Autorin
Sabine Ibing
Der Anfang: »Es gibt verschiedene Gründe, aus denen der Staat
Menschen einsperrt. Vor Allem sind dies Vergeltung, Abschreckung,
Resozialisierung und Sicherung der Allgemeinheit.«
Thomas Galli hat in verschiedenen Bundesländern Haftanstalten geleitet
und berichtet in Kurzgeschichten über Täter und den Strafvollzug. Was
bedeutet Schuld und Strafe, ist Rehabilitation möglich, wie menschlich
bzw. ist unser Strafsystem. Wie gefährlich sind Menschen, die in die
Sicherheitsverwahrung kommen?
»Wenn einem Gefangenen die Sicherheitsverwahrung vorbehalten ist,
dann schwebt während der Haft ein Damoklesschwert über der Anstalt
und dem Gefangenen. Versäumt es die Anstalt, dem Inhaftieren
genügend Behandlungsmaßnahmen zu offerieren, um an seiner
Gefährlichkeit zu arbeiten, kann es passieren, dass später die
Sicherheitsverwahrung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht
angeordnet wird, obwohl der Gefangene weiterhin als hochgefährlich
einzustufen ist.«
In kurzen Lebensläufen und Zusammenfassung der Straftaten erzählt
jede Kurzgeschichte von Einzelschicksalen. § 2 Absatz 1 des 1977
reformierten Strafvollzugsgesetzes besagt, das im Vollzug der
Gefangene befähigt fähig werden soll, künftig in sozialer
Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Die
Vollzugsanstalten sind weder baulich, strukturell noch personell darauf
ausgerichtet. Galli berichtet in einer Geschichte von einem
Vollzugbeamten, der mit großem Engagement seine Ausbildung
begann, in der gelehrt wird, wie wichtig die Betreuung der Gefangenen
ist und muss mit Entsetzen feststellen, dass in der Realität nicht eine
Minute für die Einzelbetreuung übrigbleibt. Seine Großherzigkeit bringt
ihm nur Ärger, führt zum Verlust seines Jobs. Eigentlich wollte er
menschlich sein, brachte dem Türken, der sich in
Sicherheitsverwahrung befindet, ein netter Kerl ist, Baklava mit. Seit
Jahren wünschte der sich ein Essen aus der Heimat. In seinem
unendlichen Glück berichtet dieser den anderen Gefangen von der
Großherzigkeit des Schließers. Und bei dem steht nun ein Russe,
verlangt, der Wärter möge ihm ein Handy hereinschmuggeln, ansonsten
gäbe es eine Anzeige wegen dem Baklava … Da kommt ein Direktor
daher, findet es unmenschlich, dass die Gefangenen nur zum Essen und
zum Hofgang Aufschluss haben, ordnet an, viele Stunden des Tages die
Zellen zu öffnen. Hier fällt mir gerade das Buch von Steffen Schroeder
über einen Langzeithäftling ein, der da sagte, er fühle sich nur sicher,
wenn die Tür geschlossen ist. Es wäre gefährlich, bei Aufschluss
einzuschlafen … Und genau in dieser Situation der »Menschlichkeit«
stößt das Personal an Grenzen, die Anweisung des Direktors erweist sich
als kontraproduktiv. Pergament unterbesetzt bekommen die
Vollzugsbeamten es nicht in den Griff: Schlägereien, Drogenhandel usw.
steigen an, es gibt keine Zeit, die Zellen ordentlich zu durchzusuchen,
vieles wird übersehen, schon gar keine Zeit verbleibt, für ein
vernünftiges Wort.
