Autorin
Sabine Ibing
»Everland präsentierte ihnen einen Himmel voller erdrückend niedriger
Wolken, die aussahen wie Schwaden von Dieselabgasen. Der Wind
brachte Schneekristalle mit, fein wie Sägemehl, die sich sofort in
Brix`Kragen setzten und in ihren Augen brannten.«
Everland ist eine fiktive Insel. Zwei Forschungsteams, in zwei
Jahrhunderten: 1913 und 2012. Die erste Expedition beginnt mit ihrem
Ende. Nur ein Teilnehmer hat es überlebt, 1913, nur noch einer wird von
dem Expeditionsschiff gefunden, welches die Mannschaft abholen sollte,
und es ist ungewiss, wie lange er durchhalten wird. 2012 startet eine neue
Expedition in die Antarktis nach Everland, Pinguine und Seebären zu
erforschen. Abwechselnd wird in den Kapiteln von beiden Lagern
berichtet, der Verlauf der Geschichte gestaltet sich in beiden Gruppen
ähnlich.
»In Wahrheit richtete sich alles nach dem schwächsten Glied in der Kette,
und das bedeutete, dass alles, was Brix tat, doppelt so viel Zeit und
doppelt so viel Mühe kostete, denn Decker musste es ihr erst erklären
und überprüfen, ob sie auch alles richtiggemacht hatte.«
In jeder Gruppe gibt es ein schwaches Glied in der Kette und einen, der
brutal klarstellt, dass der Schwächling hätte zu Hause bleiben müssen.
Der ein oder andere ist vom Ehrgeiz zerfressen, es gibt eine Menge
Fehlentscheidungen, schwache Führer. Theoretisch gibt es bei beiden
Expeditionen genügend Lebensmittel und ein festes Lager. Jemand
verletzt sich, verheimlicht das und ein Schneesturm bahnt eine
Katastrophe an. Beide Geschichten sind ähnlich, doch völlig verschieden.
»Ein fauliger Geruch hatte Dinners` Zustand verraten. ... Einer hatte
gewürgt und dann geflüstert, riecht nach verfaultem Fleisch.«
Man fröstelt nicht nur wegen der Beschreibung der Antarktis, karge
Landschaften, stinkend vom Vogelkot, Kälte, Schnee, erfrorene Haut und
Gliedmaßen, sondern auch wegen der Hinterhältigkeit einiger
Protagonisten. Der Erzähler spielt mit dem Leser, führt ihn an der Nase
herum. Man spürt förmlich die psychische Anspannung der
Protagonisten, wenn sie sich durch das Eis quälen, Geräusche von
Winden, die Halluzinationen hervorrufen, Kopfschmerzen.
»In Hoffnung, Buße für sein unverzeihliches Verhalten zu tun, indem er
sich nützlich machte, zog er die Handschuhe aus, und kramte in seinen
Taschen nach Messern. Die plumpen, tauben Finger konnten sie nicht
halten, und sie fielen klappernd auf die Erde.«
Die Natur ist rau und nicht zu berechnen. Der Mensch glaubt, er hätte
alles im Griff, vorausschauend geplant. Doch nichts ist sicher in der
Antarktis, und manche Dinge sind nicht gleich zu erklären. Selbst die
Gruppe aus 2012, ausgestattet mit technischer Raffinesse, muss ums
Überleben kämpfen. Wie reagiert ein Mensch in Extremsituationen, wie
verhält er sich anderen gegenüber? Geht es nur ums eigene Leben oder
gibt so etwas wie Verantwortung? Bestie Mensch oder ein sozialer
Charakter? Wen trifft die Schuld und wer schiebt etwas auf andere? Was
ist die Wahrheit?
»Bei minus fünfundzwanzig Grad wird die Fähigkeit des menschlichen
Körpers, Feuchtigkeit zu produzieren und auszustoßen, auf teuflische
Weise offensichtlich. Ales, was nicht ausgeatmet wurde und um die mit
Blasen bedeckten Nasenlöcher und Lippen gefror oder aus den Poren
verdampfte und an der Kleidung gefror, schien in ihrem Inneren zu
gefrieren.«
Dieser spannende Abenteuerroman lebt von zwei Dingen. Auf der einen
Seite sind die Naturbeschreibungen fantastisch, schrecklich, sich
bewusst zu werden, wie brutal die Natur mit Tieren umgeht: Nur die
Stärksten kommen durch. Der tägliche Kampf des Menschen, bei diesen
Witterungsbedingungen zu forschen, zu überleben wird fein
ausgebreitet, insbesondere das, was sich unter Extremsituationen im
Menschen freilegt. Auf der anderen Seite tragen die feingezeichneten
Figuren die Geschichte. Psychologisch sorgfältig ausgearbeitete
Charaktere, wandelbar in ihrer Handlung, dem Leser aber so
präsentiert, dass er nicht gleich durchschaut, wie sich im Zweifel
verhalten werden. Härte gegen Weichei, Erfahrung versus Greenhorn.
Menschen, die auf engem Raum miteinander auskommen müssen, die
sich aufeinander verlassen müssen. Da stellt sich die Frage:
»Schlag auf Schlag, meine Herren“, rief Dinners. „Mal sehen, wer am
längsten durchhält.«
Es gab nichts durchzuhalten bei diesem Roman. Flott durchgelesen,
spannend, fasziniert, fröstelnd und dann erstaunt. Ich kann nur raten:
Selbst lesen!
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Rezension
Everland
von Rebecca Hunt