Autorin
Sabine Ibing
Vorsicht! Dieses Buch könnte Träume zerstören!
Der Anfang: »Wahre Liebe, sagt man, die darauf beruht, dass man
den anderen wirklich kennt und schätzt, auch wenn er noch so viele
Schwächen hat. Die große Liebe der Deutschen zu Italien ist mir oft
ein Rätsel: Kennen sie dieses Land und seine Bewohner wirklich?
Oder gilt ihre Sehnsucht etwas, das sie aus der Ferne vielleicht
idealisieren?«
Zunächst zu den Autoren: Giovanni di Lorenzo, Sohn eines Italieners
und einer Deutschen, die ersten zehn Lebensjahre in Rom
aufgewachsen, danach in Hannover, Ferien bei den Großeltern in
Rimini. Sein Herz hängt an dem Italien seiner Kindheitserinnerung,
dem Italien des Dolce Vita. Er ist heute der Chefredakteur der
Wochenzeitschrift »Die Zeit«. In diesem Buch interviewt er den
Journalisten und Süditaliener, Roberto Saviano, der seit seinem
Bestseller »Gomorrha«, ein Buch über die Machenschaften der
neapolitanischen Camorra, unter Polizeischutz steht. Er befragt ihn
zu seiner Sicht über das Land.
»Die italienischen Mütter sind wahre Bestien.«
»Das Land, wo die Zitronen blühen«, dieses Italien, ein Land, das
geschichtlich gesehen noch gar nicht so lange existiert, ein
Zusammenwürfeln von Regionen, die so gar nicht
zusammenzupassen scheinen, die gegeneinander arbeiten, nur zur
Fußballweltmeisterschaft einer Meinung sind: Die Squadra Azzurra
wird gewinnen. Mütter und Übermütter, Bambini, Don Camillo und
Pepone, hervorragende Küche, gute Weine, Kultur, Michel Angelo,
Rubens, toskanisches Flair, Cinque Terre, Venedig, Rom, Römer,
Päpste, Opern, Badeurlaub in Rimini, Skiurlaub in Tirol und die Mafia,
Berlusconi, ein Bild das wir von Italien haben. Eine Reise in den Süden
ist für andre schick und fein … Die Mafia und Süditalien sind in
diesem Buch das große Thema. Roberto Saviano erklärt aus seiner
Sicht. Sein Thema ist die Mafia, der Süden und sie sind sein Trauma.
Er ist eben Süditaliener, wie Giovanni di Lorenzo, lachend feststellt,
im Umgang mit Terminen und Verabredungen ein weites
Verständnis pflegt, im Gegensatz zum deutschgewordenen di
Lorenzo, der auf Pünktlichkeit und Einhaltung Wert legt. Roberto
Saviano muss häufig umdisponieren, darf in seinem Leben keine
Regelmäßigkeit zeigen, sein Team ändert ständig den Zeitplan, die
Angst vor der Mafia sitzt im Nacken.
»Politiker zu werden, bedeutet heute, sich wie ein Opferlamm auf
den Altar seines Landes zu legen, das nur daran interessiert ist,
dich in Stücke zu zerlegen.«
Saviano berichtet viel über seine Kindheit in Casal di Principe, einer
Stadt nördlich von Neapel, in der die kampanische Mafia, die
Camorra, das Sagen hat. Hängt Politik und Mafia zusammen? Wenn
ja wie? Warum kann einer wie Berlusconi alles machen, wird
trotzdem verehrt, gewählt? Der Mann, der sich lächerlich macht,
auch in Italien? Wir erfahren etwas über die populistischen Parteien
»Lega Nord« und die »Cinque Stelle« (5 Sterne) Bewegung von Beppe
Grillo. Saviano erklärt, wer in Italien Politiker werden will, muss
verrückt sein, denn der wird gegrillt. Jedem wird etwas angehängt,
auch wenn er sauber ist, es ist Sport, Politiker fertigzumachen. Drum
gibt sich nicht jeder für ein Amt her, eher korrupte, mehr oder
minder kriminelle Typen.
