Autorin
Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
Historische Romane
Rezension
Der Anschlag
von Stephen King
Hörbuch, 33 Stunden, 20 Minuten gesprochen
von David Nathan
Jake Epping, ein Lehrer mit einem ganz normalen Leben, erfährt eines
Tages ein Geheimnis von seinem Kumpel Al, der bald sterben muss.
Warum konnte Al seine fetten Burger in seinem Imbiss so billig anbieten?
Ganz einfach, er ging jeden Tag sein Hackfleisch im Jahre 1958 einkaufen.
Unglaublich, im Keller der Imbissbude existiert ein Zeitloch!
Al hatte sich immer vorgenommen, das Attentat auf John F. Kennedy in
1963 zu verhindern, um die Zeitgeschichte positiv zu beeinflussen. Das soll
nun Jake erledigen, denn Al schafft es nicht mehr. Und Jake lässt sich
darauf ein. Egal wie viel Zeit man in der Vergangenheit verbringt, bei der
Rückkehr sind nur zwei Minuten vergangen, ein verlockendes Angebot
für Jake. Nun könnte Jake hinübergehen, Lee Harvey Oswald abknallen
und zurückkehren. Da aber bis heute nicht geklärt ist, ob Oswald ein
Einzeltäter war oder jemand anderes dahintersteckte, will sich Jake den
Mann zunächst ansehen, sich überzeugen, den richtigen zu töten. Also
muss er sich in der Vergangenheit einen Job besorgen und sich dort
einrichten, fünf Jahre Oswald beobachten. Und nun befinden wir uns in
einer Welt, in der Rassentrennung herrscht, große, spritfressende Autos
gefahren werden, Big-Bands und Elvis in sind, Tanztees veranstaltet
werden, Nigger, Juden und Schwule ausgeschlossen werden. Und Jake
begegnet Sadie Dunhill, er verliebt sich. Oswald entpuppt sich einerseits
als leicht gestörter Querkopf und Kommunist, er schlägt seine Frau,
macht aber andererseits nicht den Eindruck eines Killers.
Dieses Buch als Fantasy zu bezeichnen, wäre völlig falsch. Bis auf die
Tatsache der Zeitreise, würde ich diesen Roman eher in die historische
Ecke bringen. Im Nachwort beschreibt King seine Recherche. Er hat viele
Bücher zum Thema gelesen, als Stapel gemessen, höher als er selbst,
dazu enorm viel Zusatzrecherche getrieben, um Oswald und seine
Umgebung, die ganze Epoche um den Beginn der Sechziger zu
beschreiben. Literarisch zähle ich dies Buch zu den besten von King. Aber
der Roman ist kein reiner Geschichtsroman, sondern ein
zeitgeschichtlicher Gesellschaftsroman, der eine Romanze einbindet, ein
wenig Pulp-Fiction.
Bevor sich Jake seiner eigentlichen Aufgabe zuwendet, versucht er ein
Verbrechen von damals zu korrigieren, kehrt zurück, um zu prüfen. Es ist
nicht alles zu seiner Zufriedenheit gelaufen, das Schicksal nimmt seine
eigenen Wege. Schon hier beschreibt King, den sogenannten
Schmetterlingseffekt: Ich verändere eine kleine Kleinigkeit und das Ganze
zieht eine Lawine hinter sich her, wie umfallende Dominosteine, die
Veränderung löst eine Kettenreaktion aus. Mit dem Ergebnis ist Jake
nicht zufrieden und möchte es nochmals korrigieren.
Eigentlich kehrt Jake nicht weit zurück in der Geschichte. Gut 50 Jahre,
was ist das schon? Doch er fühlt sich wie ein Aussätziger, braucht eine
Weile, sich einzugewöhnen. «Der Fänger im Roggen», ein Aufsehen
erregendes Buch das keinesfalls in eine Schulbibliothek gehört, Jake ist
verwundert. Man spricht eine Sprache, die nicht die seine ist, er muss
aufpassen, nicht die falschen Ausdrücke zu benutzen, sich zu
verplappern mit seinem Wissen aus der Zukunft, seine liberale
Einstellung fällt auf.
King lässt sich wie immer Zeit mit seinen Figuren, mit seinen
Handlungssträngen, das ist der King-Leser gewohnt, mit über 1000
Buchseiten. Er führt uns in eine vergangene Zeit, mit all ihren Eigenarten,
ihrer Langsamkeit, ihren Gerüchen, Geschmack, Mode, Musik und
gesellschaftlichen Einstellungen.
Die «Zeit» selbst «bemerkt» den Eindringling und wehrt sich gegen
Veränderung und stellt Jake so manche Stolperfalle und einige sind sehr
schmerzhaft. "Wenn man die Vergangenheit ändern will, beißt sie zu. Sie
ist unerbittlich." Zum Ende des Buchs könnte einiges gesagt werden, was
ich mir aber verkneife. Nur so viel: Das Buch nimmt ordentlich Fahrt in
den letzten Seiten auf und brilliert so bis zum Schluss. Das Ende hat mir
ziemlich gut gefallen, aber das sei nicht verraten.
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