Autorin
Sabine Ibing
Der Anfang: »Da läuft ein Schwein! David de Vriend sah es, als er ein
Fenster des Wohnzimmers öffnete, um noch ein letztes Mal den Blick
über den Platz schweifen zu lassen, bevor er diese Wohnung für immer
verließ.«
Europäische Bürokratie literarisch präsentiert. Viele kleine Geschichten
laufen in diesem Roman zum Ganzen zusammen, am Anfang das
Schwein, das durch Brüssels Straßen läuft …
Der österreichische EU-Beamte Martin Susman, dem der
schweinezüchtende Bruder im Nacken sitzt, trifft auf die griechisch-
zypriotische Karrieristin Fenia Xenopoulos, die den ausgekochten
Deutschen Kai-Uwe Frigge betört. Der Italiener Romolo Strozzi zieht im
Hintergrund die Fäden, trickst alle aus, usw. - viel Personal in Brüssel, in
den Stuben der Politik. Ein Heil auf Europa, wir lieben es!
Kommissar Brunfaut hat einen Mord aufzuklären, es gibt sogar einen
Augenzeugen. Doch als er zurück ins Präsidium kommt, wird er vom Fall
abberufen. Es gibt keinen Fall. Auf seinem Rechner sind alles Unterlagen
verschwunden: Fotos, Protokolle, Zeugenaussage, es gibt nicht einmal
mehr eine Leiche.
Fenia Xenopoulos aus der Kulturabteilung plant, zum Geburtstag der EU
ein »Auschwitz-Event«, Auschwitz als Ursprung für die EU-Gründung zu
begründen. Dazu sucht sie die letzten KZ-Überlebenden als Zeugen.
Natürlich muss sie andere Ressorts von ihrer Idee überzeugen, um sich
einen Namen zu machen, denn genau das ist ihr Ziel. Wer nimmt schon
die Kulturabteilung für voll?
»Zusammenhänge müssen nicht wirklich bestehen, aber ohne sie würde
alles zerfallen.«
Der Streit um Schweineohrenlieferungen nach China entzweit
Deutschland vom Rest der EU. Wie will man verfahren? Martin Susman
muss sich vor seinem Bruder in Österreich rechtfertigen, dem
Präsidenten der »European Pig Producers«. Der Export von
Schweineohren wären das Geschäft des Jahrhunderts! Martin soll Gas
geben, wozu verdammt sitzt er in Brüssel? Für Irgendetwas muss er ja
taugen.
»Salamander« nennt man in den Gängen des Berlaymont-Gebäudes, dem
Sitz der Kommission, jene jungen Karrieristen mit pomadisiertem Haar
und großen Krawattenknoten, die man »ins Feuer werfen kann, aber sie
verbrennen nicht, ihr Hauptmerkmal ist ihre Unzerstörbarkeit«
Austricksen ist angesagt, aber so hinter dem Rücken, dass der andere es
nicht merkt. Jeder hat seine Interessen, irgendwo dazwischen wird man
sich treffen oder eine Mehrheit setzt sich durch. Robert Menasse fügt
viele kleine Geschichten zu einem Ganzen zusammen. Satirisch, grotesk,
immer bei den Menschen. Denn um die geht es hier. Die Kommission der
EU besteht aus Menschen, ihre Entscheidungen sind menschlich.
Letztendlich geht es um das Ganze. Eine Satire auf die EU. Mehr Europa!
Trotz aller Unterschiedlichkeit gibt es nur eine gemeinsame Lösung, die
nach einem einheitlichen Staat, so die Quintessenz. Wenn man Staaten
abschafft, bedeutet das nicht gleich die Abschaffung von Vielfältigkeit.
Robert Menasse leuchtet mit viel Humor und Fachwissen das
bürokratische Brüssel aus. Ich war immer wieder erstaunt, mit welcher
Tiefe er den Politapparat und sein System in eine Geschichte einarbeiten
kann, ohne dabei langweilig oder oberschlau zu wirken. Im Gegenteil, ich
habe viel gelacht. Menasse schreibt über Brüssel, über Europa. Aber im
Wesentlichen schreibt er über Menschen mit Schwächen und Stärken,
über die Menschen, die sich in Brüssel bemühen, unser Europa zu
gestalten, mit viel Einsatz und Herz. Und er kann erzählen, Robert
Menasse ist ein großartiger Erzähler! Die Botschaft lautet: Nur
gemeinsam sind wir stark, nur gemeinsam werden wir überleben, weg
mit der Kleinstaaterei, Weg frei für ein United States of Europa, lasst uns
die EU als Heimat begreifen. Nebenbei kann doch jeder immer noch ein
Deutscher, ein Hesse, eine Frankfurter, ein Bergen-Enkheimer bleiben.
EU-Zusammenhänge literarisch präsentiert.
Robert Menasse wurde in Wien geboren, studierte Germanistik,
Philosophie sowie Politikwissenschaft. Er erhielt 2018 den Walter-
Hasenclever-Literaturpreis für sein Gesamtwerk, stand mit diesem Werk
2017 auf der Shortlist des Österreichischen Buchpreis, und wurde damit
2017 für den Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.
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Die Hauptstadt
von Robert Menasse