unter
Verdacht, Spiro will ihr nicht erliegen, doch sie zieht ihn an, wie
die Motte das Licht.
»Nike verdreht den Männern die Köpfe, so nachhaltig, dass die
Jakobiner in der französischen Revolution ihre helle Freude an
ihr gehabt hätten.«
Diese jüdische Familie ist merkwürdig. Eine Ehefrau, die nichts
weiß über ihren Mann, sein zweites Leben. Eine Geliebte, das
Fräulein Hilde, der der Bankier Wohnung und pompöses Leben
finanzierte, bei der der Bankier gern Schweinewürste und
Blutwurst vertilgt, Kinder, mit denen er Krach hat, weil sie
verschwenderisch leben, ein Kompagnon, der auch unter
Verdacht gerät, oder gibt es weitere Spuren?
»Ein kleines Orchester spielt um sein Leben, davor wird
gezappelt und mitgesungen: Shimmy, Charleston, Jazz. Troddeln
und fransenbesetzte Säume fliegen im Takt, entblößen
Frauenbeine bis zur Hüfte.«
Fein eingefangen die Atmosphäre der Weimarer Republik in den
Zwischenkriegsjahren, eine Sprache, präzise, teils sehr
reduziert, dezidiert, die ihren eigenen Stil findet. Fein
gezeichnete Figuren, die das gesellschaftliche Leben
widergeben, von der reichen Bankiersfamilie bis hin zu den
schmutzigen Stadtteilen, Kindern in Armut, die sich ihr »Brot«
zusammenklauen müssen, Nachtleben, Kultur, Hell und Dunkel
einer Großstadt in allen Facetten. Der Umbruch in ein neues
Zeitalter ist spürbar, aber noch nicht präsent. Eingeflochten sind
eine Menge Recherchen über das alte Berlin, nie aufgesetzt,
sondern in die Handlung integriert. Ein Quäntchen Humor,
Berliner Charme und Sprache runden den spannenden Krimi ab.
»Mit der Reichsmark verfällt auch die Moral und bildet so den
morastigen Bodensatz dieser Stadt. Den idealen Lebensraum für
Sumpfblüten wie uns.«
Mir hat das Krimidebüt von Kerstin Ehmer gefallen, die viele
Jahre als Mode- und Porträtfotografin gearbeitet hat, so ihren
Blick für Menschen geschärft hat. Seit sechzehn Jahren betreibt
sie mit ihrem Mann die legendäre Victoria Bar in Berlin.
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Rezension
Der weiße Affe
von Kerstin Ehmer