Autorin
Sabine Ibing
Interview mit
Sandra Matteotti
(von Sabine Ibing)
Sandra, ich würde dich der Einfachheit halber als Allrounder und
Lebenskünstlerin vorstellen. Du bist Dr. der Philosophie, hast einen Master in
Germanistik, arbeitest als freie Journalistin und Lektorin, führst einen Blog
namens Denkzeiten: Philosophie, Literatur und das ganz normale Leben.
http://denkzeiten.com
Dort berichtest du über Bücher, Schriftsteller und gibst uns mit deinen
täglichen philosophischen Gedanken manch Nachdenkliches auf. Du hast zu
zeichnen begonnen und neu häkelst du auch noch. War das dein Ziel, als du
damals dein Studium begonnen hast?
Sandra: Ein konkretes Ziel hatte ich sicher nicht, zumindest dachte ich nicht,
dass ich dann irgendwann mal gerne häkeln werde, als ich mich für ein
Studium an der philosophischen Fakultät entschied (nachdem ich mich zuerst
für Medizin eingeschrieben hatte, dann aber wegen der vielen Chemie mit
Juristerei begann und nach der absolvierten Zwischenprüfung beschloss,
dass ich lieber etwas Schöngeistiges hätte statt trockener Paragraphen). Die
Juristerei streifte ich dann im Rahmen meiner Dissertation nochmals und
befand sie dann als gar nicht mehr so trocken, im Gegenteil. Ich habe mir
das Studium mit Deutsch- und EDV-Unterricht verdient, war als
freischaffende Journalistin auf der Piste, arbeitete als
Datenbankentwicklerin in einer Privatbank und als Paralegal Tax in einer
Wirtschaftskanzlei. Ich bin wohl vom Naturell her einfach sehr neugierig und
interessiert. Den Rest erspar ich hier mal, da ich wohl eh schon weit
abgeschweift bin (eine Schwäche...).
Kurze Antwort: Ja und nein... irgendwie ;)
Sag ich doch, Allrounder, Lebenskünstler …
Du rezensierst Bücher. Bei dir finde ich glücklicherweise gute Literatur,
solche Bücher sind in der Bloggerwelt heute nicht so einfach aufzuspüren.
Vor Kurzem hast du mit dem Malen begonnen und sehr viel Häme erhalten,
als du die Erstlingswerke präsentiert hast. Ich fand es sehr mutig, die
Gehversuche ins Netz zu stellen. Selfpublisher stellen oft ihre unlektorierten,
fehlerhaften Bücher ins Netz. Kann man das vergleichen?
Sandra: Ich denke nicht, aus verschiedenen Gründen. Beim Malen gibt es
nicht grundsätzlich richtig oder falsch (klar gibt es Techniken, die man
lernen kann und bei denen man Dinge dann richtig oder falsch machen
kann). Es gibt ganz viele verschiedene Stile, es kommt immer drauf an, was
man will. Ich will kein realistischer Maler sein, dazu fotografiere ich zu gut
und zu gerne. Ich mag Illustrationen, mag es, Dinge zu vereinfachen. Vor
allem mag ich es, Dinge schnell zu Papier zu bringen. Wer dann meint, er
müsse irgendwelche Perspektiven beanstanden, die in seinen Augen nicht da
sind, dann zeigt der eher seine Natur als dass er meine Zeichnung
disqualifiziert. Ich kann alle Perspektivenarten zeichnen – einwandfrei, habe
das lange genug geübt. Das ist aber schlicht nicht mein Anspruch in einem
„quick sketch“. Und nein, ich bin nicht perfekt, es ist ein weiter Weg dahin, wo
ICH hinwill. Wer mich wo anders haben will, soll am besten ganz weit weg von
mir. ;)
Nun aber zu den Büchern: Grammatik ist leider nicht so frei wie die Malerei,
hier gibt es richtig oder falsch. Beim Aufbau einer Geschichte gibt es zwar
grundsätzlich viel mehr Offenheit, aber auch da gibt es etwas, das eine
Geschichte haben muss: Sie muss packen – und zwar den Leser. Ich habe mal
ein Buch fürs Lektorat erhalten, das strotzte vor Fehlern. Ich schrieb dem
Autoren, dass er doch wenigstens einmal drüber lesen solle, denn da seien
plötzlich Figuren im Zimmer, die nie reingekommen sind, Menschen wechseln
ihre Namen, etc. Der gute Mann meinte, das sei sein Stil, der müsse
UNBEDINGT so bleiben. Ich habe das Lektorat abgelehnt. Denn: Das ist
vielleicht Stil, aber ganz schlechter.
