Autorin
Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
zeitgenössische Romane
Rezension
Das zerstörte Leben des Wes Trench
von Tom Cooper
Hörbuch, 9 Std, 58 Min,
gelesen von Johannes Steck
Ein Buch, das mit dem ersten Satz einen Sog entwickelt:
„Sie tauchten aus dem dunklen Schlund des Bayou auf wie Gespenster, erst
ein geisterhaftes Licht im Nebel, dann das Rattern des Motors: ein
Aluminium-Rennboot, das über lackschwarzes Wasser schoss.»
Wes lebt lebt im Bayu in der Nähe von New Orleans in dem Örtchen
Jeannette am Golf von Mexiko, dem Barataria Bay. Fünf Jahre zuvor hatte
Hurrikan Katrina den Ort verwüstet, die Häuser und Boote der berühmten
Shrimpsfischer zerstört. Viele Menschen haben es nie geschafft, sich von
dieser Katastrophe zu erholen. Wes’ Mutter war damals von einer
Flutwelle mitgerissen worden, als die Dämme von New Orleans einstürzten.
Sie wurde nie wieder aufgefunden. Kaum hatten die Menschen Zeit, Luft zu
holen, geschah ein neues Unglück. Die «Deepwater Horizon», eine
Ölplattform des BP-Konzerns leckte und überschwemmte den fischreichen
Bayu mit Öl, eine der größten Umweltkatastrophen der Welt.
Aufzugeben ist keinem Bewohner in den Sinn gekommen. Das hieße das
Leben aufgeben.
„Die Barataria war seine Heimat, auf Gedeih und Verderb. Was immer das
hieß."
Die Fischer arbeiten hart, können kaum von den wenigen Shrimps leben,
die sich in ihren Netzen befinden. Armut, Perspektivlosigkeit, ein Leben in
Schulden und ein Leben mit Scheuklappen, von einem Tag zum nächsten.
»Sie pressten nur Blut aus den Steinen.«
Einige ergeben sich dem Schicksal und lassen sich für guten Lohn von der
Ölgesellschaft zur Reinigung von Pelikanen anstellen. Wes, der Sohn eines
Shrimpfischers, träumt vom eigenen Boot. Er denkt weiter als der Vater,
hat ein Touristenkonzept im Kopf, glaubt von den Shrimps allein nicht mehr
leben zu können.
«Sie fingen Shrimps und Krabben. Sie wilderten Alligatoren wegen ihres
Leders, fingen Bisamratten und Nutria wegen ihrer Fälle. Das war noch zu
Zeiten der Großeltern und Urgroßeltern.»
Entzweit mit dem Vater arbeitet Wes für den einarmigen Fischer Lindquist.
Der wiederum ist parallel mit einem Metalldetektor auf Schatzsuche, ein
tablettensüchtiger Säufer, der Klopf-Klopf-Witze liebt. In den tiefen
Sümpfen des Bayu sucht er nach versunkenen Goldmünzen des
Freibeuters Jean Lafitte, die er zwischen den Mangroven oder auf den
kleinen Inseln vermutet. Dabei kommt der den brutalen Toup-Zwillingen
auf die Schliche, die auf einer der abgelegenen Inseln Marihuana
anbauen. Dafür interessiert sich Lindquist nicht. Doch die Toup-Brüder
sehen das anders, vermuten, er will sie an die Polizei verraten. Sie stehlen
Lindquist seine teure Prothese. Cosgrove und Hanson, zwei halbseidene
Typen, sind auch auf der Suche, nach genau dieser Insel, wollen sie
heimlich abernten. In einem weiteren Strang ist Bady Grimes für BP
unterwegs, um die Geschädigten der Ölkatastrophe aufzusuchen, sich
einzuschmeicheln und sie mit Lügen zu überreden, eine
Verzichtserklärung zu unterzeichnen. Die Leute sollen ein Papier
unterschreiben, das eine großzügige Abfindung vorgaukelt: Gutes Geld
sofort, ungewiss eine jahrelange Klage … Für Manchen scheint dies
schnelle Geld die Rettung zu sein.
Eine spannende Geschichte, eingebettet in wundervolle
Naturbeschreibung aus dem Sumpf, samt gefräßiger Alligatoren, Moskitos,
Schlangen, wilder Hunde. Ein soziales Gefüge, das auseinanderbricht,
sterbende Kulturen, sterbende Landschaften.
«Das grüne Leuchten der Zypressen in der Abenddämmerung, die Cajun-
Stimmen, salzig und rau …» Der Roman zeigt nicht nur, was hinter
Katastrophen steht, sondern spricht auch mit Liebe von Heimat.
«Die Barataria war seine Heimat, auf Gedeih und Verderb. Was immer das
auch hieß. Heimat, das war der torfige Geruch von Louisianamoos im
ersten Frühlingsregen. Die Termitenschwärme Anfang Mai. Der Lärm der
Sumpffrösche im Sommer. Die Heuschrecken am Tag. Die Grillen bei Nacht.»
Eine Welt, in der Natur und Mensch miteinander ihr Auskommen hatten,
damals. Als Sumpfratten bezeichnen die Amerikaner die Bewohner dieses
Gebiets. Verschrobene Typen, Menschen, die nicht gewillt sind, ihre Heimat
aufzugeben, harte Arbeiter, verschlagene Charaktere, Kleinkriminelle,
skurrile Begebenheiten und Macken, ein Roman der von seinen
Protagonisten lebt. Trotz aller Düsternis und Dramatik besitzt dieses Buch
eine gute Portion Humor. Im Original lautet der Buchtitel „The Marauders“
(Die Plünderer). Ein passender Titel meiner Meinung nach, denn es geht
nicht um Wes, sondern um alle Hauptakteure.
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