Autorin
Sabine Ibing
Der Anfang: »Wir ähneln denen, die wir hassen, mehr als wir denken. Und
deshalb glauben wir, dass wir denen, die wir lieben, nie ganz nah sind.«
Ein Mann lässt sich auf einer einsamen Insel absetzen, er soll die
Wetterstation betreuen. Er geht mit dem Kapitän an Land, die
Mannschaft bringt seine Kisten mit Persönlichem und Vorrat an Land.
Doch wo ist sein Vorgänger, den er ablösen soll, sein Haus ist leer?
Vielleicht auf dem Leuchtturm? Aber auch hier ist niemand. Das Schiff
fährt ab, hat es eilig. Dieser Eremit, so stellen wir fest, ist ein
irischerFreiheitskämpfer, des Kämpfens müde.
»Die Führer des neuen Irland jedoch beschränkten sich darauf, die
Namen der Besatzer durch ihre eigenen zu ersetzen. Sie änderten die
Farben der Unterdrückung. Sonst nichts. Es war schamloser Wahnsinn:
Noch während die Engländer Irland räumten, schoss die neue Regierung
bereits auf ihre ehemaligen Gefährten.«
Der österreichischen Leuchtturmwächter Battis Caffò, scheint ihm ein
wenig verwirrt, nicht ganz richtig im Oberstübchen. Er entpuppt sich als
sein Vorgänger. Doch schon in der ersten Nacht erkennt der Ire, dass
auf der Insel etwas nicht stimmt. Große froschartige Wesen dringen vom
Meer aus in sein Haus ein, wollen ihn töten. Zusammen mit Battis Caffò
kämpft er nun jede Nacht um sein Leben, zieht in den Leuchtturm um, sie
schießen auf die Monster, drängen sie ins Meer zurück, doch jede Nacht
erklimmen erneut Unmengen dieser Wesen die Insel.
»… daß die Ungeheuer um ihr Land kämpfen, das einzige Land, das sie
haben.«
Durch Zufall sieht der Ire die Kinder der »Frösche«, beobachtet ihr Spiel,
betrachtet sie als gleichwertige Wesen von Intelligenz und stellt sich
selbst infrage. Er ist der Eindringling, sie kämpfen um ihr Territorium.
Und nun beginnt ein Wandel in seinem Kopf, er versucht sie zu
verstehen. Doch der Kampf geht weiter.
Literarisch an vielen Stellen ein fantastisches Buch, keine Frage. Aber
inhaltlich gesehen, habe ich den Stoff schon mehrfach gelesen und das
wesentlich philosophischer und wesentlich spannender in Szene gesetzt.
Es gibt ziemlich viel Ungereimtheiten in diesem Roman. Natürlich kann
man in der Fantasy-Welt viel gelten lassen, aber es muss eine
folgerichtige Logik durchgehalten werden. Das funktioniert hier an
vielen Stellen nicht.
»Doch wenn wir Menschen auch dazu neigen, die Schuld für unser Leiden
auf die großen Katastrophen zu schieben – das unterstreicht unsere
Bedeutung als Individuen –, so schreibt sich die Wahrheit doch fast
immer in Kleinbuchstaben.«
Spätestens bei den erotischen Szenen wusste ich nicht mehr, was Albert
Sánchez Piñol mir als Leser sagen wollte. Für Altmännerfantasien ist er
noch zu jung. Der Leuchtturmwärter hält ein Froschmädchen gefangen,
vergewaltigt sie am laufenden Band. Überhaupt ist er ein gewalttätiger,
rauer Bursche, nicht nach dem Geschmack des Icherzählers, aber sie
müssen sich als gleiche Spezies gegen die Fremden zusammentun. Und
nun verliebt sich der Ire auch noch in dieses gefangene Froschmädchen,
das ihm zwar willig ist, ihm aber froschkalt gegenübertritt. Soll sie es
hübsch finden, umgarnt zu werden vom Feind, der sie gefangen hält,
sexuell missbraucht? Auch eine dieser unlogischen Gedankengänge
eines Freiheitskämpfers. Er schreibt in sein Tagebuch:
»Ich schlief mit ihr, wann immer ich konnte.«
Die Perspektive des irischen Icherzählers ist gut gewählt. Man taucht ein,
in die tägliche wiederkehrende Mühe und Angst, sich gegen die
nächtlichen Eindringlinge, die Citauca, zu wehren. Was ist Moral, was
Ethik?, menschliche Abgründe tun sich auf. Kolonialistisches Denken,
Unterwerfung einer anderen Spezies, Überlegenheitsdenken, aber das
alles hatten wir bereits tausendmal in anderen Büchern. Ein Roman, der
nicht sympathisch daherkommt, manchmal widerlich abstoßend ist.
Gewalt ist Teil der Menschheit, eine Aussage des Romans. Sex und Gewalt
gehören zusammen? Im Original heißt der Titel »La pell freda«, was kalte
Haut bedeutet. Warum man den Titel »Im Rausch der Stille« wählte, ist mir
unklar, denn still ist hier gar nichts, sondern alles ist kalt. Ein Stoff, der
nicht neu ist, allerdings sehr abstoßend projiziert wird. Sprachlich gut,
für mich inhaltlich leider nur ein »na ja«. Für wen könnte ich den Roman
empfehlen? Wer sich schnell ekelt, sollte es lassen.
Philosophieinteressierte? Das kennt ihr alles. Sprachlich Interessierte?
Schon eher, aber sie könnten am Inhalt scheitern. Fantasy- / Science-
Fiction - Fans, Erotikleser? Das ist es nicht wirklich. Ein schräges Buch,
viele Genre angeritzt. Ich glaube, das war mein Problem. Überall ein
wenig genascht, aber in der Masse nicht durchdacht. Mir fehlte Logik,
Verständnis und die philosophische Tiefe. Nur ein paar gute Sätze und
Metaphern reichen für einen guten Roman nicht aus. Wegen der guten
Sprache gerade noch 3*. Ein Roman den man mag oder eher nicht, je
nach Geschmack.
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Rezension
Im Rausch der Stille
von Albert Sánchez Piñol