© Sabine Ibing, Lorib GmbH         Literaturblog Sabine Ibing
Autorin Sabine Ibing
Der erste Satz: »Der große Krieg begann für Stern als griechische Vokabel, serviert auf einem Silbertablett in die beschauliche Stille eines Nachmittags in einem abgelegenen belgischen Badeort hinein.« Die Geschichte ist so unglaublich, dass sie wahr sein muss. 1914 wird Leutnant Stern zum türkischen Sultan gesandt, um den befreundeten Monarchen zu überreden, den Dschihad auszurufen. Er soll alle Muslime vereinigen, um so im Sturm die britischen und französischen Besetzer aus den Kolonien zuwerfen. Die Muslime sollen an der Seite des Deutschen Reichs kämpfen. Doch wie soll man den Sultan überzeugen? »Nach Norden marschierten sie, ins verfluchte Trabander oder wie es hieß, um für die verfluchten Franzosen zu kämpfen, die sie dreckige Araber nannten, obwohl sie doch die Araber in Merrakec beim Sultan vergessen und stattdessen Gnawa und Berber auf ihre Schiffe genommen hatten.« In den Reihen der Franzosen wiederum kämpfen unfreiwillig Nordafrikaner im 1. Weltkrieg. Die Franzosen glauben, es wären Araber, in Unkenntnis der vielen Stämme, für sie sind sie alle Araber. Aber die Araber geben sich für solche Dinge nicht her. Sie haben aus diversen Stämmen junge Burschen aus den Dörfern erpresst, die sich untereinander auch nur schwerlich unterhalten können. Ein solcher Trupp muss nun in Frankreich gegen die Deutschen kämpfen. Aber wozu, was haben sie mit Deutschen oder Franzosen zu tun? Kopf einziehen, Hände nach oben gestreckt, sie geraten in Gefangenschaft der Deutschen. Viele Muslime sind in Kriegsgefangenschaft, werden vorzüglich von den Deutschen behandelt, denn der türkische Sultan ist mächtig, ein Freund. So entsteht die erste Mosche in Deutschland nahe Berlin. »Dieses Zitat ist in Wahrheit nur ein Teil eines arabischen Sprichworts. Vollständig heißt es: Die Feinde sind drei Arten: mein Feind, der Feind meines Freundes und der Freund meines Feindes. Die Freunde sind drei Arten: Mein Freund, der Freund meines Freundes und der Feind meines Freundes. Viele Muslime sind auch unsere Freunde.« 14 ausgesuchte Muslime, sechs Marokkaner, drei Tunesier und fünf Algerier, werden herausgepickt, die dem Sultan zugeführt werden sollen. Leutnant Stern soll sie in die Türkei bringen, damit sie dem Sultan von ihrer Entführung durch die Franzosen berichten, von der Befreiung durch die Deutschen, erklären, wie gut man die Muslime in Deutschland behandele. Doch wie bekommt man diese Truppe durchs Feindesland? Durch Österreich zu kommen ist kein Problem, aber die Ungarn, die Rumänen und ein paar andere Völkchen auf dem langen Weg dürfen das Spiel nicht durchschauen, denn diese Länder sind Freunde der Franzosen. Man tarnt die Gruppe als Zirkustruppe, verkleidet in Pluderhosen, zwei deutsche Funker samt Gerätschaft sind auch dabei, Stern als Zirkusdirektor, ein Zirkuszelt. Werden Sie durchkommen, wenn ja, wie wird der Sultan reagieren? Der Roman ist multiperspektiv geschrieben, sehr reizvoll, da alle Beteiligten des Roadmovies mit ihrer Sicht der Ereignisse zu Wort kommen: Stern, sein Vorgesetzter Schabinger Freiherr von Schowingen, der undercover im Schlafwagen mitreist, Tassaout, ein Ait Attik, der für die Franzosen kämpfen sollte, ein Funker und ein paar andere Personen. Eine kuriose Geschichte, sehr amüsant geschrieben. Deutsch-Türkische Freundschaft, Kaiser Wilhelm plante den »Weltaufstand der Muslime« und ließ dafür die Armenier im Stich. Ein unbekanntes Kapitel der Deutschen Geschichte. Im Einsatz für die Armenier hat sich Deutschland keinesfalls mit Ruhm bekleckert. »Da stand eine Moschee in Fläming als wäre sie auf einem roten Teppich dahingeschwebt. Zwar hatten sie ja auch in Potsdam solche Bauwerke, aber die Wünsdorfer Moschee war das erste muslimische Gotteshaus in ganz Deutschland …« Ein Schelmenstück mit viel Humor und erzählerischem Talent zu Papier gebracht. Reisedokumente, Pluderhosen, schon in der Logistik gibt es im Vorfeld Probleme. Bürokratie, Grenzkontrollen, Leutnant Stern hat es nicht einfach, sich mit Hindernissen auseinanderzusetzen, oft genug bekommt er bei Grenzübertritten das große Zittern. Jakob Hein gelingt es, uns einen Teil deutscher Geschichte nahezubringen, der wahrscheinlich den meisten Menschen nicht bekannt ist. Auf der einen Seite habe ich mich königlich amüsiert, denn die Geschichte ist nicht nur unglaublich, sondern auch unglaublich fein erzählt. Auf der anderen Seite schockiert die Dreistigkeit einiger Handelnden, das weltpolitische Geschehen, das dahintersteckt.  Jakob Hein zu seinem Roman: »Mir kommt es so vor, als hätte die Geschichte 100 Jahre auf mich gewartet. Und als ich gehört habe, dass das Deutsche Reich den Dschihad auslösen wollte, dachte ich, das ist bestimmt eine Übertreibung. Aber es ist natürlich genau das, das Deutsche Reich wollte den Dschihad auslösen, den heiligen Krieg aller Muslime.« Edgar Stern wurde nach dem Krieg Chefredakteur der Nachrichtenagentur »Wolfs Telegrafisches Büro«. Nach der Machtergreifung musste er 1933 von diesem Posten zurücktreten, da ein nationalliberaler Mann mit jüdischen Verwandten nicht mehr für den Job tragfähig war. 1936 emigrierte er mit seiner Familie nach London. Dieser fiktionale Roman basiert auf seine Veröffentlichung, seine Lebenserinnerungen, »Aus zuverlässiger Quelle«. Ebenso wurden die Memoiren von Karl Emil Schabinger Freiherr von Schowingen hinzugezogen, die unter dem Titel »Weltgeschichtliche Mosaiksplitter« veröffentlicht worden. zeitgenössische Romane Krims und Thriller Historische Romane Fantasy, Fantastic, SciFi, Utopien Dystopien Sachbücher (für jedermann) Kinder- und Jugendliteratur
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben Historische Romane Rezension
Die Orient-Mission des Leutnant Edgar Stern von Jakob Hein
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