»Die Therapeutin tat doch nur ihren Job. Sie sprach ja nicht mit ihm, weil
sie ihn mochte oder ihm helfen wollte. Nein, sie tat das, weil sie ihr Geld
verdienen musste.«
Der Zirkusdirektor ist ein Schlawiner, weiß, wie man zu besseren
Haftbedingungen durch Verlegung kommt, zieht alle Register. Wie
schon in Steffen Schroeders Buch, erfahren wir etwas über den Irrsinn
der Regeln und Reglementarien, damit jemand eine Ausbildung machen
darf, Freigang erhält, sich auf die Welt draußen vorbereiten kann. Aber
Thomas Galli erzählt auch eine tragische Geschichte, über einen, der
das System verarscht, einen Soziopathen oder Psychopathen, der weiß,
was er sagen muss, wie er sich benehmen muss, um Ausgang zu
erhalten. Der Gefangene hat nichts Besseres beim Ausgang zu tun, als
wieder eine Frau zu vergewaltigen, zu ermorden. Ein Jugendlicher ohne
Selbstbewusstsein wird erst im Jugendknast zum Gewalttäter geformt.
Jede Geschichte hat ihre Sicht, ihre Dynamik, gibt Einblick in das System.
»Wenn der Abteilungsleiter eine Anzeige stellte, würde er wochenlang
Berichte schreiben müssen. Für den Anstaltsleiter, für Rechtsanwälte,
für die Staatsanwaltschaft, für den Petitionsausschuss im Landtag. An
die öffentliche Empörung mochte er gar nicht denken. Ein Gefangener
wird unter staatlicher Aufsicht sexuell missbraucht? … Alle legen
nämlich scheinbar, allergrößten Wert darauf, dass im Gefängnis alles
nach Recht und Gesetz läuft und das vor allem, um Gottes Willen, den
Gefangenen kein Leid geschehe.«
Thomas Galli berichtet, wie sich Angestellte aus der Affäre stehlen,
selbst der Direktor: dokumentieren, bloß keinen falschen Satz
schreiben, Aktenvermerke und Berichte werden so formuliert, dass
man von oben nicht angreifbar wird. Psychologen, Sozialarbeiter
bekommen Gehalt für ihren Job, ziemliches gutes Gehalt. Darum
arbeiten sie hier, entscheiden vorsichtig, dokumentieren, um bloß nichts
falsch zu machen, gehen kein Risiko ein, um Schuld zu sein an einem
Debakel, besonderes Engagement ist nicht zu erkennen. Es gibt auch
keine Solidarität und den Kollegen, abstreiten, Verantwortung auf
andere schieben.
»Jeder Hafttag kostet den Steuerzahler zwischen 100 – 150 Euro, also bis
zu 4500 Euro im Monat. Da sind allerdings die Kosten von Gerichten und
Staatsanwaltschaften noch gar nicht eingerechnet. … Die Gefangenen,
die wegen Schwarzfahren und anderer kleiner Delikte ihre
Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, werden in regulären Gefängnissen mit
Straftätern aller Art untergebracht.«
Im Stil von Ferdinand Schrierach, der aus der Sicht des Anwalts schreibt,
erzählt uns der JVA-Leiter Galli aus dem Gefängnisleben. Sachlich
erzählt, distanziert, mit einem Häppchen Humor skizziert er
Einzelschicksale und den Umgang der Gesellschaft mit Bösewichten. Ist
Käfighaltung förderlich für die Resozialisierung? Ist Strafvollzug ein
Racheakt an denen, die sich nicht an die Regel halten? Wird man
kriminell, wenn man eine schlechte Kindheit hatte? Nein. Aber eher. Wird
man keinesfalls straffällig, wenn man eine gute Kindheit hatte? Nein.
»Warum soll der Steuerzahler etwa für den Freiheitsentzug eines Ulli
Hoeneß noch 4000 Euro jeden Monat zahlen, wenn dieser stattdessen
(wie etwa Silvio Berlusconi in Italien) gemeinnützige Arbeit leisten
könnte, um den Schaden wiedergutzumachen, den er der Allgemeinheit
durch seine Steuerhinterziehung zugefügt hat?«
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Die Gefährlichkeit des Täters
Kurzgeschichten
von Thomas Galli