Autorin
Sabine Ibing
»Der Weg durch den Canyon war schmal, steinig und malerisch.
Zumindest empfand John das so. Zwischen den mit ockerrotem
Geröll übersäten, sanft ansteigenden Flanken zu beiden Seiten des
Tals wuchsen Mulla-Mulla-Wildblumen, die wie ein Heer grüner
Gartenzwerge mit spitzen zartrosa Hüten zwischen großen und
kleinen Gesteinsbrocken hervorspähten.«
Ein spannender Thriller, der in den Outbacks von Australien spielt,
die weiten, wenig besiedelten und meist trockenen Gebiete im Inland
von Australien und an den abgelegenen Küsten. Sally Storer ist allein
in der Wildnis unterwegs, überlegt sich, ob sie sich, ob sie sich
umbringen soll. Es kommt allerdings anders: Sie rettet Leben. An der
Uferböschung eines Flusses, dem Warburton Creek, liegt ein Mann,
mehr tot als lebendig. Sally schafft es, ihn mit der Seilwinde ihres
Wagens hochzuziehen und ihn durch kurze Pflege auf die Beine zu
bringen. Wer ist dieser Typ, wo kommt er her? Er weiß es selbst
nicht, leidet an einer Teil-Amnesie, kann sich nicht an seine Identität
erinnern. Die Farmerstochter nimmt ihn mit nachhause, damit der
noch angeschlagene Mann sich erholen kann. Doch auf der
Schaffarm wartet der nächste Schock, Sallys Vater ist
verschwunden. Ein sehr misstrauischer Polizist namens Scanlan
quetscht Sally aus. Sie stellt ihren Begleiter als John, einen alten
Freund von der Uni vor. Das glaubt der natürlich nicht, kündigt
Nachforschungen an. John erfährt, bereits ein paar Wochen zuvor
ist Sallys Ehemann verschwunden, sie steht unter Verdacht, etwas
damit zu tun zu haben, und nun fehlt vom Vater jede Spur. Ist John
der Geliebte, mit dem sie die Männer zusammen beseitigte?, fragt
sich der Polizist. Ein Suchtrupp schwärmt aus. Der Vater wird
gefunden, tot. Sally und John müssen den Mörder finden und
natürlich den Ehemann, tot oder lebendig, um den Verdacht von
sich selbst zu nehmen. Und was haben die die Paakantyi-Aborigines
mit dem Ganzen zu tun? John wird dringend auf der Farm
gebraucht, die Familie muss einen Vertrag erfüllen, 800 Schafe
müssen zusammengetrieben werden.
Alex Winter hat einen temporeichen Plot vorgelegt, spannend, mit
vielen Wendungen. Kenntnisreich berichtet er aus den Outbacks,
vom harten Leben auf den Farmen, von Schafzucht und er
beschreibt mit viel Atmosphäre Landschaft und Menschenschlag.
Aber nicht nur diese Beschreibungen sind gut gelungen. Sally ist
eine taffe Frau, die mit Werkzeug und Auto wie ein Mechaniker
umgehen kann, auf der anderen Seite sich auf ihr Pferd setzt,
hinausreitet, wenn ihre Gedanken sich im Kopf überschlagen. Zäune
ausbessern, setzen, die Schafe zusammentreiben, scheren, mit dem
Gewehr umgehen, eine Frau in den Qutbacks ist an diese Arbeiten
gewohnt wie ein Mann. John, der nicht weiß, wer er ist, erfährt
einiges über sich. Er kann Fährten lesen, kennt sich in den Outbacks
aus (wenn auch nicht in diesem Bereich), er weiß, wie Aborigines
denken. Er sieht aus wie ein Weißer, aber seine Narben auf der
Brust weisen auf Stammesrituale hin, es muss Aborigineblut in ihm
fließen. Auch hier gute Beschreibungen der Ureinwohner, technische
Beschreibungen.
Aber genau hier harkt für mich gleichzeitig die Geschichte, nämlich
in der Amnesie. John weiß nicht, wer er ist und interessiert sich keine
Bohne dafür, bis zum Ende vom Buch. Das ist psychologisch nicht
nachvollziehbar. Hier bin ich und wer ich bin, interessiert mich nicht?
Er glaubt, er sei ein guter Mensch, aber so ganz sicher ist er sich
nicht. Auch alle anderen interessiert es nicht. Für mich als Leser ist
das Ganze auch in anderer Sicht nicht nachvollziehbar. Zu Anfang
vom Buch werden alle Hauptfiguren kurz beschrieben, warum auch
immer. Und hier finden wir als Erstes jemanden, der im Buch
sozusagen nicht auftaucht: »Daryl Simmons (alias John Rivers): der
Mann ohne Erinnerung.« Es heißt auch: »Daryl Simmons 6. Fall«. Das
ist mein erster Roma von Alex Winter und man sagte, das Buch kann
man lesen, ohne die anderen zu kennen. Gut, das Buch ist in sich
abgeschlossen, das Ende deutet darauf hin, es geht weiter. Aber als
Leser fühle ich mich ein wenig allein gelassen, wenn diese Amnesie
nicht aufgelöst wird, denn das Handeln des Protagonisten ist mir oft
nicht schlüssig, hier knarzt es gewaltig. Technische und
landschaftliche Beschreibungen sind sehr gelungen. Hin und wieder
holpert die Perspektive, was den meisten Lesern sicherlich nicht
auffällt.
An manchen Stellen waren mir die Beschreibungen im Weg, zu viel,
klangen wie ein Reiseführer. An anderen Stellen waren sie
unpassend. Hier stimmen die Figuren nicht.
»Mulligen rümpfte die Nase. »Steht da drüben zwischen dem
eineinhalb Meter hohen Hopebush und diesem jungen, stinkenden
Gidgee Tree.«
Solche Dialoge ließen mich schmunzeln. Hier erklärt der Autor dem
Leser durch den Mund von Polizist Mulligen etwas, was dieser nie
sagen würde. Ein Einheimischer erklärt anderen Einheimischen die
Pflanzen und schätzt dabei auch noch die Höhe? An solchen Stellen
klappert es im Dialog. Liest man darüber hinweg, so ist der Thriller
insgesamt spannend und atmosphärisch.
Alex Winter, geboren in der Schweiz, absolvierte die
Kunstgewerbeschule in Zürich. Er bereiste während vieler Jahre
Australien, Neuseeland und die Südsee. Er kennt sich aus in
Australien, das ist spürbar bis in den letzten Zeh, Top-
Australienfeeling.
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