Heute wird wenig Wert auf Lektorat und Korrektorat gelegt. Jeder denkt, er
könne ja schreiben (und ja, grundsätzlich klappt das gut, einfach
Buchstaben aneinanderreihen), das reiche schon. Wer einen möge, der lese
sicher gütig über die Fehler hinweg. Das mag bei Orthographie stimmen, da
viele Leser die auch nicht beherrschen, bei grammatischen Fehler wird es
schwieriger und beim Aufbau der Geschichte, der Wahl der Konflikte, deren
Auflösung, etc.... da wird es ganz eng. Und da trotz allem immer Herzblut in
einem Buch steckt, finde ich es halt sehr schade, wenn Bücher durch die
Maschen fallen, weil sie grundlegende (und korrigierbare) Dinge
vernachlässigen.
Schwierig ist halt auch, einen Lektoren zu finden, der wirklich weiß, was er
tut. Irgendwie scheint es heute so zu sein, dass jeder, der gerne liest, denkt,
er wäre deswegen auch ein guter Lektor. Das führt oft zu Frustrationen bei
den Autoren und sie denken sich (verständlicherweise), dass sie so das Geld
auch sparen könnten.
Auch wichtig zu wissen: Ein Lektorat ist noch kein Korrektorat. Auch da gibt
es gerne Vermischungen. Ich korrigiere zwar Fehler auch während des
Lektorats, wenn sie mir auffallen, allerdings fallen sie mir beim Lektorat viel
weniger auf, als wenn ich einfach normal ein Buch lese – da sticht mir jeder
Fehler ins Auge. Wieso? Weil ich mich beim Lektorat auf ganz andere Dinge
konzentriere. Dabei werde ich ein wenig betriebsblind (wie man es auch bei
eigenen Texten oft wird).
Nach welchen Kriterien suchst du Bücher aus? Welche Romane interessieren
dich? Du bekommst auch Verlagsbücher zugesandt, liest du sie alle?
Sandra: Ich suche Bücher nach ihren Themen aus. Wenn mich ein Thema, das
behandelt wird, anspricht, kommt das Buch in meine Auswahl. Ganz selten
reicht schon ein Autor, der mich in der Vergangenheit überzeugte. Die
Bücher, die ich von Verlagen kriege, lese ich alle an. Wenn sie mich nicht
packen, leg ich sie weg.
Wie viel Seiten gibst du einem Buch? Brichst du Bücher ab? Wenn ja, warum?
Und bewertest du auch angelesene Bücher?
Sandra: Mir die Zeit erstens zu schade, sie mit nicht lesbaren Büchern zu
verschwenden, zweitens würde daraus sowieso keine positive Rezension,
insofern ist der Verlag wohl fast besser dran, wenn ich es weglege. Ich habe
mal begonnen, Rezensionen von nicht fertig gelesenen Büchern zu
schreiben. Ich denke ja nicht grundsätzlich, dass diese Bücher keinem
gefallen, oft ist es auch Geschmacksache, aber ich habe es dann doch
gelassen. Zu schreiben, aus welchen Gründen mir ein Buch nicht gefällt, hilft
einem Leser wohl auch nicht wirklich weiter, da soll er besser ganz frei an
das Buch herangehen.
Es hat noch nie so viele Bücher wie heute gegeben. Der Massendruck hat zur
Verflachung des Buchmarkts geführt, meine Meinung. Und deine? Wie findet
man gute Bücher?
Sandra: Sehe ich genauso. Ich frage mich bei vielen Büchern, was ein Lektor
darin gesehen hat, als er sie durchwinkte und damit in den Verlag aufnahm.
