Autorin
Sabine Ibing
Interview mit Tim Pröse
(von Sabine Ibing)
Tim Pröse, geboren 1970 in Essen, ist Autor und Journalist in
München. Während seines Studiums zur
Kommunikationswissenschaft jobbte er als freier Mitarbeiter bei
der WAZ, Rhein-Neckar-Zeitung, Berliner Zeitung, Hamburger
Morgenpost, Die Woche. 1996 war er bei der Abendzeitung
München Volontär, später Redakteur für die »München-
Reportage«, schließlich Chefreporter der Abendzeitung. Seit
2002 arbeitet Tim Pöse beim Focus in den Ressorts »Menschen«
und »Reportage«. Seine einfühlsamen zeitgeschichtlichen
Porträts wurden mit dem »Katholischen Medienpreis«
ausgezeichnet.
S.I: Du bist Journalist und da liegt es nicht fern, ein Sachbuch zu
schreiben. Dein großes Thema waren immer die Lebenswege
von Widerstandskämpfern, Lebensrettern, die Juden halfen,
Verfolgten, Holocaust-Opfern und deren Hinterbliebenen. Mit
vielen dieser Menschen hast du gesprochen und sie porträtiert
in dem Buch: „Jahrhundertzeugen - die letzten Helden gegen
Hitler“. Wie bist du auf diese Idee gekommen, was hat dich
angetrieben und wie lange hast du an dem Buch letztendlich
gearbeitet?
T.P.: Ich habe immer mit der Arbeit zu diesem Buch gewartet,
bis ich einmal meinen festen Job als Redakteur verliere - oder,
wie es jetzt geschehen ist, ihn aufgegeben habe. Für diesen Tag
x hatte ich all meine Interviews und Erinnerungen an die
Begegnungen mit meinen „Helden“ in den vergangenen 20
Jahren aufgespart. Denn ich wusste, dann beginnt ein neues
Leben und dann hast du die Zeit und Ruhe für ein Buch. Und so
gab ich meinen Job beim „Focus“ vor 15 Monaten auf und
begann sofort mit dem Schreiben. Fast ein Jahr dauerte es
dann. Nur ein Jahr! Denn ich hatte ja 18 „Helden gegen Hitler“ in
all der Zeit „gesammelt“, sie getroffen und interviewt. Nun
wurde es Zeit, sie zu versammeln in meinem Buch. Sie zu
verewigen.
S.I: Ewald-Heinrich von Kleist, der Hitler töten sollte, Wilm
Hosenfeld, den Held aus »Der Pianist«, die Letzte, die auf
Schindlers Liste stand, Anne Franks Cousin Buddy Elias, Hans
Rosenthal, der sich vor dem Holocaust in einem Schrebergarten
versteckte, du hast sie alle kennengelernt. Wer hat dich am
meisten beeindruckt?
T.P.: Am stärksten bewegte mich die Begegnung mit Berthold
Beitz, dem Patriarchen des Stahlgiganten ThyssenKrupp. Er
rettete im Zweiten Weltkrieg 1500 Juden. Er zog sie aus den
Zügen, die sie nach Auschwitz bringen sollten. Er hatte über
diese Rettungstaten kaum geredet. Bis er 92 Jahre alt war. Da
gelang es mir als erstem Journalisten, ihn dazu zu bewegen. Mit
einem "seiner“ Juden, einem der letzten Überlebenden, bin ich
bis heute befreundet. Jurek Rotenberg aus Israel. Mit 88 Jahren
will er nun nach Deutschland ziehen. Ausgerechnet in das Land,
in dem sie ihn töten wollten. Aus Heimweh nach der deutschen
Kultur. Nach dem Land von Goethe und Bach.
S.I: Hast du einen eigenen familiären Bezug zum Holocaust?
T.P.: Nein, keinen. Nur den üblichen: dass meine Großeltern mir
wenig von dieser Zeit erzählt hatten. Das hatte meine Neugierde
schon als Kind entfacht.
S.I: Du bist angeblich der erste Journalist in Deutschland, der
eine kriegstraumatisierte Soldatin begleitete. Du berichtest,
über einen Zwischenfall, bei dem ihr Kamerad von einer
Granate getroffen und schwer verletzt wurde. Sein Gesicht ist
entstellt. Sie hatten vorher noch darüber gestritten, wer am
Steuer sitzen darf, wobei der Mann sich durchgesetzt hatte. Du
schilderst die Schuldgefühle der Frau. Für diesen Artikel hast du
den »Katholischen Medienpreis« erhalten. Wie sehr fühlt man bei
solchen Interviews mit? Wie distanziert kann man innerlich
bleiben?
T.P.: Ich habe dort nur eine Auszeichnung bekommen, nicht den
ganzen Preis. Aber ja, man fühlt sehr mit. Sonst erfährt man
nichts von den Gefühlen seiner Protagonisten. Das Mitfühlen,
wenn es aufrichtig ist und behutsam, ist ganz entscheidend,
wenn man emotional schreiben möchte. Und natürlich bin ich
nach solch einer Recherche mitgenommen. Oft habe ich sogar
die immer so streng angemahnte Distanz verloren. Das ist der
Preis. ich glaube, dass man selbst zwischen Euphorie und
Niedergeschlagensein pendeln muss, wenn man Gefühle
glaubwürdig beschreiben will. Ich glaube sogar, dass man im
ganzen Leben jeden wirklichen Moment des Glücks und der
Leichtigkeit mit einem schweren und traurigen bezahlen muss.
