© Sabine Ibing, Lorib GmbH         Literaturblog Sabine Ibing
Autorin Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben zeitgenössische Romane Rezension Hool  von Philipp Winkler »Muss ein heftiger Schlag gewesen sein. Der Braunschweiger lag. Lag da mit dem Gesicht in der Regenpampe, wie ein Fisch an Land. Der zuckte wie blöd, und aus seinem Ohr rann Blut. Wusste nicht, was ich davon halten sollte. Das ganze Adrenalin und die Wut wegen der ganzen Scheiße und der Alk vorher beim Spiel« Heiko Kolbe, Anfang zwanzig, Mitglied einer Gruppe Hooligans, Fans von Hannover 96, lebt bei Armin in Wunsdorf. Versteckt auf dem Land züchtet der Kampfhunde auf einem geerbten Hof, veranstaltet illegale Hundekämpfe, und hält auch andere gefährliche Tiere. Heiko ist zweimal durch die Abiprüfung gefallen, hat keinen Schulabschluss. Überhaupt besteht diese Hool-Truppe nicht unbedingt aus solchen Leuten, die der Leser sich gerne vorstellen würde, verkrachte Existenzen ohne Hauptschulabschluss. Die Freunde von Heiko haben es geschafft, arbeiten, studieren. Mit »rechten Glatzen« haben sie nichts im Sinn. Ihre Freizeit verbringt die Clique im Fitnesscenter von Heikos Onkel, im »Wotan Boxing Gym«, in einer alten Fabrikhalle im Stadtteil Stöcken und in der Kneipe »Timpen«. Heiko liebt Yvonne, seine Ex, die morphiumsüchtig ist, Stoff im Krankenhaus klaut. Heiko hat Wut im Bauch, muss sich abreagieren. Sein Vater ist ein aggressiver Alkoholiker, der mit einer devoten Asiatin zusammenwohnt, die Mutter ist lange abgehauen. Die Schwester hat sich freigekämpft, ist von zu Hause ausgezogen, um zu studieren, lebt im Reihenhäuschen. Die Ersatzfamilie von Heiko ist die Kneipe, die Hoolkumpels, mit denen man »Elefantenpisse« (Bier) trinkt und über »Pimmelköppe« herzieht. Es gibt klare Strukturen und man steigt die Leiter der Anerkennung nur hinauf, wenn man den anderen ordentlich was auf die Fresse haut, nicht jammert, aufrecht aus der Schlacht herausgeht. Heikos Onkel ist Chef der Truppe, er gibt den Ton an. Wer ihn beerben will, muss was draufhaben. Der Onkel befiehlt auch, welche Aktionen gestartet werden. Die Jungen rebellieren, Heiko voran, wollen ihre eigene Suppe kochen, versuchen heimlich etwas auf die eigne Faust, das natürlich völlig entgleitet. Selbst im Stadion ist geregelt, wer wo man auf den Stehplätzen der Fankurve einen Platz hat. Die erste Reihe musst du dir zunächst erkämpfen! Der Leser schüttelt sich, wenn er etwas über den versifften Hof von Armin erfährt, über das verdreckte Haus. Eiskalt läuft es einem über den Rücken, wenn Heiko die Tiere beschreibt, man hofft, sie werden nie entwischen. »... Man geht nicht zum Napfauswechseln in den Zwinger, wenn der Köter frei darin rumläuft. In null Komma nichts ist man um mindestens zwei Gliedmaßen ärmer. Nachdem ich die Näpfe ausgetauscht, doppelt abgecheckt habe, ob die Zwingerzugänge auch wirklich zu sind.« Mundschutz, Fäuste, Alkohol und Koks, man trifft sich mit anderen Hools, um sich zu prügeln, mal mit den Kölnern, mal mit Braunschweigern. Man feiert hinterher, als hätte man den Krieg gewonnen. Wozu?, fragt sich der Leser. Für ein bisschen Aufmerksamkeit und Kameradschaft, Halt in der Gruppe, Anerkennung. Ist doch egal wofür, Hauptsache, andere stehen für dich ein und du für sie, deine Familie. Die Kneipe ist das richtige Zuhause. »Man muss nur drauf achten, ob gerade Klopapier da ist. Ansonsten kann man mit unabgeputzter Kimme ins andere Klo rüberschleichen. Wenn dann auch noch die Kabinen besetzt sind, dann prost Mahlzeit. Die alten Säcke hier brauchen ewig zum Scheißen. Von dem Altmännerkackegestank mal ganz abgesehen.