Autorin
Sabine Ibing
Der Anfang: »Wir sind die Kings, und wenn es auf Looswood Island so
etwas wie eine Königsfamilie gibt, kommen wir dem am nächsten.«
Cordelia King erzählt uns ihre Geschichte, die der Familie King,
Hummerfischer auf Looswood Island. Brumfitt King, der erste Siedler auf
dieser Insel vor 300 Jahren, begann mit der Hummerfischerei auf der
rauen Insel zwischen Nova Scotia und Maine. Mystische Erzählungen
umweben den Vorfahren, der behauptet, seine Ehefrau sei dem Meer
entstiegen, eine Selkie (Wesen aus der schottischen Mythologie), wird
vermutet, und er habe dem Meer für sie und dem Reichtum des Meeres
etwas lassen müssen: Jeweils einen Sohn aus jeder Generation. Ein
Fluch, der über der Familie liegt. Brumfitt ist aber auch ein bekannter
Maler. Seinetwegen kommen Wissenschaftler auf die Insel, studieren
seine Tagebücher und Aufzeichnungen über Fauna und Flora, Touristen
bewundern seine ausdrucksgewaltigen Bilder.
»Er war nur ein Baby, dachte ich, klein und laut, und hatte noch nichts
verdient, und trotzdem erkannte Daddy ihm bereits zu, was doch mir als
Erstgeborener zustand, Mädchen hin oder her.«
Cordelia hat das Geschick zum Fischen, fährt mit dem Vater hinaus, sie
versucht, sein Herz zu erobern, raubeinig, kräftig, mutig, so wie er sich
einen Sohn wünscht. Zu Beginn blicken wir in die Vergangenheit, die
Familiengeschichte ab Brumfitt, in das harte Leben der Hummerfischer.
Auch der alte King, Cordelias Daddy, erzählt mystische Geschichten, von
der Meerjungfrau, die er unter Wasser gesehen hat, die ihm das Leben
rettete. Das wird von der Großmutter lachend kommentiert: die Nixe sei
eine Krankenschwester gewesen, in deren Augen King blickte, nachdem
ihn der Neufundländer aus dem Wasser gezogen hatte. Die Geschichte
verdüstert sich. Ein Unfall, an dem jeder eine Teilschuld trägt, der Vater,
die Schwester, der Hund.
»Er sah es nicht und ich sagte nichts, und erst als der Korb bereits oben
auf der Rehling lehnte und sich in Richtung Wasser beugte, erkannte
Daddy das Fehlen meines Bruders.«
Bis zur Mitte trägt der Roman eine feine Erzählstruktur, erzählerisch
gekonnt, verwobene Erinnerungen, Mythen, drei Schwestern, ein Bruder.
Mit dem Erwachsenwerden von Cordelia schlägt die Moderne ein, die
Sprache kippt, die moderne Welt sieht bedrohlicher aus. Zeitgemäß sind
die Methoden des Hummerfangs, elektronische Geräte an Bord, Schiffe
aus Glasfieber. Daddy fährt weiter mit seinem Holzboot, hat nur die
wichtigsten Neuerungen angeschafft. Aber er hat das Sagen auf der
Insel. Die Fang-Claims sind gerecht auf die Fischerfamilien aufgeteilt,
man hält sich daran, ebenso an die gesetzlich vorgeschriebenen
Ruhezeiten für die Tiere. Und nun kommt Eddie vom Festland mit seiner
Gang. Sie fischen wild, kappen die Bojen der Fischer, scheren sich nicht
um den Naturschutz, handeln mit Drogen. In welchem Gesetz steht
geschrieben, dass die Fanggründe irgendeinem Fischer gehören? Das
Meer gehört allen. Cordelia mag dem Treiben nicht zusehen.
»Das Erstaunliche ist, dass es selbst nach dem schnellen Handgemenge
und den paar Schlägen nicht eskalierte. Ich sagte Eddie, dass ich ihn,
falls er morgen bei Sonnenuntergang noch auf der Insel sei und noch
einem Kind auf Looswood Island Drogen verkaufe, dass ich ihn dann von
den Jungs zu Boden drücken lassen und ihm höchstpersönlich die Eier
abschneiden würde.«
Die Geschichte eskaliert doch, Eddie verschwindet und taucht wieder
auf. Es ist ein wenig gewöhnungsbedürftig von den hübschen
Erzählungen, ein wenig verklärt, in die reale Welt einzutauchen. Die
Hummerfischer sind die raue See gewöhnt, sind bärbeißige Burschen,
verteidigen ihre Fanggründe. Es gibt keine gesetzliche Handhabe dafür,
nur Tradition und Ehre. Auf der anderen Seite stehen die Frechen, die
Dummen, die Drogendealer … Die andere Seite wird durchgehend böse,
durchtrieben, kriminell dargestellt, ein wenig klischeehaft. Aber
natürlich kann ich mir vorstellen, dass man sich wunderbar als
Drogendealer tarnen kann, indem man weit draußen auf dem Meer
Hummerkörbe hochzieht, die Polizei sich nichts denkt. Unerwünschte
Neulinge, die sich nicht an Regeln halten, sind garantiert auch
unerwünscht. Die amerikanische Art und Weise sich zu wehren ist
bekannt: Fäuste und Gewehre.
»Es braucht keine Ungeheuer, um das Bild so bedrückend zu machen, es
reicht die ruhige See, ein leeres Boot und ein einzelnes Wort hinten auf
der Leinwand, der Titel des Bildes: Verschwunden.«
Es gibt sicher Leser, die diesen Kipp im Buch nicht gutheißen, aber die
Welt ist kein Ponyhof und die moderne Welt ist auch auf dem Meer nicht
nur von Nixen und Wassermännern bevölkert. Mir hat gefallen, dass die
Sprache umschlägt, den Leser in die Wirklichkeit bugsiert. Die alte Welt,
gemächlich, erzählerisch, verklärt. Doch Brumfitts Bilder werden
zwischendurch beschrieben und zeigen, die Welt war bereits damals
nicht heile, es brodelt nter der Decke bereits am Anfang. Das Bild, das
den Jungen zeigt, der gleich von den Wellen an die Felswand geklatscht
wird. Bilder, die schreckliche Szenen darstellen.
Die Hauptprotagonistin Cordelia wird als Queen den King ablösen. Sie
lebt ihr ganzes Leben mit einer Last, weil sie sich mitschuldig am Tod des
Bruders fühlt. Sie wollte Daddys Platz einnehmen, musste immer zeigen,
wie hart sie sein konnte. Sie war die erste Frau, die ein eigenes
Hummerboot anführte, bei den Jungs sich die Anerkennung erkämpfte,
in aller Konsequenz. Und sie liebt einen Mann, den sie nicht haben kann,
der verheiratet ist. Ein feines Buch, eine spannende Familiengeschichte,
atmosphärisch dicht um die harte Hummerfischerei.
Alexi Zentner wuchs im kanadischen Kitchener, Ontario, auf. Seine
Kurzgeschichten wurden u.a. mit dem O. Henry Prize und dem Narrative
Prize ausgezeichnet. Sein Debütroman »Das leise Flüstern des Schnees«
war für zahlreiche, der angesehensten Literaturpreise nominiert.
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Rezension
Die Hummerkönige
von Alexi Zentner