Autorin
Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
Sachbücher
Rezension
Hitlers Eliten nach 1945
von Norbert Frei
«Klappentext: «Als Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg aus den
Albträumen erwachte, die ihm die nationalsozialistische Terrordiktatur
bereitet hatte, war das Land ein einziger Trümmerhaufen. Doch auf
dessen westlichem Teil blühte bald schon die Demokratie der
Bundesrepublik Deutschland. Die Welt war des Lobes voll. Auf die
Wiedergeburt der Demokratie folgte das Wirtschaftswachstum,
Adenauer verankerte das Land fest in der westlich-demokratischen
Werte- und Verteidigungsgemeinschaft und alle waren glücklich. Was
aber war aus den ganzen Nazis geworden, die vor 1945 die deutsche
Kulturnation in die tiefste Barbarei gestürzt hatten? Alle tot? Oder aus
lauter Scham in der Versenkung "verschwunden"? Keineswegs. Viele
setzten ihre unter und mit dem Nationalsozialismus begonnene Karriere
nach dem Krieg im Dienste der Demokratie fast bruchlos (und nur zu oft
ganz ohne Scham) fort. Widerwärtig!
In fünf sehr aufschlussreichen Einzeluntersuchungen über
Nachkriegskarrieren von Medizinern, Unternehmern, Offizieren, Juristen
und Journalisten sowie einer Bilanz des Herausgebers geht der Band der
Frage nach, was aus der Elite des "Führers" nach 1945 geworden ist. Eine
alles in allem sehr ernüchternde Bilanz, die man heute nur deshalb mit
nur mäßigem Grausen lesen kann, weil die verstrichene Zeit dafür
gesorgt hat, dass wir diese teils erbärmlichen Gestalten, von denen hier
berichtet wird, am Ende doch noch losgeworden sind. Soweit sich dies
beurteilen lässt, beruhen die aufschlussreichen Beiträge allesamt auf
sorgfältigen Recherchen, sind dabei aber wohltuend ungeschwätzig. Was
allerdings leider ausgeblendet bleibt, ist die Frage, was eigentlich aus
den Eliten in der anderen Hälfte Deutschlands (oder auch in Österreich)
nach dem Krieg geworden ist. Eine sicherlich nicht minder interessante
Frage! Further research is necessary. --Andreas Vierecke»
Uns wurde damals im Geschichtsunterricht erzählt, nach dem Krieg gab
es die Nürnberger Prozesse, in denen alle wichtigen NS-Verbrecher
verurteilt wurden, manche zu Tode. Ein paar der alten Schergen konnten
frühzeitig entkommen. Auf Grund von Mangel an Personal wurden wenige
Harmlose in alte Posten versetzt. Ich habe rückblickend das Gefühl, dass
unsere jungen Geschichtslehrer diese Lüge selbst glaubten.
Was uns nicht erzählt wurde, kann man diesem Buch gut nachvollziehen:
Die meisten, die zu 10-20 Jahren Haft verurteilt waren, wurden ziemlich
schnell begnadigt, sie saßen meist nur 6 Monate bis 2 Jahre ab. Und
danach erhielten viele wieder aufstrebende Jobs. Angeblich brauchte
man die Eliten, weil so viele Männer im Krieg gefallen waren. Aber das ist
eine Farce. Es stecken ganz andere Dinge dahinter, nämlich auch die
Männer, die nie zur Rechenschaft gezogen wurden. Warum hat denn
Hitlers Gebilde so gut funktioniert? Weil viele der Eliten und hohe Beamte
konform mit dem System gingen. Im Spanischen übersetzt heisst Beamter
«functionario», ein passender Begriff. Hitler hatte den Ärzten
Menschenversuche nie befohlen. Sie haben sie einfach gemacht, weil sie
durften. Um die «Götter in Weiss und Schwarz» zu verstehen, muss man
weiter zurückgreifen. Über Generationen wurde standesgemäss der
Beruf weitergegeben in konservativen Strukturen, hart von oben
dirigiert, Widerspruch nach oben wurde sanktioniert. Niemand durfte
etwas in Frage stellen. Das gleiche galt für das Militär.
