Autorin
Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
zeitgenössische Romane
Rezension
Putins Weiber
von Stefan Gärtner
«Das ist doch gar nicht falsch. Natürlich kann man erst kein Glück und
dann Pech haben. Das Gegenteil von Glück ist ja nicht unbedingt Pech,
sondern Nicht-Glück.«
Putin nennen ihn seine Freunde, er ist auf den Namen Waldemar
getauft, Waldemar Winkelhoch. In einer Zeitung war damals fälschlich
vom russischen Ministerpräsidenten Waldimir Putin die Rede. Und schon
ulkten die Freunde, nannten Waldemar Putin. Einmal Spitzname, immer
Spitzname. Er ist ein Publizist in den Dreissigern, schreibt die Kolumne
für eine TV-Zeitschrift und arbeitet seit ewigen Zeiten an einem Roman.
Er hat sich gut im Leben eingerichtet, ein Zauderer, der nichts Neues
wagt. Zumindest bis zu dem Tag, an dem sich Vera von ihm vorerst
trennt, zugibt ihn betrogen zu haben und vorgibt, vielleicht
zurückzukehren, aber erst dann, wenn auch Putin einen Seitensprung
gewagt hat. Der Zustand des Alleinseins steht Putin nicht gut. Seinem
besten Freund Georg gefällt die Idee von Vera, er erinnert sich an alte
Studentenzeiten. Putin war beliebt bei den Frauen. Und da gab es diese
und jene, die Putin umschwärmten. Warum hast du damals nicht ..., fragt
Georg.
Daraus folgt die Logik Georgs, was einmal war, ist immer noch ... So
begibt sich Putin auf die Suche nach den Damen. Maraike, die nun als
Psychotherapeutin eine Praxis betreibt, Mimi, die in Finnland wohnen soll,
Marie eine Lehrerin. Putin sagt über sich selbst, er schlafe zu viel, trinke
zu viel und hadere zu viel.
«,Sie wollte‘, fängt er an und sieht sehr passend in den Rückspiegel,
,mehr von mir als ich von ihr. Ich wollte … Ich wußte nicht, was ich wollte.
Sie wußte es.‘ ,Sie wußte, was du wolltest?‘»
Haben diese Frauen 15 Jahre auf Putin gewartet?
«,Gut siehst du aus.‘ ‚Danke‘, sagt Marie, ,das höre ich öfter, wenn auch
nicht aus so berufenem Munde‘ Putin macht ein Froschgesicht. ,einmal
Experte, immer Experte. Ist wie Fahrradfahren, verlernt sich nicht.‘»
Putin auf der Suche nach den Frauen, auf der Suche nach sich selbst,
kramend in der Erinnerung, diskutierend im Jetzt. Er hadert, macht sich
Gedanken, kreist von hier nach da, verliert sich in sich selbst.
Kneipengespräche, Reminiszenzen bei einer Bratwurst am See zwischen
alten Freunden. Gespräche mit der jugendlichen Anhalterin, die ihn als
harmlos und vertrauenswürdig einstuft. Schwarzer Humor durchzieht
das Buch, hin und wieder gibt es einen Brüller. Wie ergeht es Putin mit
den Frauen? Manch eine erkennt ihn nicht gleich, eine andere sofort.
«,Wie die Zeit vergeht‘, sagt sie schließlich. ,Eben saß ich noch mit
meinem kleinen Studentinnenherzen in meinem kleinen
Studentinnenzimmer vor einem Telefon, das nicht klingelt, und fünfzehn
Jahre später steht aus heiterem Himmel der Arsch vor mir, der nicht
angerufen hat. Aber immerhin, er steht vor mir.‘»
Vera sitzt derweil in Berlin. Auch sie hadert, weiß nicht was sie will.
»Ich bekomme Zustände, dachte Vera. Man will ein Leben und was man
bekommt, sind Zustände.«
Vera ist im Rückblick nicht Putins große Liebe, sie war halt da und man
richtete sich ein. Putin ist trotz aller Intellektualität ein Trottel. Oder
vielleicht deswegen. Weibliche Leser werden ihn nicht lieb gewinnen, die
Weichherzigen könnten ihn bemitleiden. Georg ist keinesfalls der
Sympathieträger.
In Ermangelung von Kommunikation freundet Putin sich plötzlich mit den
Nachbarn an. Im Haus gibt es eine Wohngemeinschaft und im Haus lebt
Evelyn. Bei der könnte man es auch probieren. Für einen modernen
Bukowski ist Putin zu ordentlich und zu gepflegt, zu harmlos, denn das ist
er allemal. Aber die Richtung stimmt tendenziell.
An vielen Stellen philosophisch oder poetisch, an der anderen Seite ein
Kracher oder leise, mit tiefgründigem Humor, ein Buch, das Spaß macht.
Gärtner erzählt einmal als auktorialer Erzähler und wechselt
zwischendurch in die Ich-Perspektive. Amüsante Männergespräche: Der
eine berichtet, er sei aus Umweltschutzgründen hinausgeworfen
worden. Er war zu akkurat als Umweltschützer. Man wirft nicht einfach
etwas in die Landschaft. Es ist aber ziemlich dämlich, sagt ein anderer,
es in der Hosentasche zu lassen. Der Leser, dem Literatur ein
Vergnügen ist, sollte sich diesen Roman zulegen, ein Genuss, trotz
Schachtelsätze. Vielleicht in diesem Fall deswegen.
»Er schaut mit Dackelblick und arretierten Gesichtszügen, weil er sich
nicht vorstellen kann, daß sie das Prickeln seiner Kopfhaut nicht hört,
und die Scham über die Lüge mischt sich mit der Furcht vor der
nächsten, denn Marie wird fragen, wo er die Nacht verbringt, und die
Wahrheit wird er unbedingt für sich behalten. Und gegen den aus naher
Nachbarschaft heranbrandenden Zweifel, wie wünschenswert es
eigentlich sei, einen aufregenden Abend mit der garantiert
unverheirateten Mona gegen einen analytisch aufgeladenen mit der
garantiert verheirateten Marie einzutauschen, ergänzt er, als Mann der
forschen Tat und weil er nun einmal hier ist: ,wo ich nun einmal hier
bin.‘»
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