Autorin
Sabine Ibing
Neonregen
von James Lee Burke
Ein Dave Robicheaux-Krimi
»Der Grund war einfach der, dass ich trinken wollte. Und es ging
nicht etwa darum, sanft wieder darin zu versinken, lässige
Manhattans in einer vornehmen Bar mit Mahagonitäferung und
Messingläufen, rot gepolsterten Ledernischen und langen Reihen
blank geputzter Gläser vor einem endlos langen Spiegel zu trinken.
Mich verlangte nach einer richtigen Dröhnung. Jack Daniel’s mit
Fassbier, Wodka auf Eis, Jim Beam pur mit einem Glas Wasser
dazu, scharfer Tequila, der einem den Atem raubt und den Schweiß
aus allen Poren treibt. ... Nach vier Jahren der Abstinenz wollte ich
mal wieder meinen Kopf mit Spinnen und Würmern und Schlangen
füllen, die sich an dem Teil von mir mästeteten, gegen den ich
jeden Tag auf’s Neue ankämpfte.«
Schon das Vorwort begeistert. James Lee Burke hatte mit seinen
drei ersten Romanen Erfolg. Doch dann schlitterte er auf ein tiefes
Loch zu. 13 Jahre lang konnte er mit keinem Buch landen. Sein
vierter Roman »The Lost Get-Back Boogie« wurde von 111 Verlagen
abgelehnt, wurde viel später von einem Verlag aufgenommen und
für den Pulitzer Preis nominiert. Aber eben nach 13 Jahren
Durststrecke empfahl ein Freund James Lee Burke, er solle einen
Krimi schreiben, er besäße das Zeug dazu und man bekäme nach
Vorlage der ersten Kapitel einen Vorschuss. Burke probierte es
sofort mit zwei Kapiteln ... der Beginn der Dave Robicheaux-Krimi-
Serie. Das Buch wurde verfilmt mit Tommy Lee Jones in der
Hauptrolle (»In The Electric Mist«). Mittlerweile umfasst die Reihe
zwanzig Romane. Dieser Krim ist von 1987, neu herausgegeben vom
Pendragon Verlag, der die Bände 1, 2, 7 und 16 neu auflegte.
Ein Klassiker der US-Krimis aus dem Süden, aus Louisiana. Dave
Robicheaux, Leutnant im ersten Revier des New Orleans Police
Department, wird zu einem Ganoven ins Gefängnis gerufen, der
zum Tode verurteilt wurde und nur noch ein paar Stunden zu leben
hat. Er mag Robicheaux, will reinen Tisch machen. Darum erklärt er
ihm, was man sich im Knast erzählt, wer dahintersteckt, konnte er
nicht herausfinden: Ein Killer wurde angeheuert um Robicheaux
platt zu machen.
Hatte er seine Nase zu tief in einen Fall aus einem anderen Bezirk
gesteckt, der ihn eigentlich gar nichts anging, wegen einer toten
Nutte, die er vor zwei Wochen beim Angeln gefunden hatte? Aus
der Ich-Perspektive lernen wir Dave kennen, ein aufrechter Bulle,
der den Slum um sich sieht, Korruption, Gewalt. Dave mischt sich nie
ein, soweit ihn die Sache nichts angeht. Dave, der verliebt ist, den
die Teufel in seinem Kopf verfolgen, Erinnerungen an Vietnam, der
Schnaps, der nach dem trockenen Alkoholiker ruft.
In diesem Fall fühlt er sich persönlich betroffen, es ist nicht
irgendeine dreckige Nutte, es ist eine junge Frau, die Tochter von
trauernden Eltern und irgendjemand hat etwas zu vertuschen,
warum? Was wusste sie? Niemand nimmt die Drohung gegen Dave
ernst, doch das ist ein Fehler.
