Autorin
Sabine Ibing
Der erste Satz: »Eine Beziehung auf Armlänge.«
Violeta und Martin führen über Jahre eine Fernbeziehung zwischen
Berlin und Bologna. Man bleibt sich treu, hat aber die Abmachung, ein
sexuelles Abenteuer sei erlaubt. Martin ist treu, bis auf einen
unbedeutenden Ausrutscher mit Klara. Der hat aber Folgen. Martin, ein
Augenarzt, ist pflichtbewusst. Eigentlich ist geplant, dass Martin und
Violenta nach ihrem Studium zusammen ins Ausland gehen. Das kommt
für Martin nicht mehr in Frage, er bittet Violenta nach Berlin zu kommen,
denn er will ein guter Vater sein, Kontakt zu seiner Tochter halten, kein
Bezahl-Vater sein. Violeta ist die Karriere wichtiger, sie verlässt Martin,
obwohl sich beide noch lieben. Der verantwortungsvolle Martin heiratet
nun Klara, die er nicht liebt, er liebt Christina, seine Tochter.
»Violenta konnte die Namen ihrer unterschiedlichen Schulen nicht auf
Anhieb angeben, das war ihr egal. Sie hielt es wie ihr Vater: den Blick
strikt nach vorn gerichtet, nur so kam man voran im Leben.«
Violenta hat großen Erfolg in ihrem Beruf. Doch etwas fehlt in ihrem
Leben: Martin, eine Familie. So fasst sie nach zehn Jahren den
Entschluss, ihn wieder zurückzugewinnen, steht eines Tages bei einem
Ärztekongress vor ihm. Zwischen ihnen hat sich nichts verändert. Martin
verlässt Klara, zieht mit Violenta zusammen. Violeta – Martin und
Christina – Klara. Violenta und Christina, kann das gutgehen? Martin will
es allen rechtmachen, weiterer Nachwuchs kündigt sich an. Kurze
Sequenzen, in denen Tanja Paar alles sagt, 157 Seiten, ein Kammerspiel
der vier Protagonisten. Ein bürgerliches Ensemble, Brei für das Baby,
Brokkoli-Topinambur, Karotte-Kartoffel, einen Tropfen Olivenöl, selbst
gemacht, ein Vater, der sich für Haushalt und Familie verantwortlich
fühlt. Versteckte Gefühle, unterschwellige Aggression, die hin und wieder
herausbricht, Hass, Eifersucht, Schuldgefühle, Verlustängste, der
intellektuelle Anspruch, mit dem Verstand alles sittsam regeln zu können,
das Drama nimmt seinen Lauf. Ein Setting aus dem Leben gegriffen.
Jeder trägt Schuld, keiner bleibt unversehrt. Kompakte Sprache, glasklar
auf den Punkt gebracht, jedes Wort sitzt an seinem zugewiesenen Platz.
Es braucht keine 400 Seiten, um ein Familiendrama zu beschreiben. Das
Setting ist ungeheuerlich, der Roman ist ungeheuerlich gut, eben weil er
mitten ins alltägliche Leben greift.
Tanja Paar wohnt in Wien, ist Journalistin und Moderatorin, arbeitete sie
freiberuflich beim FALTER und dem Nachrichtenmagazin Profil. Danach
war sie zwölf Jahre Redakteurin der österreichischen Tageszeitung
derStandard, wurde 2011 sie zur «Journalistin des Jahres» gewählt, 2015
zur «Medienlöwin»
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Rezension
Die Unversehrten
von Tanja Paar