Autorin
Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
zeitgenössische Romane
Rezension
Gottes Werk und Teufels Beitrag
von John Irving
Hörbuch, 28 Stunden, 36 Minuten
gelesen von Johannes Steck
»Gute Nacht, ihr Prinzen von Maine, ihr Könige von Neuengland!«
Das klingt ein wenig nach den »Waltens«, gute Nacht John-Boy .... Ein
Klassiker, den ich mir noch einmal als Hörbuch anhören wollte, denn ich
liebte dieses Buch damals. Wir befinden uns in Maine, in den
Dreißigerjahren in einer ehemaligen Holzfällerstadt, die nun zur
Geisterstadt mutiert ist, St. Clouds. Im Waisenheim St. Cloud’s wird Homer
Wells geboren. Wir lernen seinem späteren Mentor, den Gynäkologen Dr.
Wilbur Larch kennen, der das Waisenhaus und eine Geburtsabteilung
führt. Heimlich betreibt er Abtreibungen. Er nimmt dafür kein Geld,
lediglich freiwillige Spenden für das Weisenhaus. Seine Einstellung basiert
darauf, dass er denkt, nur ein gewolltes Kind hat eine glückliche Kindheit,
ungewollte Schwangerschaften stürzen junge Frauen oft ins Unglück. Er
hilft den armen Seelen, Embryos bis drei Monate können abgetrieben
werden, Babys darf man nach der Geburt zurücklassen und Larch sucht
eine gute Adoptivfamilie für sie.
»Homer hatte noch nie gehört, wie Menschen Liebe machen oder wie Elche
sich paaren, aber er wußte, daß die Winkles sich paarten. Wäre Dr. Larch
zugegen gewesen, er hätte ganz neue Schlüsse gezogen hinsichtlich des
Unvermögens der Winkles, Nachwuchs zu produzieren. Er wäre zu dem
Schluss gelangt, dass die gewaltsame Sportlichkeit ihrer Paarung jedes
verfügbare Ei, jedes Spermium einfach vernichtete oder zu Tode
erschreckte.«
Nur Homer Wells kehrt immer zurück. Irgendwas geht in jeder Familie
schief. Larch liebt Homer wie ein eigenes Kind. Er möchte aus ihm einen
Arzt machen, einen Gynäkologen, einen Abtreibungsarzt. So bringt er
Homer alles bei, was er über Medizin weiß. Homer stellt sich aber gegen
die Abtreibung, seitdem er einen abgetriebenen Fötus gesehen hat. Er
verlässt das Heim, wird Apfelbauer.
»›gute Nacht, ihr Prinzen von Maine – ihr Könige Neuenglands!‹ sprach Dr.
Larch sie in der Dunkelheit an. … ›Freuen wir uns für Fuzzy Stone‹, sagte
Dr. Larch. … › Fuzzy Stone hat eine Familie gefunden‹, sagte Dr. Larch.
›Gute Nacht Fuzzy.‹«
John Irving ist ein begnadeter Geschichtenerzähler. Dieses Buch ist neben
großer Unterhaltung gespickt mit Humor und ein wenig Tiefgang. Das Buch
hat einen roten Faden, schweift in Nebengeschichten ab, die wieder auf
den Weg führen. Die Charaktere sind fein gezeichnet. Am Anfang sind Dr.
Lach und seine Krankenschwestern die Hauptpersonen, die Vater- und
Mutterrolle der Weisenkinder einnehmen müssen, aber keine Beziehung
aufbauen wollen, da sie in Familien vermittelt werden sollen, die
Abnabelung darf nicht schwerfallen. Die Weisenkinder schauen
sehnsüchtig, eifersüchtig denen hinter, die es geschafft haben. Das
Thema Abtreibung ist ein durchgehendes Thema, das aber nicht
moralisiert wird. Irving nimmt klar dazu Stellung, setzt sich für
Frauenrechte ein. Die Geschichte beginnt in den 30gern, in einer
konservativen Gesellschaft, Moral wird von der Kirche diktiert. Die
Leidtragenden sind immer die Frauen, natürlich auch die Weisenkinder.
Homer, wird von Dr. Larch unterrichtet, er fungiert als Assistent bei
Geburten und Abtreibungen, könnte sich das Studium gelinde gesagt
schenken. Dr. Larch drängt ihn zum Medizinstudium, doch Homer
verweigert sich. Eines Tages besuchen Wally und Candy die
Abtreibungsklinik und Homer geht mit ihnen mit. Wallys Vater ist der
Besitzer einer großen Apfelplantage, Homer wird Apfelpflücker, verbleibt
auf der Farm. Nun ist Homer die Hauptperson. Auch hier beschreibt John
Irving wundervoll die Landbevölkerung, Farmer, Saisonarbeiter. Homer
liebt Candy und Candy liebt Wally und Homer zugleich, eine skurrile
Dreiecksbeziehung beginnt. Und da ist noch Melony, ein Bär von einer
Frau, groß, kräftig, gefährlich. Sie liebt Homer. Und nachdem Homer aus
dem Weisenhaus verschwunden ist, verlässt auch sie ihr Heim dort, ist auf
der Suche nach ihm. Als Erntehelferin reist sie von Ort zu Ort, findet ihn
nicht, wird später Mechanikerin auf einer Werft, aber die Gedanken an
Homer lassen sie nicht los. Der 2. Weltkrieg hat begonnen, Amerika mischt
sich ein und Wally muss in den Krieg ziehen, gilt lange als vermisst und
kehrt lädiert zurück. In der Zwischenzeit haben Homer und Candy eine
Weise adoptiert, erzählen sie Wally. Homer ist Mitglied der Familie
geworden und Wally freut sich über das adoptierte Baby, da er selbst
keine eigenen mehr zeugen kann. Der Junge, Angel, wächst mit zwei
Vätern auf. Eine Männerfreundschaft, die Liebe zweier Männer zu einer
Frau, Vertrauen, Verdrängen, Lügen der Rücksicht wegen, der Stoff, der
eine gute Geschichten ausmacht. Der ethersüchtige Dr. Larch wird immer
älter, will sich nicht von einem Jüngeren ablösen lassen, sein Werk darf
nicht untergehen.
Am Ende zieht sich die Story ein wenig, es kommt streckenweise leichte
Langeweile auf, was beim Hörbuch noch mehr auffällt. Hier hätte Irving
ein wenig straffen können. Das gesamte Buch in wenige Worte zu fassen
fällt schwer. Es gibt zu viele Nebengeschichten und Thematiken, um
allumfassend eine Inhaltsangabe in Kürze zu schaffen. Skurrile Typen,
liebenswerte Figuren, ein Hauch von Maine Mitte des Zwanzigsten
Jahrhunderts, große Erzählkunst, ein Buch, das ich gern ein zweites Mal
genossen habe. In den USA ist der Roman sicherlich nicht bei jedem gut
angekommen. Abtreibung ist dort bis heute ein heikles Thema. Verfilmt
wurde der Roman bereits, ein Tipp für die Leute, die nicht gern dicke
Schinken lesen. Normalerweise gefallen mir Originaltitel besser als die
deutschen. Hier ist es ausnahmsweise andersherum. »The Cider House
Rules«, in Original, verweist auf die Regeln, die auf der Farm für die
Saisonarbeiter aufgehängt wurden, die kaum lesen können. Und wenn, es
schert sowieso niemanden.
»›Freuen wir uns für Doktor Larch‹, sagte Homer leise. ›Doktor Larch hat
eine Familie gefunden. Gute Nacht, Doktor Larch.‹«
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