Autorin
Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
Krimis / Thriller
Rezension
Die stille Bestie
von Chris Carter
Hörbuch, 12 Stunden, 11 Minuten
gesprochen von Uve Teschner
Chris Carter studierte in Michigan forensische Psychologie arbeitete
sechs Jahre lang als Kriminalpsychologe für die Staatsanwaltschaft.
Und bei diesem Thriller hat das Vorwort mir im Nachhinein einen
eisigen Schauer über den Rücken laufen lassen:
«… große Teile der Handlung auf Tatsachen beruhen und die Figuren
auf Personen, mit denen ich in Kontakt gekommen bin.»
Nach einem Unwetter sitzen der Sherriff und sein Deputy früh morgens
in einem Restaurant und warten auf das Frühstück, als ein Wagen
direkt auf den Imbiss zurast, im letzten Moment abdriftet und in das
Toilettenhaus kracht. Während er Sherriff den Tot des Fahrers
feststellt, macht der Deputy eine schreckliche Entdeckung. Der
Unfallwagen hatte ein anderes Auto gestreift und das Heck
eingefahren. Aus dem Kofferraum war eine Kühlbox herausgefallen,
der Deckel löst sich und zwei Köpfe kullern heraus. Der Wagen gehört
einem der Restaurantbesucher. Er wird festgenommen und dem FBI
überstellt.
Robert Hunter, ein Profiler, wird angefordert. Er ist auf dem Weg in
den Urlaub und genervt, es gäbe andere Profiler und er arbeite nicht
für das FBI. Der Täter hatte ihn angefordert. Es ist sein ehemals bester
Studienfreund Lucien Folter. Robert meint, es muss sich um ein
Missverständnis handeln, er will seinem Freund helfen. Doch die
Sachlage ist klar. Lucien ist ein Serienmörder. Die Frage ist nur, wie
viele, wer und wo sind die Leichen vergraben? Das FBI möchte
Vermisstenfälle aufklären, den Angehörigen Gewissheit geben und
ihnen die Gelegenheit geben, ihre Angehörigen zu begraben. Unwillig
lässt sich Hunter darauf ein, Folter zu verhören. Ihm wird Special Agent
Courtney Taylor zur Seite gestellt.
Aber Folter stellt eine Bedingung: Quid pro quo. Die Profiler dürfen ihm
Fragen stellen, im Gegenzug müssen sie ihm ehrlich Fragen
beantworten. Robert Hunter kennt Folter sehr gut. Er weiss, der gut
ausgebildete Psychologe kann sehen, wann ein Mensch lügt. Er ist in
der Lage, den Lügendetektortest locker zu umgehen, er ist ein Genie.
Üblicherweise erfolgt die polizeiliche Fragetechnik einseitig, distanziert
zum Täter, Nähe wird auf keinen Fall zugelassen. Provokante oder
persönliche Fragen von Tätern werden emotionslos übergangen.
Erstmalig in der Literatur wird ein gegenseitiges persönliches
Ausfragen in «Das Schweigen der Lämmer» angewandt. Auch hier ist
Hanibal Lector ein Serienmörder, ein sehr intelligenter Psychiater. Das
Katz- und Mausspiel, das nun in «Die stille Bestie« folgt, erinnert
ziemlich an die Vorlage. Darum einen Stern Abzug. Hunter und Taylor
müssen nun Frage beantworten, die sie eventuell nicht einmal ihrem
besten Freund beantworten würden, dass vor den Augen des FBI-
Direktors, der mit seinem Team hinter der Glaswand sitzt. Hierdurch
lernen wir alle drei Charaktere gut kennen. Folter behauptet, er
kenne alle seine Opfer, es seien über 50, er wisse die Namen, die
Geburtsdaten und kann die Stellen nennen, wo die Leichen zu finden
sind. Er gibt an, wie die Namen zu den beiden Köpfen lauten, wo die
Körper zu finden sind, wo auch noch andere Leichen liegen. Nun wird
es immer perfider. Folter spielt ein grausames Spiel mit Hunter. Der
steigt aus. Folter hat ein Ass im Ärmel, behauptet, eine Gefangene
würde noch leben … Hunter kehrt zurück. Folter hatte vor, die
Enzyklopädie des Serienmörders zu schreiben und hat an allen Opfern
verschiedene Tötungsmethoden ausprobiert, alles genau skizziert in
Notizbüchern.
Der erste Teil des Thrillers beschäftigt sich mit den gegenseitigen
Befragungen und Erinnerungen an die Studentenzeit der beiden
ehemaligen Freunde. Psychologisch durchdacht treibt Folter Hunter bis
kurz vor den Wahnsinn. Im zweiten Teil geht es um die Rettung des
eventuell noch lebenden Opfers, mit weiteren Wendungen.
Alles in allem ein gut durchdachter Thriller mit hoher Spannung. Die
Namensgebung Hunter und Folter hat mich zum Lachen gebracht. Es
wird auch erwähnt, welche Bedeutung Folter im Deutschen hat. Folter
ist ein hochintelligenter Narzisst, dem jegliche Empathie fehlt, dem es
Spass macht, seinen Freund zu demütigen und psychisch zu brechen.
Hunter wird schon ab dem ersten Absatz im Buch als empathischer
Mensch beschrieben, genau das Gegenteil von Hunter. Man leidet mit
Hunter und ekelt sich gemeinsam mit ihm über das unfassbare
Grauen, das durch Folters Beichte zutage kommt. Welchen Druck kann
man aushalten, wenn ein Mensch gebrochen werden soll, wo sind
psychische Grenzen? Psychofolter, der richtige Ausdruck für diese Art
von Dialog. Courtney Taylor verblasst als Person hinter Hunter, aber
um sie geht es auch nicht. Folter hat sich genau vorbereitet auf den
Tag, an dem er erwischt werden könnte, minutiös rollt er seinen Plan
ab. Als Leser, atemlos am Ende angekommen, geht einem das Vorwort
durch den Kopf, streift eiskalt den Rücken hinunter und man hofft,
niemals einem Folter begegnen zu müssen. Wer für Psychologie etwas
übrig hat, erkennt das feine Netz, das hier gesponnen wird. Dem
oberflächlichen Leser werden die Dialoge vielleicht zu anstrengend
sein. Aber genau hier liegt die Kunst dieses Thrillers. Die sympathische
Art Folters, der seinem Freund angeblich immer noch gern hat und ihm
dann scheibchenweise die Luft zu atmen nimmt, in einer relaxten Art
und Weise, ausgesprochen höflich und freundschaftlich, ist gekonnt.
Ein spannender Thriller mit gutem Unterhaltungswert, auch wenn er
streckenweise an Hanibal Lektor erinnert.
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