Autorin
Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
zeitgenössische Romane
Rezension
Faunenschnitt
von Joshua Groß und Hannah Gebauer
»Alles, was hier steht, altert anders als ich.«
Normalerweise lasse ich mich in einer Rezension nie über die Gestaltung
von einem Buch aus, weil mich der Text interessiert, nicht das Cover. Bei
diesem Buch muss ich etwas ausholen. Das Cover ist auffällig orange-
gelb gestaltet, die Buchstaben im Buch sind in einem Tomatenrot
gehalten. Fotografien von Hannah Gebauer liegen versteckt,
eingebunden als Doppelseite. Der Verlag hat sich hier viel Mühe gemacht.
Die Möglichkeit bestand für mich darin, nachdem ich sorgsam
nachgesehen hatte, was sich unter den Seiten verbirgt, mit einem Messer
die Doppelseiten aufzuschlitzen und das Foto zu teilen oder vorsichtig mit
einem Bastelmesser an der Innenkante des Buchs die Seite zu trennen.
Ich entschied mich für Letzteres. Manch ein Leser wird Mühe haben, Hand
an ein Buch zu legen, darin herumzuschnippeln, es zu verletzen. Damit
hatte ich kein Problem. Ich bin ein Kitzler und Seitenumknicker, ein Buch
lebt und ich mit ihm, wir wollen nicht zusammen im Museum verstauben.
Faunenschnitt ist ein Fachbegriff der Geologie, steht für das Aussterben
von Arten. Hier wird Literatur gewagt und gelebt, abseits des
Mainstreams. Ein Wagnis, das sich gelohnt hat.
Der Schriftsteller Frank wird von seinem Verleger Bruno gebeten ins
Salzkammergut zu fahren. Er soll am Grudelsee herausfinden, wohin ein
Dieb verschwunden ist, denn bei Bruno wurde eingebrochen. Sein heiliges
Arung (das es nicht gibt) wurde geklaut, ein Heilkraut mit
bewusstseinserweiternden Auswirkungen. Ein desertierter Elitesoldat aus
Afghanistan ist bereits angeheuert, das Zeug wiederzubeschaffen.
Dieses Kraut wird eine große Rolle spielen. Auf dem Weg dorthin wird
Frank von einer Muräne gebissen, ein Hund wird ihm geschenkt und der
ist obendrein vegan, fühlt sich an wie »Werwolf-Milchbrötchen«. Weitere
skurrile, reale, banale, philosophische, halluzinogene Handlung und
Gedanken kann man schwer als Inhaltsangabe fassen, nie würde man
dem Text gerecht werden. Rausch und Wirklichkeit vermischen sich,
vermengen sich mit Historischem, man begegnet seltsamen Gestalten,
wie der Vorsitzenden einer Terroristengruppierung, die sich »Das
Merkel’sche Kreuz« nennt. Ein Segelflugzeug stürzt in den See, eine
Ablenkungstherapie geht baden. Der Tretbootverleiher Edward wird
umgebracht, der behauptet, Hitlers Beutekunst in Sicherheit gebracht zu
haben. Der wiederum soll früher mal Elche im österreichischen Wald
ausgesetzt haben. Und in seinem Haus entdeckt das literarische Gespann
Druckerplatten zur Geldfälschung von Pfundnoten. Edwards Vater
gehörte anscheinend zur Gruppe »Aktion Bernhard« (die es wirklich gab),
die für das Hitlerregime falsche Noten herstellte. Hitler wollte damit dem
englischen Markt überschwemmen um eine Inflation einzuleiten. Auch
Thomas Middelhoff, des Ex-Manager von Bertelsmann erhält einen
bizarren Auftritt.
„Wer die Phantasie und den Surrealismus so verachtet wie die deutschen
Schriftsteller und Kritiker und Professoren, dem bleibt nur übrig,
weiterhin ambitionslose, mittelmäßige und nicht überdauernde Kunst zu
produzieren. Eine Kunst der Feigheit, eine Kunst des Verrats. Eine Kunst,
die keine Kunst ist, sondern Langeweile.“
Witzig, poetisch, philosophisch, mit Symbolik behaftet, mal ins Klamauk
übergehend, ohne banal zu werden, begleiten wir Frank durchs
Salzkammergut, Geschichten in der Geschichte, als Puzzle
zusammengesetzt zum großen Ganzen.
»Der Kies schäumte röchelnd«, oder »Die Sonne lag dem Gras im Nacken«,
Sätze gezielt komisch-poetisch, mit viel Raffinesse gesetzt, lässt Lust
aufkommen, das Buch nicht nur einmal zu lesen.
Am See trifft der Schriftsteller Sofia, mit der er philosophiert und Arung
raucht. Handlung und abschweifende Gedanken von Frank leiten uns in
verschiedenartige Dimensionen der Erzählkunst. Was ist Wahrheit, was
Fiktion? Joshua Groß führt uns an der Nase herum, lässt uns nachdenken,
mitfühlen, lachen.
»Im Diffusen konnten sich die Polemiker profilieren, wir alle wurden
empfänglich für Verschwörungstheorien, die Paranoia wuchs, und die
anderen, die nicht einfältig waren oder geltungssüchtig, die Zarten, die
Komplexen, sahen aus wie Feiglinge, weil sie offenbar abhandenkamen.«
Anfangs hatte ich überlegt, die Kanten der Fotos gerade zu schneiden,
die ich ein wenig dicht am Einband abgeschnitten hatte, die nun zottelig
daherkommen. Das gehört zu diesem Roman dazu, zottlig, kein
Normschnitt. Großartige Literatur, mit Eigensinn verpackt, Danke an den
Verlag für das Wagnis, Danke an die Autoren für diesen Flash!
Faunenschnitt, nein! Wir wollen solche Literatur lesen! Die
wunderschönen Fotos, eingebunden in den Text lieben wir! Wir wollen
nicht den Einheitsbrei vorgesetzt bekommen! In diesem Sinn:
»In einem Tunnel schaute ich zweifelnd über die Oberkante meiner
Sonnenbrille und wusste, dass ich mich unmöglich meinen ‚Lustigen
Taschenbüchern‘ widmen konnte. (Pfeifend) I got so much on my mental.
»
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