« Manch einer will aussteigen, meint, er wäre nun erwachsen. Diese Jungs studieren, haben nette Eltern und einen »scheißweißen Gartenzaun«, ein Häuschen mit netter Stube, auf das man sich freuen kann. Heiko hat nichts, drum macht er weiter. Die Sprache ist gnadenlos, Prosa von unten, schnörkellos. Oft ist die Rede von Prügeln und vom Kacken. »Ich saß gerade beim Kacken, und wie das immer ist, wenn man in Eile kacken muss, wurde der Schiss so ein mieser, dreckiger und keine schöne aalglatte Wurst, die einem so mir nichts, dir nichts aus dem Anus gleitet, dass man nur einmal abwischen muss und sauber. Nee, natürlich musste ich mir erst mal gefühlte fuffzig Blatt von der Rolle reißen.« Die Sprache ist für mich leider nicht durchgehend authentisch, sage ich als reinrassiger Hannoveraner. Man spricht in der Kneipe »Timpen« so etwas Ähnliches wie »Lindner-Butcherdeutsch«, wie man in Hannover sagt, Unterschichtssprache (»Wat denn«, »Schnauze jet«). Die Jungs sind auf das Gymnasium gegangen, da wird einem was Anderes antrainiert, insbesondere, wenn man aus gutem Haus kommt und Jura studiert. Hier war mir die Sprache nicht passend zu den Protagonisten gewählt, ein wenig zu aufgesetzt. An vielen Stellen hapert es an den Metaphern, die ich hin und wieder holprig empfand. Nach der Prügelei beschreibt Heiko jemanden, »Als hätte eine Horde von Goths ihn geschminkt«. Die Sprache ist derb, brutal. Dagegen ist nichts einzuwenden, Prosa in Reinkultur. Das muss man aber durchhalten. Immer wieder gleitet der ungeschliffene Heiko mit der Fluppe im Maul, der bei dem Spacko die Wumme sieht, ab von seinem Asi-Tonfall und lässt den Oberstufler reden. »Und Hannover leuchtet aus tausend Wunden in der Dunkelheit», oder »...  diese blaue Augen. Sehen aus wie Eiswürfel, in denen eine Fliege eingefroren wurde. So scharf und gezielt, aber gleichzeitig sind die auch so offen und freischwebend.« Er erzählt vom Auto, das »im fahlen, indirekten Lichtschein« steht. Wer ist Heiko, der hier als Icherzähler fungiert? Ein Asi oder ein Poet? Das wird nicht klar. Der Autor wollte sicher auch seine Erzählkraft herauslassen, was gelungen ist. Dann darf er bei diesem Protagonisten jedoch nicht die Ichform der Erzählung wählen. Heiko steht politisch eher links, ihm missfällt es, dass sein Onkel Kontakt zu den Ultras sucht. Ihn stört der Dreck auf dem Hof, in der Kneipe, im Grunde seines Herzens ist er in allem ein Kleinbürger geblieben. Was ihn hält, ist die Kameradschaft. Gleiches kann man auch für die Freunde und alten Klassenkameraden von Heiko sagen. Prügeln als Freizeitbeschäftigung. Diese Jungs sind nicht grundsätzlich böse, keine menschlichen Kampfhunde oder politisch Verblendete. Sie sind in etwas hineingeraten, weil sie Kindsköpfe sind und darum wachsen sie aus ihren Kampfstiefeln heraus, hinein in blank polierte Anzugschuhe. Die Clique löst sich langsam auf. Ein Problem für Heiko, der keinen Halt hat. Ein Roman, der einen kleinen Teil der Hooliganszene beschreibt. Wir würden uns freuen, wenn das die Mehrheit wäre. Und genau das nehme ich dem Autor nicht ab. Abiturienten, die sich bisschen prügeln und irgendwann erwachsen werden. Das Buch ist lesenswert, mal was anderes. Man findet aber auch nichts Neues. Warum ist der Roman auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises gelandet? Keine Ahnung. Einen Revoluzzer muss es immer geben, einen, der aufregt, einen der grob ist, heraussticht. Das wird es sein, nicht, weil es gute Literatur ist, dafür ist die Sprache zu unausgegoren, nicht durchgehend prägnant. Auch taugt die Handlung nicht für etwas Außergewöhnliches. Das Buch ist eben anders, dreckig, voyeuristisch, auf der Linie der Realstorys. zeitgenössische Romane Krims und Thriller Historische Romane Fantasy, Fantastic, SciFi, Utopien Dystopien Sachbücher (für jedermann) Kinder- und Jugendliteratur