Erst dann kannst du gut darüber schreiben.
S.I: Du hast eine Menge Reportagen über Prominente
geschrieben, wie Curd Jürgens und Udo Lindenberg. Dabei
schaffst du es, die Personen als normale Menschen zu zeigen,
mit allen Stärken und Schwächen, ganz ohne Glanz und Glimmer.
Wie schaffst du es, soweit an die Persönlichkeit
heranzukommen.
T.P.: So ganz ohne Glanz beschreibe ich die gar nicht. Ich lasse
sie schon leuchten. Ich schreibe oft über Prominente, die ich
selber sehr bewundere. Und gebe auch hier die angeblich so
notwenige Distanz zumindest phasenweise auf. Die Promis
spüren dann hoffentlich, dass meine Begeisterung echt ist und
geben mir dafür etwas Echtes zurück. Ich glaube, sie wissen gut
zu unterscheiden zwischen Schmeichlern und Bewunderern. Und
die meisten öffnen sich, wenn man ihnen offenherzig zeigt,
warum man sie bewundert. Mit Udo Lindenberg halte ich das so
seit 25 Jahren. Ich habe ihn auch dann glänzen lassen und
ehrlich bewundert, als er ganz unten und in kleinen Sälen
aufgetreten war. Das hat er nicht vergessen. Und so schrieb er
für mein Buch nun diese wunderbaren Sätze: „Die Menschen in
diesem Buch trugen ein Feuer in sich. Wir müssen es bewahren.
Dieses Buch betet nicht die Asche an, sondern reicht die Flamme
weiter.“
S.I: Deine Reportagen drehen sich immer um Menschen, so zum
Beispiel auch die, über das »Haus Sonnweid« bei Zürich, ein Heim
für Alzheimer-Patienten. Was reizt dich am Thema Mensch?
T.P.: Ich habe nur dieses Thema. Ich kenne mich ansonsten mit
keinem anderen aus. Ich kenne nur einige Menschen gut oder
ich darf sie gut kennen lernen und ich weiß und schreibe auf,
was sie von innen her bewegt. Das ist alles.
S.I: Bei Frau Maischberger war vor kurzem Nora Illi zum Thema
IS zu Gast, eine komplett verschleierte Schweizerin. Es gab viel
Kritik zu der Sendung. War es journalistisch richtig, solch einer
Frau Platz für ihr Menschenbild zu geben? Die einen sagen, sie
hat sich selbst diskreditiert, die anderen schimpfen, sie machte
Werbung für den IS.
T.P.: Ich glaube, sie hat beste Antiwerbung für ihre Sache
geleistet.
S.I: Fakemeldungen schwirren herum, haben angeblich die
Wahl des US-Präsidenten beeinflusst durch russische Bots
worden. Jeder Mensch kann sich in der seriösen Presse
informieren im TV. Aber wird nicht auch hier Meinung fabriziert?
Ich denke nur an die Flüchtlingsdebatte. Am Anfang waren sich
alle einig, wie wunderbar Frau Merkels Entscheidung war und
dann kippte TV und Print zur anderen Seite, derzeit schwenken
wieder alle auf pro-Flüchtlinge. Berichte, Spielfilme, Reportagen,
die Medienwelt ist groß ... Kann man die Volksmeinung lenken?
Haben wir neben Facebook-Enten eine „Lügenpresse“, die uns
alle manipuliert?
T.P.: Wir haben es mit leider etwas ganz anderen, einem neuen
Phänomen zu tun: dass nämlich jeder herausplärren kann, was
er an Hass in sich aufgestaut hat. Nicht nur dank der neuen
„Meinungsfreiheit“ auf facebook und co. Auch die angeblichen
„Lügepresse“-Medien haben durch ihre Kommentarfunktionen
unter jedem online-Artikel eine Schleuse geöffnet für alle
Meinungen dieser Welt. Was ja zunächst einmal gut ist. Nur
dringt durch diese Schleuse eben auch aller Müll und Geifer, den
diese Menschen vor der Digitalisierung der Medien in sich
reingefressen hatten beim Zeitungslesen. Nun haben die
Hassenden, die Drohenden und die Verblendeten eine
Öffentlichkeit bekommen. In der sie ihre Lügen verbreiten.
Unter jedem meiner Online-Artikel über Anne Frank, Sophie
Scholl oder anderen Opfern der Nazizeit treffen sich Dutzende
Holocaustleugner und Rechtsausleger mit ihren Parolen. Und mit
ihren Lügen. Manchmal ärgert mich das. Aber meistens bin ich
glücklich, dass die Botschaften meiner „Helden“ bis heute nicht
verhallen, bis heute dringend gebraucht werden. Und dass ich
sie in meinem Buch verewigen durfte.
S.I: Ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen.
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