Autorin
Sabine Ibing
»Ich bin weiß, aber ich identifiziere mich nicht mit den WASPs – den weißen
angelsächsischen Protestanten des Nordostens. Ich identifiziere mich
eher mit den Millionen von weißen Arbeitern ulster-schottischer
Herkunft, für die ein Studium nie in Frage kam. Für diese Menschen ist
Armut Familientradition. Ihre Vorfahren waren Tagelöhner in der
Sklavengesellschaft der Südstaaten, dann Farmpächter, dann
Bergarbeiter, und schließlich arbeiteten sie als Maschinisten oder im
Sägewerk. Amerikaner nennen sie Hillbillys, Rednecks oder White Trash.
Ich nenne sie Nachbarn, Freunde, Verwandte.«
J. D. Vance ist Jurist, Absolvent der Eliteuniversität in Yale und er
arbeitet als Risikokapitalanleger in Kalifornien. Doch er entstammt nicht
einer Familie der so genannten WASPs, sondern einer Familie der als
Hillbillys bezeichneten. Er erzählt in diesem Buch seine
Familiengeschichte. Seine Kindheit ist geprägt durch viele Umzüge, durch
ständig wechselnde »Väter«, Drogen, Religion, Gewalt, geprägt durch
seine Großmutter, die ihn liebte, Kraft gab, eine gute Erziehung, bei der
er ab der 10. Klasse wohnte. Aber diese Erzählung ist nicht einfach die
Geschichte eines Mannes, dann wäre der Stoff zu langweilig. Es ist die
Beschreibung seiner Herkunft, einer Gesellschaftsschicht, die immer arm
war, nie nach Höherem strebte, eine Gesellschaft, die durch Alkohol,
andere Drogen, Gewalt und Arbeitslosigkeit geprägt ist, eine Gesellschaft
der Abgehängten. Industriestandorte sind geschlossen, der einfache
Arbeiter findet keine Jobs, Hoffnungslosigkeit, wirtschaftliche Schieflage
tritt ein. Vance beobachtet gut, analysiert nicht. Er zeigt auf, wie eine
ganze Gesellschaft in Starre gefallen ist, immer war, Menschen die
jammern, sich selbst betrügen. Bildung ist nicht relevant, Arbeit nur so
lange interessant, soweit man sich nicht anstrengen muss und an der
Arbeitslosigkeit sind die da oben schuld. Verbalattacken,
immerwährende ruppige Sprache, Fäuste auf der Straße, sich prügelnde
Eltern, nimmt man mit der Muttermilch auf, wie Initiativlosigkeit. White-
Trash.
Vance wächst u.a. in Jackson, Kentucky, auf, das stark von der
Kohleindustrie geprägt ist. Arbeitslosigkeit und Trostlosigkeit herrscht
vor. Diners, Kentucky Fried Chicken, McDonald zum Frühstück, Mittag,
Abend, irgendwann kommt Tex-Mex dazu. Seine Großeltern zogen in den
40er-Jahren nach Middletown, Ohio, um der Arbeitslosigkeit zu
entgehen, gingen dann wieder zurück. Fluchen, Gewalt und die
Familienehre gehören zum Leben dazu. Männer achten auf Frau,
Tochter, Schwester, niemand darf ein Auge auf sie werfen. Gleichzeitig
gehen alle Männer fremd, setzen uneheliche Kinder in die Welt. Eine
harte Moral, die völlig widersprüchlich erscheint. Die Mutter ist
Krankenpflegerin und tablettenabhängig, wechselt alle paar Monate die
Männer. Der Großvater ist Alkoholiker, die Großmutter ist eine starke
Frau, die über die Familie wacht, Kraft gibt. Sie setzt irgendwann ihren
Mann vor die Tür.
Ein kleiner Abstecher bringt Vance zu seinem Vater, bei dem er eine
Weile wohnt. Diese religiöse Welt ist ihm fremd. Er darf seine Musik (Eric
Clapton) in diesem Haus nicht hören, verteufelte Musik. Ein Haus ohne
Freude, ohne Fluchen und Gewalt. Aber auch hier wird mit Prügel
diszipliniert, hart, ohne Emotion, nur zum Zweck.
Ohne Trump wäre dieses Buch völlig uninteressant. Er wird übrigens
auch nicht erwähnt. Aber man spürt die Vokabelwelt, die Wut, die aus ihm
spricht, hier sprechen Rednecks, seine Wähler. So sprechen Hillbillys, so
schimpfen sie, verachten andere, geben denen Schuld am eigenen
Versagen. Weißer, armer Zynismus ist schlimmer als schwarze Armut mit
Hoffnung auf eine bessere Welt, sagt Vance. Die Globalisierung ist
Schuld, so reduziert der arme Mann das Problem. Trump verspricht die
Arbeitsplätze zurückzuholen, Ordnung zu schaffen, wütende Sprache,
Versprechen, die sie verstehen, glauben wollen, er ist einer der ihren.
Diese Menschen halten nichts von den Washington-Eliten mit
geschliffener Sprache.
Hier spricht ein Stockkonservativer, Vance, der nichts von einem
Sozialstaat hält, in dem man sich mit Sozialhilfe die nächste Flasche
kaufen kann. Weniger Staat, mehr Eigeninitiative, Selbstdisziplin und
sehr viel Nationalstolz, dann geht es vorwärts. Vance hatte kein Geld um
nach der Schule seine Studiengebühren zu zahlen, die Kredite waren ihm
zu hoch, also bewarb er sich bei der Army, bei den Marines, zog in den
Irakkrieg. Die Army hat ihm Eigeninitiative, Selbstdisziplin und
Nationalstolz gelehrt, Grundlagen, um eisern sein Studium zu bestehen,
vorwärtszukommen in der Welt, hat ihm das Studium finanziert. Eine
Lösung hat nicht parat, das System zu ändern. Jeder ist für sich selbst
verantwortlich. Jeder kann es schaffen. The American Dream.
Muss man dieses Buch lesen? Nein, ich hatte mehr erwartet. Es war nicht
schlecht, hat Einblick in eine Gesellschaftsschicht gegeben, die für uns
Europäer fremd ist. Es gibt aber gute Romane, die das bereits vorher
wesentlich besser und spannender geleistet haben, wie z.B. »Montana«
von Smith Handerson, »Hart auf hart« von T.C. Boyle oder »Das zerstörte
Leben des Wes Trench« von Tom Cooper.
zeitgenössische Romane
Krims und Thriller
Historische Romane
Fantasy, Fantastic, SciFi, Utopien Dystopien
Sachbücher (für jedermann)
Kinder- und Jugendliteratur
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
zeitgenössische Romane
Rezension
Hillbilly Elegie
von J.D. Vance