Autorin
Sabine Ibing
»Als er so im Nordatlantik treibt, erkennt Scott, dass ihm nie klarer
war, wer er ist und was sein Ziel ist. Es liegt auf der Hand. Er wurde in
diese Welt gesetzt, um diesen Ozean zu besiegen und diesen kleinen
Jungen zu retten.«
Der Privatjet des Medienmoguls David Bateman startet mit elf
Fluggästen und stürzt nach fünfzehn Minuten beim Flug von Martha’s
Vineyard nach New York ins Meer. Der Maler Scott Burroughs
überlebt, kämpft sich durch die Fluten, er ist sportlich fit. Dann hört
er ein Kind schreien, JJ, den 4-jährigen Sohn der Batemans. Er
schafft es, mit fast unmenschlicher Kraft, sich und den Jungen zu
retten. Gibt es weitere Überlebende? Was ist passiert? Warum stürzt
ein technisch einwandfreies Flugzeug bei gutem Wetter unter der
Führung von erfahrenen Piloten ab? Wurde manipuliert, wenn ja,
von einem Insassen oder von außen, lag vielleicht doch ein
technischer Fehler vor oder war es menschliches Versagen?
Scott Burroughs, der Maler, der in seinem Leben nichts auf die Reihe
bekam, wird berühmt, er wird als Held gefeiert. Leyla Leslie Mueller,
eine Milliardärin und Kunstliebhaberin steht in Dauerschleife von
Langeweile, interessiert sich für ihn und versteckt Burroughs in Ihrer
Villa vor der Presse. Aber wer ist dieser unbekannte Künstler, der
Katastrophen malt, bei denen Massen sterben, wie z.B. einen
Flugzeugabsturz. Was ist seine Intension? Hat er das Unglück
inszeniert, überlebt, um berühmt zu werden? Überhaupt, wie kam
der arme Schlucker an Bord, hatte er ein Verhältnis mit Batemans
Frau?
»CNN, ABC, CBS, sie verkauften die Nachrichten wie Lebensmittel im
Supermarkt: für jeden etwas. Aber die Menschen wollten nicht nur
Informationen. Sie wollten auch wissen, was sie bedeuteten. Sie
wollten Perspektiven. Sie wollten etwas haben, worauf sie reagieren
konnten. Ich stimme zu, ich stimme nicht zu ... Seine Idee war es, die
Nachrichtensendungen in einen Club der Gleichgesinnten zu
verwandeln ...«.
Und Bateman selbst? Hatte man es auf den Medienmann abgesehen,
wollte man ihn mundtot machen? Denn warum waren er und seine
Familie stets von einer Schar Securityleuten umgeben? Und der Chef
der Security-Gruppe, Batemans Bodyguard, mit an Bord, wurde er
vielleicht für einen Mord bezahlt? Lebt er noch? An Bord waren auch
Ben und Sarah Kipling. Der Finanzmanager könnte sich als Betrüger
entpuppen, insolvent, die Börsenaufsicht war ihm bereits auf der
Spur. Wollten Hintermänner die Spuren verwischen, um ihn
umzubringen? Nicht zu vergessen, das Personal an Bord, was haben
diese drei Personen zu verbergen? Warum wurde der Copilot kurz
vor dem Abflug gewechselt? Ermittler Gus Franklin und das FBI haben
genug zu tun, um Licht in die Sache zu bringen.
»Der David Bateman, den ich kannte« sagte er, »mein Boss und mein
Freund, könnte durch ein technisches Versagen oder einen
Pilotenfehler nicht umgebracht werden. Er war ein Racheengel, ein
amerikanischer Held. Und ich für meinen Teil bin davon überzeugt,
dass wir es hier mit nichts Geringerem zu tun haben, als mit einem
Terrorakt, verübt wenn nicht durch Ausländer, so doch durch
Elemente der linken Medien. Ein Flugzeug stürzt nicht einfach ab,
Leute. Dies war Sabotage.«
Bill Cunningham, Chef-Sprecher bei Batemans Nachrichtensender
ALC, der bei Bateman auf der Abschussliste stand, sieht seine Zeit
gekommen. Er agiert ganz im Sinn der Yellow Press: Laut sein,
aufbauschen, beschuldigen, lügen. Hauptsache, die Quoten stimmen.
