Autorin
Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
zeitgenössische Romane
Rezension
Fluchtwege
von Sanro Veronesi
»Ich habe die falschen Fehler gemacht«
Der Tag hatte gut begonnen, das Leben im Allgemeinen lief gut, erzählt
uns der Icherzähler. Der Witwer Pietro Paladini ist zufrieden, er wohnt in
Rom, sein Autohandel »Super Car« bringt ihm ein gutes Einkommen, seine
Tochter geht auf das Gymnasium und Pietro hat eine reizende Geliebte.
Sie und ihre Kinder muss er zwar unterstützen, denn ihr drogensüchtiger
Exmann macht häufig Ärger, aber das ist für ihn kein Problem. Doch ganz
schnell bricht die Welt an einem Tag zusammen. Die Kundin, bei der er ein
Auto beschlagnahmen muss, flieht mit dem Audi Q3. Pietro verdient sein
Geld unter anderem damit, Autos per Gerichtsbeschluss einzuziehen,
deren Leasingraten unbezahlt bleiben und er kann die Wagen für die
Bank verkaufen. Er verliert dabei sein Handy, auf dem er alle Nummern,
Kontakte und wichtige Passworte gespeichert hat, wie das für den Safe,
sein Führerschein wird bei der Verfolgungsjagd eingezogen, das
Finanzamt beschlagnahmt alle Akten und die PC’s im Büro, seine Tochter
läuft von zu Hause weg, die Freundin wird wieder vom Ex bedroht und
flüchtet. Der Geschäftspartner liegt nicht im Krankenhaus, wie er
behauptet hatte. Er hinterlässt Pietro eine Nachricht, dass ihm alles
leidtue, Pietro habe unwissentlich geklaute Autos verkauft und er solle
sich auch lieber aus dem Staub machen.
»Wer soll mich schon finden, wo ich doch beschlossen habe, nicht da zu
sein? Wer wird mich verurteilen können für das, was ich bin, wenn
niemand weiß, was ich bin?«
Pietro überlegt, was er machen soll. Soll er sich der Polizei stellen? Er
wusste doch von nichts. Doch der Justiz vertraut er nicht, wir befinden
uns in Italien. Wer kann helfen? Pietro muss sich der Vergangenheit
stellen. Wir begleiten ihn nach Mailand, seinem alten Zuhause. Dort wohnt
die Schwester, bei der die Tochter nun wohnt. Wir begegnen in Luzern
der Witwe seines Vaters, seinem Bruder, der auch auf der Flucht ist, wie
einst der Vater. Die ganze Familie scheint auf der Flucht zu sein, aus
verschiedensten Gründen. »Sei ehrlich zu dir selbst«, etwas, das Pietro
schwerfällt. Auf der Suche nach sich selbst löst er Stück für Stück seine
Probleme.
Sprachlich dicht mit viel Humor, nah an der italienischen Seele, ein
wundervolles Buch, eigentlich. Am Ende läuft mir die Geschichte zu glatt,
zu einfach. Es wirkt, als wenn Sandro Veronesi am Ende selbst nicht
wusste, wohin das Chaos führt, was er damit bezwecken wollte. Aber
vielleicht ist gerade dieser banale Schluss italienisch. Lügner, Langfinger,
Halunken, falsche Freunde, Menschen die unschuldig mitgerissen werden,
Moral gibt es schon lange nicht mehr. Das alles ist Italien. Abducken,
fliehen, sehen was passiert, was man aushandeln kann, auch Kriminelle
können Freunde sein, wirkliche Freunde und letztendlich ist die Familie
alles.
»Ich bin niedergeschmettert. Ich habe noch nie jemandem so
aufmerksam zugehört und bemerke, dass zuhören viel anstrengender ist
als reden. Doch wie ich mich jetzt fühle, zählt nicht. Zählt nicht mehr.«
Wer Bandwurmsätze mit abweichenden Nebensätzen nicht mag, der
sollte die Finger von dem Buch lassen. Die Sätze kommen zielstrebig
immer zum Punkt zurück, bringen dem Leser in Gedankensprüngen die
Protagonisten näher, Bruchstücke, Erinnerungen, Beschreibungen. Mit
viel Humor berichtet Pietro aus seinem Leben. Sprachlich ist dies Buch für
mich bemerkenswert. Stück für Stück erfährt man von Pietro, dass gar
nicht alles in Ordnung ist in seinem Leben, nur kuschlig zugedeckt, gut
verpackt. Der Leser fühlt sich wie ein Beichtvater, geduldig zuhören, nicht
verurteilen und auch keinen Rat erteilen, denn wer sind wir schon, ein
Urteil fällen zu dürfen.
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