Nach Ende des Krieges übergaben die Amerikaner den juristischen und
medizinischen Fakultäten die Entscheidung, welcher Kollege zur
Rechenschaft zu ziehen war. Und in Folge wurde so geurteilt: Was nicht
verboten war, kann kein Unrecht gewesen sein, Moral außen
vorgelassen. Euthanasie-Ärzte erhielten von der Ärztekammer sofort
wieder ihre Zulassung, sie saßen auf ihren Plätzen an den Universitäten,
bildeten die nachfolgende Ärzteschaft aus. In den Augen ihrer Kollegen
hatten sie nichts Verbotenes gemacht. Experimente mit Behinderten oder
deren Tötung waren in ihren Augen keine Menschenversuche. Und wurde
wirklich jemand gesucht, so wurde er von Kollegen gedeckt.
Eindrücklich schildert Norbert Frei diesen Zusammenhalt und die
menschenverachtende Denkweise, die sich so fortsetzen konnte. Das
Gleiche gilt für die Juristen, die angeblich nur nach geltendem Gesetz
gehandelt hatten. Ein Jurist ist kein Moralist, er legt nur die ihm
vorgegebenen Paragraphen aus. Und es gab nun mal das Polengesetz,
parallel zum normalen Gesetz. Ein Diebstahl konnte so oder so verurteilt
werden. Und klaute ein Pole einen Pullover, um nicht zu erfrieren, konnte
man ihn erschießen lassen, auch noch einen Tag vor Kriegsende oder
einfach bestrafen. Warum sollte man den Kollegen dafür verurteilen, der
den Kopfschuss als Verurteilung wählte? Er wurde gleich wieder zum
Richter berufen.
Frei zeigt detailliert, wie diese Eliten die NS-Regierung unterstützten, als
hochrangige Parteimitglieder und als Mitläufer und wie sie ab 1945 ihre
alten Posten behielten, bzw. sich in Nischen weiterentwickelten. Der
Euthanasie-Arzt, der es wohl ein wenig zu toll getrieben hatte, konnte
man nicht an die UNI zurückholen, ihm aber doch die Zulassung als Arzt
lassen, um eine Praxis zu eröffnen.
Die Alliierten achteten nach 45 darauf, dass nur jeder 2. Journalist ein
ehemaliges Parteimitglied sein durfte, allerdings nicht lange. Und schon
bald waren die Zeitungen mit 80 % der alten Schergen besetzt, die vorher
NS-Propaganda betrieben hatten.
Unternehmer saßen ihre kurzen Strafen ab und erhielten meist nahtlos
Führungsposten. Kontakte und Wissen zählten. Übrigens, bekam man
keinen Job in Deutschland, dann war auch der Weg in England und USA
offen … Die Amerikaner waren schnell dabei wegzusehen, wenn jemand
sogenanntes Know How mitbrachte. Gehlen, Geheimdienstchef unter
Hitler, machte sich ein halbes Jahr vor Kriegsende mit ein paar Kisten voll
Unterlagen aus dem Staub und bot dem Amerikanern später seine
Dienste an. Dank seiner Kontakte nach Russland wurde er Leiter der
Gehlen-Gruppe, ein Gemisch aus Amerikanern und ehemaligen NS-
Geheimdienstlern. Diese braune Truppe wurde später in BND,
Bundesnachrichten dienst umgetauft. Gleiches galt für das Militär.
Ein Buch das nachhaltig wirkt. Beim Lesen sollte man einen Eimer
bereithalten. Ich denke, einiges ist den politisch interessierten Menschen
bekannt, aber im Detail und der Masse können die Informationen nur
erschüttern. Ein lesenswertes Buch, das ich jedem empfehlen kann.
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