Der kleine JJ. ist nun der Erbe eines Millionenimperiums. Seine Tante
und einzige Verwandte ist testamentarisch als
Erziehungsberechtigte eingesetzt und muss für JJ. einen Teil des
Vermögens verwalten, der sich auf mehrere Millionen und diverse
Immobilien und KFZ’s beläuft. Sie ist für JJ. verantwortlich. Wo soll er
aufwachsen, welche Schulen soll er besuchen? Muss sie ihr einfaches
Leben aufgeben und mit ihrem Mann in eins der Häuser der
Batemans ziehen, sich verändern, um dem Jungen einen
angemessenen, gewohnten Lebensstil zu bieten? Ihr geldgieriger
Ehemann, ein Loser, ist ganz versessen auf die Millionen, rechnet
rauf und runter. Doch er hat nichts zu sagen, oder doch? Hatte er
etwas mit dem Absturz zu tun?
Noah Hawleys legt Spuren, wir springen in der Rückblende von Person
zu Person, zwischendurch in das Jetzt. Wird sich JJ. erinnern können,
wird er wieder sprechen, hat Scott Burroughs wahrlich für die
Minuten vor dem Unfall das Gedächtnis verloren? Gekonnt nimmt
Hawleys die Yellow Press auseinander, zeigt am Beispiel Cunningham
die Gewissenlosigkeit und die Tricks. Detektive werden von ihm
engagiert, Telefone abgehört, das Innerste von Menschen durch den
Dreck gezogen, alles Namen der Einschaltquoten.
Die Figuren sind glaubhaft, entsprechen keinem Klischee. Der
Hauptprotagonist Burroughs, ein namenloser Maler, bekommt nun
plötzlich als Held Aufmerksamkeit für seine Bilder. Eine gelangweilte
Millionärin, die Künstler »macht«, ist an ihm interessiert, er könnte
ihrem inhaltlosen Leben eine Weile Farbe geben. Berühmt wird man
nicht durch Können, sondern durch einflussreiche Menschen. Und
dann folgt gleich Misstrauen und Neid. Ein Mann der Katastrophen
malt, wird Held in einer Katastrophe. Das kann ja nur eines bedeuten
… Und auf der anderen Seite J.J., der kleine Junge, der Eltern und
Schwester verloren hat, verstummt ist. Mit Burroughs, seinem Retter,
redet er. Er wird zu seiner recht unbekannten Tante gesteckt, die mit
einem Säufer zusammenwohnt, der seine Chance auf Erfolg über
das Erbe wittert. Das soll nun seine Familie sein?
Mich hat das Buch begeistert, denn es nicht einfach ein Thriller.
Angelegt ist der Roman als sogenanntes Zwiebelbuch. Intensive
Charakterbeschreibungen und Lebensgeschichten zu allen
Beteiligten, fein verteilt, lassen den Leser im Ungewissen. Die
Protagonisten werden aufgebaut und Sympathien reißen ein, bauen
auf. Stück für Stück kommen Schicksale ans Licht, der Leser bleibt im
Ungewissen. Fast jeder hat etwas zu verbergen, bzw. eine
verdächtige Vergangenheit oder möglicherweise Kontakte ins
Dunkle, die angedeutet werden, theoretisch möglich wären … Was
war vor dem Fall? Hier führt der Autor den Leser hinters Licht, in
seinen eigenen Vorurteilen. Kleine Informationen, die des Lesers
Fantasie laufen lassen, man fühlt sich ertappt, die Klischee-Falle
schnappt zu, erwischt.
Hawley, Jahrgang 1967, ist derzeit ein großer Stern der Roman- und
Drehbuchwelt in den USA. Niemand hatte daran geglaubt, den Film
»Fargo« der Coen-Brüder, in eine Serie umzuschreiben, zumindest
nicht zu einer erfolgreichen. Hawley hat es geschafft. Neben der
dritten Staffel dreht er derzeit ein »X-Men-Spin-off« und schreibt an
dem Drehbuch für »Vor dem Fall«.
zeitgenössische Romane
Krims und Thriller
Historische Romane
Fantasy, Fantastic, SciFi, Utopien Dystopien
Sachbücher (für jedermann)
Kinder- und Jugendliteratur
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
Krimis / Thriller
Rezension
Vor dem Fall
von Noah Hawley
Hörbuch, Gesprochen von: Matthias Koeberlin
Spieldauer: 13 Std. 07 Min. ungekürztes
Hörbuch