Autorin
Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen
haben
Krimis / Thriller
Rezension
Die Entscheidung
von Charlotte Link
Hörbuch, 15 Std., 53 Min
gesprochen von Friederike Kempter
Der erste Satz: »Sie brauchte tatsächlich nur ein paar Sekunden, um
das Türschloss zu öffnen.«
Simons Vater besitzt ein Haus in Südfrankreich. Dort will er die
Weihnachtszeit mit Kristina verbringen, seiner neuen Freundin. Seine
geschiedene Frau Maya bittet Simon plötzlich, die Kinder zu
übernehmen, er sagt Kristina ab, weil er nicht möchte, dass Maya und
die Kinder von ihr erfahren. Nun sagt Maya die Kinder ab und Simon
bittet Kristina erneut, zu ihm zu kommen. Der erfolgreichen
Geschäftsfrau reicht es. Sie beendet die Beziehung per Telefon, mag
nicht mehr mit einem Mann zusammensein, dessen Lebensziel es ist, es
allen Menschen recht zu machen, sich herumschubsen zu lassen.
Schon im Jahr zuvor hatte Maya dieses Spiel gespielt und in in letzter
Sekunde die Kinder bei Simon abgegeben, Kristina blieb allein. Simon
geht spazieren, er ist völlig frustriert einsam zu sein. Unterwegs erlebt
er, wie ein Hausmeister eine abgehungerte junge Frau auf der Straße
herunterputzt, die Polizei rufen will. Der Gutmensch Simon kommt
wieder in ihm hoch und er hilft der zwanzigjährigen Nathalie, bezahlt
den kleinen Schaden, nimmt das durchnässte Mädchen mit nach Hause,
denn ihr ist kalt und sie hat Hunger, weiß nicht, wo sie hingehen soll.
Nathalie wartet auf Jerome, ihren Freund, der sollte schon in der
Wohnung des Onkels sein, in die sie eingebrochen war. Sie erzählt, sie
wäre gerade beim Einkaufen gewesen, in Paris, wo sie wohnt, als
Jerome anrief, sie solle verschwinden, sofort, nicht nach Hause gehen,
er sei in Gefahr und darum sei sie in Gefahr, man würde sich in der
Wohnung vom Onkel in Südfrankreich treffen. Schnell ist klar, die
Verfolger sind Nathalie auf der Spur. Und nun kommt auch Simon in
Gefahr. Wer sind die Typen, die hinter Jerome er sind, hinter Nathalie
und nun auch hinter Simon? Worum geht es überhaupt? Die beiden
wissen es nicht, sie sind auf der Flucht und Leichen pflastern ihren
Weg … Der Leser weiss mehr, durch einen Parallelstrang aus
Bulgarien.
Der Krimi beschäftigt sich mit Kettenrektionen. Mehrfach macht ein
Mensch einfach das, was er in diesem Augenblick tun muss, wie Simon,
der Mitleid hat und hilft. Jeweils löst das, was dieser Mensch tut, eine
Kettenreaktion aus, mit der er andere Menschen unbeabsichtigt in
Gefahr bringt. Wenn du jemandem hilfst, beschwer dich hinterher
nicht, wenn eine Lawine auf dich zurollt, die du nicht stoppen kannst.
Wenn du etwas tust, überlege, wen du mit in die Sache hineinziehst! Du
hast die freie Entscheidung, etwas zu tun oder es zu unterlassen, ein
Thema, das den Krimi durchzieht. Simon kann nicht mehr aussteigen
aus dem Spiel und er erkennt, dass Kristina in seiner Beurteilung nicht
so falsch lag: Er ist ein Mensch, der stets für andere da ist, der sich
ausnutzen lässt, Stück für Stück wird er sich selbst erkennen. Auch die
magersüchtige Nathalie wird in sich gehen, sie, die Jerome abgöttisch
liebt, von ihm psychisch abhängig ist. Sie hält sich für eine Versagerin,
die nichts auf die Reihe bekommt, merkt dabei nicht, dass dies
eigentlich der Part von Jerome ist. Es zeigt sich in jeder Situation, wie
stark sie ist, wie schlau, sie kämpft wie eine Löwin. Ist Jerome einer von
Ihnen, den Bösen, oder ist er wirklich nur aus Versehen irgendwo
reingerutscht? Wo ist Jerome?
Verschiedene Handlungsstränge und Erinnerungen aus der
Vergangenheit, blättern die Geschichte langsam auf. Der Leser weiß,
dass hinter den Verfolgern eine Gruppe von gnadenlosen
Menschenhändlern sitzt. Aber warum passiert das alles, warum
handeln sie so kompromisslos? Eine elegante Frau stellt sich Mädchen
in Bulgarien als Chefin einer Modelagentur vor und lockt sie nach Rom,
verspricht ihnen eine Modelkarriere. Mit einer Vorauszahlung der
ersten Gage kann die zurückgelassene Familie sich über Wasser
halten, die Mädchen träumen vom Erfolg und dem großen Geld. Die
Familien der Mädchen leben in der Regel am Existenzminimum oder
darunter. Die Entscheidung: Das Kind fremden Menschen zu
übergeben, an den Traum zu glauben, nicht nachzudenken, nichts zu
überprüfen. Die Mädchen landen aber in Paris und werden zur
Prostitution gezwungen. Auch hier die falsche Entscheidung im
Vorfeld.
Charlotte Link führt mehrere Erzählstränge zum gemeinsamen Ende
zusammen, geschickt konstruiert und gibt Einblick in die
Machenschaften von Menschenhändlern. Fein gezeichnete Charaktere
lernen sich mit dem Leser gemeinsam kennen. Einige wachsen über
sich hinaus, andere erleben, welch jämmerlichen bzw. fiesen
Charakter sie besitzen. Die quirlige, nervige Nathalie lässt nie locker,
um ihr Ziel zu erreichen, mutig, weil es sein muss. Simon geht ihr auf
die Nerven, sie sagt ihm klar, was sie über ihn denkt. Simon hadert
ständig, mag nicht an Böses glauben, er will behilflich sein, sich mit
niemandem anlegen, er hat Angst, er ist eine Memme. Die fordernde
Nathalie geht ihm auf die Nerven, er hält sie für psychisch gestört,
unberechenbar, wild, er will einfach seine Ruhe haben. Was er über sie
denkt, hält er meist zurück. Ein wunderbares Team, um einem Thriller
den Kick zu geben. Der Leser wird keinen einzigen Protagonisten am
Ende mögen, das muss er auch nicht. Keiner ist glatt und nur nett,
jeder Einzelne verfolgt sein Ziel und eben genau darum ist dieser
Roman so gut. Wenn es um menschliche Beziehungen geht und die
Zeichnung von Charakteren, so liegt man mit einem Buch von
Charlotte Link immer richtig. Kalter Wind und Regen in Südfrankreich
zur Vorweihnachtszeit, meterhoher Schnee in Bulgarien, passend zu
dieser Jahreszeit.
Die Betrogene von Charlotte Link
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