Autorin
Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
zeitgenössische Romane
Rezension
Alle Eulen
von Filip Florian
Der Anfang: : »Zunächst fiel, nach Neujahr, das Glück vom Himmel.
Wahrhaftig.«
Das Buch beginnt mit einem Streich von Lucin, der auch gleich mit einer
Tracht Prügel endet. Man fühlt sich an Michel aus Lönneberga erinnert.
Emil Stratin kann den Jungen vor dem Schlimmsten bewahren.
Lucin, elf Jahre alt, trifft in den Karpaten auf Emil Stratin, 1940 geboren.
Es entwickelt sich eine Freundschaft zwischen den beiden. Lucin erzählt
Emil von seinem Leben, seinen Streichen, Dorftratsch und Emil berichtet
von seinem Leben unter der rumänischen Diktatur. So könnte man das
Buch kurz zusammenfassen. Schachtelsätze, lange Sätze, empfindet
der Leser oft als Zumutung. Hier keinesfalls. In hoher Erzählkunst
berichtet Stratin beiläufig über die Zeit der Militärdiktatur Ceaușescus,
der Schauer, kriecht dem Leser langsam herauf, bis er ihn erfasst. Emil
beherrscht es, mit Eulen zu kommunizieren, was Lucin fasziniert. Der
Schrei der Eulen, des Nichtvergessens. Stratins Vater und Großvater
waren damals von der Securitate inhaftiert worden. Der Großvater
wurde von der Prinzessin gerettet, die sich Ketten und Armbänder
wünschte und der Großvater er kundigste Goldschmied war. Der Vater
kehrt mit zerstörter Seele heim. Der Kommunismus hatte alles
verstaatlicht, Haus, Hof, Tier.
»Wenn man klein ist, kann man Verschleppung für Entspannung halten
und ein Arbeitslager für eine Veranstaltung auf der grünen Wiese,
später allerdings erscheint einem ein Deutschstämmiger nicht mehr als
stämmiger Mensch und ein Donnbass nicht mehr als anhaltend tiefer
Ton, das Ächzen, Stöhnen und Schreien aber tönt weiter über Raum und
Zeit und gewährt die Einsicht, wieso Lili in der verrückten Welt des
Lagers verlangt hatte, mit den Männern zu arbeiten, nachdem sie
erfahren hatte, wie viele am Ende der Nachtschicht zu Tode kamen.
Der herzkranke Ingenieur Stratin hat sich in das Karpatendorf
zurückgezogen, um seine Memoiren zu schreiben. Lucin ist ein Lausbub
mit frecher Klappe, doch nicht ohne gewisse Lebensklugheit. Er wird
von seinen Eltern vernachlässigt. Traurig zu lesen, wie ein Anruf einer
fernen Tante am Abend die Mutter daran erinnert, dass der Junge
Geburtstag hat. Der vom Schnaps abgestürzte Vater muss noch mal
aufstehen, den Jungen umarmen und küssen. Wenigstens einmal im
Jahr, weil sich das so gehört. Und die Mutter lässt sich dazu hinreißen
einen Pfannkuchen zu backen. Geburtstagsfeier zu Ende. Die
Geschichte wechselt zwischen Stratins Erinnerungen und den
Erzählungen von Emil, seinen Streichen. In letzteren Passagen tritt
unverblümter Humor hervor, denn Emil hat so einiges auf Lager. Der
Leser erholt sich von schwermütigen und abgründigen Passagen. Doch
auch Emil hat schöne Erinnerungen:
»Ihre braunen Locken erinnerten wie gewöhnlich an den Schokoguss
auf den Eclairs«
Filip Florian ist Meister der Prosa, der Metaphern.
»Im Übrigen nahm der Abendhimmel die Farbe an, was Stumböen auch
für den nächsten Tag ankündigte. Die blauen Stellen schimmerten rosa,
die Wolken lila, der Dunst am Horizont spielte ins Weichselrot, und die
Zinnen der Gebirge röteten sich, als würden sie mit Paprika gewürzt.«
Anfangs sind die Erzählstränge von Lucin und Emil klar getrennt,
wachsen später weiter zusammen. Man erkennt die gediegene Sprache
von Emil, und den plappernden Lucin. Doch Lucin verändert seine
Sprache, er wird älter, erwachsen. Und so vermengen sich die beiden
Erzähler zu einem. Der Leser ahnt, welche Bedeutung das Mädchen Lia
für Emil hat und weshalb die Freundschaft zu Lucien ihm wichtig ist. Ein
Buch auf hoher Erzählkunst, das man immer wieder in die Hand nehmen
kann, immer wieder etwas Neues findet. Prosa vom Feinsten, Bilder,
Gerüche, die im Kopf aufgehen, Sätze die auf der Zunge zergehen.
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