Autorin
Sabine Ibing
»Zwei Jahre und eine lebenslange Zwietracht trennten Samantha
von ihrer dreizehnjährigen kleinen Schwester...«
Wer die spannungsgeladenen Thriller von Karin Slaughter kennt,
wird in diesem Thriller ihre ruhige Seite kennenlernen.
Strafverteidiger Rusty Quinn ist unbeliebt im Ort, denn er verteidigt
die, die andere Leute lieber gleich an den Baum hängen würden. Das
bringt dem Anwalt viel Ärger, gerade hatte man der Familie im
Südstaatenstädtchens Pikeville das Haus angezündet und sie
wohnen zur Miete in einem Übergangshaus. Mutter Gamma und ihre
Töchter Samantha und Charlotte sollten gar nicht daheim sein, nur
Rusty. Doch der ist in der Stadt. So treffen drei Männer nur auf die
Frauen, einer ist Culpepper. Eigentlich wollten sie Rusty töten, denn
der wollte von diesem Gewaltverbrecher, den er verteidigte, seine
Rechnung eintreiben. Alles läuft aus dem Ruder. Zuerst wird die
Mutter erschossen, die beiden Jugendlichen hinausgeschleppt, sie
sollen draußen erledigt werden. Sam wird erschossen, Charlie
glaubt, sie ist tot, aber sie ist nur schwer verletzt, wird den Rest
ihres Lebens schwerbehindert sein. Charlie schafft es, zu fliehen.
»Sam ballte die Fäuste. Sie musste dem ein Ende setzen. Sie musste
Charlotte beschützen. ›Lass uns in Ruhe, Zachariah Culpepper.‹ Sie
erschrak vor ihrer eigenen Aufsässigkeit. Sie hatte schreckliche
Angst, aber jede Faser davon war mit überwältigender Wut
getränkt. Er hatte ihre Mutter ermordet. Er begaffte ihre Schwester.
Er hatte ihnen klargemacht, dass sie das Haus nicht lebend
verlassen würden. Sie dachte an den Hammer, der hinten in ihren
Shorts steckte, und stellte sich vor, wie sie ihn in Zachs Gehirn
schmetterte. ›Ich weiß genau, wer du bist, du perverser Scheißkerl.‹«
Die beiden Schwestern sind traumatisiert neben körperlichen
Schäden. »Lauf weg, Charlie!«, die große Schwester muss die kleine
beschützen. Charlie glaubt, sie hätte ihre Schwester im Stich
gelassen, hegt große Schuldgefühle und Sam gibt an allem dem
Vater die Schuld. Sie leben sich auseinander, entzweien sich, haben
seit Jahren keinen Kontakt mehr. Beide haben Jura studiert, Charlie
ist Strafverteidigerin, ist nie weggezogen. Sam lebt in New York, ist
in einer Wirtschaftskanzlei als erfolgreiche Anwältin für Patentrecht
tätig.
»Und jetzt verteidigte Rusty einen Mann, der beschuldigt wurde, ein
neunzehnjähriges Mädchen entführt und vergewaltigt zu haben. Ein
weißer Mann und ein weißes Mädchen, dennoch erregte der Fall die
Gemüter, weil der Mann aus einer Unterschichtfamilie kam und das
Mädchen aus gutem Haus stammte. Rusty und Gamma sprachen nie
offen über den Fall, aber die Einzelheiten des Verbrechens waren
so schauerlich, dass der Klatsch, der in der Stadt herumging, unter
der Haustür durchgekrochen kam, über die Lüftungsschlitze
einsickerte und nachts in den Ohren der Familie dröhnte, wenn sie
zu schlafen versuchte.«
28 Jahre später: Charlie ist durch Zufall Zeugin bei einem Amoklauf
in einer Schule. Ein Mädchen erschießt einen Lehrer und eine
Schülerin. Rusty übernimmt die Verteidigung. Aber wieder wird ein
Anschlag auf ihn verübt. Da Charlie Zeugin ist, ruft sie Sam an,
berichtet vom verletzen Vater und fragt, ob sie nicht die
Verteidigung übernehmen kann, bis Rusty aus dem Krankenhaus
entlassen ist. Sam kommt angereist, möchte aber das Mandat
eigentlich nicht übernehmen.
Alles hängt zusammen in einem großen Ganzen, wie immer bei Karin
Slaughter. Wie immer lebt die Geschichte durch die Einzelschicksale
der Protagonisten und der Aufblätterung der Wahrheit. Dieser
Thriller ist ruhig, nur unterschwellig spürt man die lauernde Gefahr.
Immer wieder wird der Überfall von damals erzählt. Wiederholung,
so hat man zunächst das Gefühl, doch die andere Sichtweise, bringt
neue Kriterien ins Spiel und beim nächsten Mal kommt etwas Neues
hinzu. Karin Slaughter spielt mit dem Leser. Wo liegt die Wahrheit?
Kennen wir alle Einzelheiten? Warum ist der Bruch zwischen den
Schwestern so gnadenlos? Wie lange beeinflusst ein traumatisches
Erlebnis einen Menschen, kann er das irgendwann aufarbeiten? Wie
verändert er sich durch das Trauma? Rusty ist der Meister des
Verdrängens, er tapst mit breiten Füßen über alles hinweg und
macht anschlusslos weiter. Er verteidigte oft genug menschliche
Bestien und einer dieser Typen zerstört seine Familie, tötet, nur weil
er die Rechnung nicht zahlen will. Rusty macht weiter, verteidigt die,
bei denen kein anderer Anwalt das Mandat übernehmen will. Sam
geht weit weg nach NY, kommt nie wieder zurück, aber auch sie
studierte Jura. Charlie stapft in Vaters Fußstapfen, aber auch ihr
Leben ist für immer ruiniert, was sich bis in ihr Privatleben auswirkt.
Eine interessante Familienkonstellation von verschiedenen
Charakteren tut sich auf … Atmosphärisch dicht, langsam steigernd,
nichts für ungeduldige Leser. Psychologisch gut durchdacht, liefert
Karin Slaughter wieder einen lesenswerten Thriller. An manchen
Stellen wird der Plot für meine Begriffe zu lang ausgedehnt, aber
insgesamt ist er spannend und stimmig. Karin Slaughter gehört für
mich zu den KönigInnen der Dramaturgie und des Dialogs.
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Rezension
Die gute Tochter
von Karin Slaughter
Gesprochen von Nina Petri
Spieldauer: 18 Std. 43 Min. ungekürztes
Hörbuch