»Ich konnte die Erinnerung an jene zehn Sekunden nicht
verdrängen zwischen dem Augenblick, da der Torwächter seine
Automatik aus der Seitentür gezogen hatte, und dem anderen, als
die .45er in meiner Hand losging und Seguras Kopf im Inneren des
Wagens zerplatzte. Ich war überzeugt, dass Segura im Gegensatz
zu den meisten bedauernswerten Typen, mit denen wir es sonst zu
tun hatten, ein wirklich abgrundtief böser Mensch gewesen war,
aber jeder, der schon mal auf einen anderen geschossen hat,
kennt das schreckliche, vom Adrenalin aufgeputschte Gefühl der
Allmacht und Arroganz, das einen in solchen Augenblicken
überkommt, und die heimliche Freude, mit der man auf die
Gelegenheit reagiert, die sich einem da plötzlich bietet. Ich hatte es
in Vietnam erlebt, und auch als Polizist war ich schon zweimal in
einer solchen Situation gewesen, und ich war mir der Tatsache
bewusst, dass das wilde, affenartige Wesen, von dem wir alle
abstammen, in meinem Innern überaus lebendig war.«
Dave Robicheaux ist ein guter Ermittler, einer, der nicht nur
sachlich an die Sache herangeht, sondern auch sein Bauchgefühl
springen lässt. Er kennt sich aus in seinem Barrio, in seinem Milieu,
weiss wie manche Dinge zusammenhängen. Und genau das kann
Burke gut beschreiben. Brutale Cops und brutale Gangster, die
aufeinanderkrachen, korrupte Cops. Fitzpatrick spricht Dave an,
der Mann von der CIA, benötigt Informationen. Er hält Robicheaux
für sauber.
»›Also seid ihr von der CIA?‹ - ›Sind Sie wirklich so dumm zu glauben,
dass die Regierungsmacht von einer einheitlichen Gruppe von
Leuten ausgeübt wird? So wie die Jungs von der Forstbehörde mit
ihrem Smokey-Bear-Anzügen?‹«.
Drogenbosse aus Mittel- und Südamerika scheinen gemeinsame
Sache mit US-amerikanischen Behörden zu machen, was ist los?
Wohin werden für wen Waffen verschoben? Für Fitzpatrick und
Robicheaux wird es brenzlig. Wer spielt hier mit wem und wo gibt es
undichte Stellen unter den eigenen Kollegen?
»Die finsteren Gedanken, denen ich nachhing, beunruhigten mich.
Meine Erfahrung als langjähriger Alkoholiker hatte mich gelehrt,
meinem Unterbewusstsein nicht zu trauen, da es mich auf
raffinierte Weise immer wieder in Situationen gebracht hatte, die
für mich, für die Menschen um mich oder für alle Betroffenen oft
genug katastrophale Folgen gehabt hatten.«
Die Gewaltbereitschaft auf der einen Seite wie auf der anderen ist
erschreckend. Robicheaux selbst, ein empathischer Mann, mit
einem Herzen für die einfachen Menschen ist nicht minder
zimperlich. Bedrückend ist auch die Selbstgerechtigkeit der
Obrigkeit, die die Ordnung aufrecht erhalten soll, gleichzeitig sie
im wahrsten Sinn zerschlägt. Die innere Zerrissenheit Robicheaux
tritt zu Tage, unverarbeitete Traumata aus Vietnam, Flashbacks,
Alkohol, Selbstmitleid. Er lebt auf einem Hausboot auf dem Lake
Pontchartrain, auch wundervolle Landschaftsbeschreibungen
fließen in den Roman ein. Dave Robicheaux ist ein Mensch, kein
Supermann. Genau das macht diesen Roman für mich aus, er
schafft Atmosphäre für Louisiana, man sieht die Landschaft, spürt
die Hitze, die hohe Luftfeuchtigkeit, fühlt, wie die Menschen ticken,
Schwarze, Weiße, Angloamerikaner, Shrimps und Austern mit
scharfer Soße zu schmutzigem Reis, auf Sandwiches. Ein
gesellschaftskritischer Krimi, unterschwellig politisch. Mehr geht
nicht.
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