»Die heute andauernde Rückständigkeit nahm schon unter den
Bourbonen ihren Anfang. … In Wahrheit war das eine korrupte
Feudalherrschaft.«
Städte und Gemeinden arbeiten gegeneinander, reiben sich auf im
Konkurrenzkampf, was jeden Fortschritt lähmt, wird dem Leser
erklärt. Ich hätte gern gewusst, wie dieses Szenario entstehen
konnte und wie die Italiener aus dem Dilemma entkommen könnten.
Man erfährt einiges über italienische Geschichte, eine Einheit-Italien,
die vom Piemont ausging, der Süden nie gefragt wurde. Der Süden
und der Norden, wird das je zusammenpassen?
»In Kalabrien, Lukanien und auch anderswo sind ganze Gebiete
praktisch entvölkert. Sind alle weggegangen Wenn man die Syrer,
Türken, Kurden, Senegalesen, hereinließe in die Städte, könnte man
die Omertà, die eigentliche Kultur der Mafia, außer Kraft setzen.«
Die Arbeitslosigkeit ist in Italien sehr hoch, jedes Jahr verlassen
viele Italiener das Land, um anderswo ihr Glück zu suchen. Im Süden
sind viele Kleinstädte und Dörfer entvölkert, die Landwirtschaft liegt
brach. Einwanderung durch Flüchtlinge hält Roberto Saviano für
eine Lösung. Die Landwirtschaft käme in Gang, die Mafia hätte
keinen Einfluss. Ist das so einfach? Basiert die Mafia alleinig auf die
Omertà und würden neue Einwohner sich nicht ins System
einfinden?
»Mussolini ist ein Inbild der italienischen Wesensart.« – »Ich verstehe
ja, dass du dich über Mussolini-Souvenirs aufregst, aber schau dir
mal den hilflosen Umgang der Linken mit ihren Idealen und
Symbolen an.«
Wir lernen: Der Italiener ist ein Pragmatiker. Man freut sich diebisch,
wenn man jemand anderen über das Ohr gehauen, hat. Es machen
ja alle. Man bewundert die Leute, die sich dem Staat widersetzen,
tricksen, Gesetze missachten, keine Steuern zahlen, ein kleiner
Anarchist steckt in jedem Italiener. Am Fremdgehen schert sich
niemand, solange die Familie dabei heile bleibt. Das gilt für viele
Dinge: Solange es keinen Schaden anrichtet… »Italien vergisst
alles.« Mittlerweile 65 Regierungen seit 1946. »In Wahrheit regieren
andere Mächte, die Industrie, die Medien, die Richter – und
manchmal eben auch die Mafia.« Di Lorenzo verspricht anfangs ein
Buch, »in dem das Anziehende und das Abstoßende
zusammenkommen«. Man steht am Ende ziemlich ratlos da. Vor ca.
30 Jahren habe ich Italien und die Italiener recht gut kennengelernt.
Und ich mag meine Freunde bis heute. Je tiefer ich aber Einblick in
dieses Land nahm, umso abstoßender empfand ich es. Kein Wein,
keine Pasta, keine schöne Landschaft konnten mir darüber
hinweghelfen. Und so geht es mir mit diesem Buch. Die beiden
Journalisten finden so wenig Anziehendes. Es war doch am Anfang
versprochen, beide Seiten zu zeigen. Man vergisst die vielen schöne
Dinge an der Oberfläche, wenn man sich ins Innere gräbt.
»Wie kann man ein Land lieben, das einen zur Verzweiflung treibt?«,
fragen sich die beiden Medienvertreter. Das fragt sich der Leser am
Ende auch. Ein interessantes Buch, um Italien ein wenig besser zu
verstehen. Wer nach dieser Lektüre immer noch mit verklärten
Augen das Land betritt, ist selbst schuld.
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Rezension
Erklär mit Italien!
von Roberto Saviano
und Giovanni di Lorenzo