Schreiben ist ein bisschen zu einem Jekami geworden. Das macht die
Büchersuche um einiges schwieriger als sie früher war. Online Romane zu
kaufen finde ich grundsätzlich immer schwieriger, es sei denn, man hat eine
Rezension gesehen, die einen wirklich überzeugte. In der Buchhandlung kann
man wenigstens in Bücher reinlesen – das hilft ab und an doch, da ich einige
Bücher schon nach den ersten Seiten weglege... Es gibt Romane, da weiß ich
schon beim ersten Satz, dass das mit uns nichts wird. Ein wenig mehr Zeit
gebe ich dem Buch. Aber meistens bestätigt sich der Eindruck.
Leider sprechen mich immer weniger Bücher an. Ob das an mir liegt oder
daran, dass es immer mehr nichtssagende und verwirrende Bücher gibt,
weiß ich nicht. Oft habe ich das Gefühl, Autoren bemühen sich heute, so zu
schreiben, dass man gar nicht mehr weiß, was einem da überhaupt erzählt
werden soll. Ich frage mich dann immer, wieso man nicht einfach erzählt,
was man erzählen will, sondern es in unglaublich bemühende Strukturen
packt. Das ist vielleicht so ein neumodischer Trend, weil man immer wieder
denkt, das Rad neu erfinden zu müssen. Ich persönlich mag runde Räder.
Was würdest du einem Selfpublisher empfehlen, zu tun, bevor er dir sein
Buch zur Kritik freigibt?
Sandra: Er soll mich erst mal fragen, ob ich es überhaupt haben will. Und er
muss mir auch nicht erzählen, dass ich sein Buch sicher lieben werde und
überhaupt etwas verpassen würde, wenn ich es nicht lesen würde. Und er
soll mir das Buch nicht in einem Massenmail anbieten, ich werde – wenn
schon – gerne selber angeschrieben. Sonst klingt es etwas unglaubwürdig,
dass das Buch exakt meinen Geschmack trifft... E-Books muss man mir gar
nicht anbieten, die lese ich schlicht nicht. Das hat nichts mit Nostalgie zu tun,
ich lese einfach sehr ungern am Bildschirm.
Du bist Lektorin, eine ziemlich gute, wie ich finde. Das ist ein Job und der
Autor ist dein Kunde. Man muss nicht mögen, was man liest. Ist es schwer
etwas zu lektorieren, zu dem man keinen Bezug findet? Erzähl mir ein wenig
über kauzige und uneinsichtige Autoren, du musst keine Namen nennen.
Sandra: Danke für die Blumen! Ein Beispiel brachte ich oben. Ich habe einmal
eine Kindergeschichte lektoriert, mit deren Inhalt ich wenig anfangen
konnte. Trotzdem fand ich den Aufbau grundsätzlich gut, es war alles drin,
was eine Geschichte braucht, es war kindgerecht. Ergo: Der Autor hat alles
richtig gemacht. Wir haben das Buch durch das Lektorat noch klarer
gemacht, die Geschichte hat dadurch gewonnen. Das ist ein schönes
Erlebnis, wenn der Autor nachher sagt: Jetzt gefällt es mir wirklich, so ist es
super, genau das wollte ich. Deswegen liebe ich diese Arbeit.
Es gibt in der Tat Genres, die ich nicht lese. Ob ich sie lektorieren würde? Ich
tendiere zu nein, denn ich bin mit den Strukturen da nicht so vertraut, wie ich
es für meine Arbeit und meine Ansprüche erwarte. Klar kenne ich die
theoretischen Aufbaumaximen, aber ich sehe Lektorat nicht als
mechanisches Abarbeiten von Theorien. Bücher müssen leben, sie verdienen
ein Lektorat, das alles aus ihnen herausholt, was in ihnen steckt. Ich bleibe
da lieber in meinen vertrauten und geliebten Gewässern und überlasse
andere anderen. Ich denke aber, man merkt es einem Buch an, ob ein Lektor
hinter dem Text und dem Genre steht oder nicht.
