© Sabine Ibing, Lorib GmbH         Literaturblog Sabine Ibing
Autorin Sabine Ibing
Der erste Satz: »Der Bombenanschlag, bei dem Mr. und Mrs. Khurana nicht anwesend waren, breitete sich flach und dröhnend aus und hatte seinen Ursprung unter der Kühlerhaube eines geparkten Maruti 800, wobei dieses Detail, das Detail mit dem Wagen, natürlich erst später bestätigt werden konnte.« 1996, Mansoor Ahmed, dreizehn Jahre alt, Muslim, befindet sich mit zwei Freunden, Brüdern, auf einem Markt in Delhi, als eine Bombe explodiert. Er ist leicht verletzt, hat einen Bombensplitter im Arm, verletzte Hände, die Freunde sterben. Was bedeutet dieser Anschlag für die Familien? Die Toten finden ihre Ruhe, aber die Zurückgebliebenen müssen mit dem Trauma leben. Vikas und Deepa Khuranad, Kaschmirs, die Eltern der toten Jungen, verarbeiten den Verlust auf verschiedene Art. Sie suchen im Gefängnis einen der Männer auf, der anscheinend für die Tat verantwortlich ist, der dann vor den Augen der Eltern ihres vermeidlichen Opfers gefoltert wird. Vikas ist Wirtschaftsprüfer, schmeißt seinen Job, um den als Dokumentarfilmer zu intensivieren, nun auf der Suche nach einem Anschlag, er will filmen, was bei einem Anschlag passiert, die Reaktion der Menschen festhalten. Deepa versteckt ihre Trauer hinter der Geburt der Tochter, die nach dem Anschlag gezeugt wird, umsorgt sie, lässt sie nie alleine, die Angst vor einer Bombe ist zu groß. Das Paar gründet eine Selbsthilfegruppe für Angehörige, die durch Bombenanschläge Familienmitglieder verloren haben: «Die Gesellschaft kleiner Bomben». »Deepa stellt sich vor, die Terroristen mit kochendem Öl zu verbrühen. Vikas schlug mit stumpfen Metallstangen auf ihre Köpfe ein. Afsheen dachte seltsamerweise darüber nach, ihnen etwas in die Augen zu injizieren. Sharif, eigentlich der übellaunigste von ihnen allen, war noch am zurückhaltendsten in seiner Fantasie. Ihnen rasch die Kehle durchzuschneiden würde reichen, dachte er.« Mansoor, der gern Programmierer werden möchte, studiert später in den USA Informatik. Dort erlebt er 9/11 und wird aufgrund seiner Religion erneut diskriminiert. Nach einer Zeit bekommt er unsägliche Schmerzen in den Armen und Händen, Nachwirkungen der Verletzungen, ein Phantomschmerz als Nachwirkung seines Traumas oder Überlastung? Er kehrt zurück nach Indien. »Sie können einfach nicht in Frieden leben, diese Muslime. Egal, wo sie auftauchen, befinden sie sich im Krieg.« Diese kleine Bombe setzt in kleinen Dosen ihr Gift weiter hinaus in die Welt, zerstört letztendlich die beiden Familien. Mansoors Eltern haben ein Geschäft in Delhi, können nicht wegziehen, leiden unter Demütigungen, denen muslimische Familien ausgesetzt sind. Durch die Betrügerei eines Hindus sind sie bankrott, Mansoor kann nicht in die USA zurück, das Studium weiterführen. Auch die Freundschaft zwischen den beiden liberalen Familien bröckelt unter der Religionslast und dem Bomben-Trauma. Der einen Familie war das Kind geblieben, der anderen waren zwei Kinder genommen. Mansoor engagiert sich nun bei einer NGO-Gruppe, die für bessere Haftbedingungen für mutmaßliche Terroristen eintritt. Die NGO geht davon aus, dass man meist die Falschen verhaftet hat. Es geht um genau diese Terroristen, die an dem Anschlag beteiligt waren, bei dem Mansoor verletzt wurde. Hier lernt er ein gleichaltriges Paar kennen, Ayub und Tara. Ayub ist aus Kaschmir. Als Tara ihn nach Jahren verlässt, fällt er in tiefe Depression. »Die Kaschmiri waren immer schon dreckig. Ein ganzer Winter geht vorüber, und sie baden nicht. Deshalb stinkt es so sehr in Srinagar.« Die Bombe damals hatte Shockie gelegt, der für die „Jammu und Kashmir Islamic Force“ kämpft, er ist der begnadetste Bombenbauer im Kaschmir. Viele kleine Bomben, die auf Märkten explodieren, die verglichen mit großen terroristischen Anschlägen nur wenig Unheil anrichten. Unheil genug für die Betroffenen. Shockie möchte auf die ungerechte Behandlung der muslimischen Bevölkerung aufmerksam machen. In seiner Trauer um Tara wendet sich Ayub an Shockie. Mansoor versinkt derweil in Gebete in der Moschee, engagiert sich bei der NGO. »Und weißt du, was passiert, wenn eine Bombe hochgeht? Dann zeigt sich die Wahrheit über die Menschen. Männer lassen ihre Kinder im Stich und laufen weg. Ladenbesitzer stoßen ihre Frauen zur Seite und versuchen, ihr Geld zu retten. Leute kommen und plündern die Läden. Eine Explosion enthüllt die Wahrheit über Orte. Vergiss nicht, dass das, was du tust, nobel ist.« Die Bombe, sei sie noch so klein, tötet nicht nur ihre Opfer, sie hinterlässt auch etwas bei Hinterbliebenen, bei allen, die sie hautnah miterlebten. Karan Mahajan geht hinein in seine Protagonisten, lässt den Leser erleben, was in ihnen vorgeht. Weshalb legt jemand Bomben, wie kommt er dazu, und was löst eine Bombe gesellschaftlich aus, auch bei denen, die gar nichts damit zu tun haben. Eine Sicht aus vielen Perspektiven, Täter und Opfer, Böse gegen Gute, wo verschieben sich diese Grenzen, wechselt einer die Seiten? »Nie hatte er jemanden mit solcher Leidenschaft gehasst wie Modi. … Es gab so viele Mörder in der Geschichte Indiens, aber keiner war so reuelos und ohne Scham wie dieses kapitalistische Politikerschwein.«   Autor Karan Mahajan wurde 1984 in den USA geboren, wuchs in Neu-Delhi auf und lebt in Austin, Texas. Sein erster Roman, »Family Planning« war für den »Dylan Thomas Prize« nominiert. Mit »In Gesellschaft kleiner Bomben« war auf der Shortlist für den »National Book Award 2016« und bekam den »Bard Fiction Prize », den »Young Lions Fiction Award 2017«, den »Rosenthal Family Foundation Award« der American Academy for Arts and Letters 2017, den »Muse India Young Writer Award 2016«, sowie den »Anisfield-Wolf Book Award for Fiction 2017«. Karan Mahajan steht auf »Grantas Liste der Best Young American Novelists 2017«. zeitgenössische Romane Krims und Thriller Historische Romane Fantasy, Fantastic, SciFi, Utopien Dystopien Sachbücher (für jedermann) Kinder- und Jugendliteratur
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben Krimis / Thriller Rezension
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In Gesellschaft kleiner Bomben von Karan Mahajan