Hast du es schon einmal abgelehnt, ein Buch zu lektorieren und warum?
Sandra: Ja, schon mehrfach. Ich lehne dann ab, wenn ich meinen Namen
nicht unter ein Buch setzen möchte, weil es mir vom Inhalt her nicht passt
(Gründe dafür können vielfältig sein). Unterbezahlt arbeite ich auch nicht,
ich überlasse Lektoren mit Hungerlohnpreisen gerne dieses Feld, um das sie
mit immer noch tieferen Preisen buhlen, und nutze die Zeit selber für etwas
anderes. Das Argument, das Autoren gerne ins Feld führen, dass sie leben
müssen und drum nicht mehr zahlen können, gebe ich gerne so zurück: Ich
habe auch meine Rechnungen zu zahlen.
Nun hätte ich es fast vergessen! Herzlichen Glückwunsch! Die Schweizer
Wirtschaftszeitung hat dich auf Platz 13 bewertet, von den Menschen, die am
präsentesten, bzw. bekanntesten in der Social Media in der Schweiz agieren.
Du bist eine Berühmtheit! Ist es dir wichtig, dich mitzuteilen, in der
Öffentlichkeit zu stehen?
Sandra: Mich mitzuteilen ist mir ein Bedürfnis, ja. Ich habe viele Ideen, ich
interagiere gerne, ich diskutiere gerne. In der Öffentlichkeit will und muss
ich nicht stehen, das liegt mir nicht wirklich und war auch nie ein Anliegen
von mir. Meine Internetpräsenz wuchs eigentlich aus der Lage heraus, dass
ich als alleinerziehende Mutter mit einem SNF-Projekt für meine Dissertation
mehrheitlich allein zu Hause saß und das Internet die einzige Möglichkeit für
einen Austausch war. Am Anfang tobte ich mich in Elternforen aus, dann
kam Facebook irgendwann – und meine Blogs natürlich. Ich muss schreiben,
ich kann nicht ohne. Und mittlerweile gilt das auch fürs Zeichnen und Häkeln.
Das Leben ist bunt, das Leben ist schön. Eine Statistik macht das nicht aus, es
sind mehr die Inhalte, die man dem Leben selber gibt.
Welche drei Bücher haben dich in den letzten drei Jahren so richtig
begeistert? Welchen druckfrischen Roman würdest mir raten zu lesen und
von welchem soll ich lieber die Finger lassen?
Sandra: Huff – ich habe ein Spatzenhirn – oder ein Nudelsieb anstelle des
Gehirns. Ich kann dir wohl kaum Titel nennen.... da mich immer wieder neue
Bücher begeistern oder eben auch frustrieren. Aber ich geh mal in meinen
Blog und suche
;-))Bin mal schnell weg - Wieder da:
Joël Dicker: Über den Fall Harry Quebert
(http://denkzeiten.com/2015/01/18/joel-dicker-die-wahrheit-uber-den-fall-
harry-quebert/)
David Foenkinos: Charlotte
(http://denkzeiten.com/2015/08/31/rezension-david-foenkinos-charlotte/)
Arno Geiger: Alles über Sally (http://denkzeiten.com/2012/06/17/arno-
geiger-alles-uber-sally/)
Die Liste ist sehr willkürlich und absolut nicht die Realität wiederspiegelnd, da
selektiv und aus dem Bauch heraus hier und heute entschieden ;)
Finger weg? Die habe ich sowieso vergessen, da gleich weggelegt. Nur einer
ist mir noch im Kopf: Ein neues Buch über die Familie von Thomas Mann. Ich
habe mich freudig draufgestürzt, da ich alles über Thomas Mann lese (und
alles von ihm gelesen habe), nur: Es war eine herbe Enttäuschung.
Plätscherte so dahin, streifte kleine, nichtssagende Geschichtchen und hatte
gar nichts vom Charakter, vom Flair Thomas Manns und dessen Familie.
Ich danke dir, dass du dir Zeit genommen hast, meine Fragen zu
beantworten. “Harry Quebert “ fand ich übrigens auch ziemlich gut.
Sandra: Sehr gerne!
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