Autorin
Sabine Ibing
Wer Ringelnatz liebt, sollte an diesem Buch nicht vorbeigehen. Der Roman
ist eine Neuauflage eines Bestsellers aus den Zeiten der Weimarer
Republik. Gabriele Tergit, war eine der wichtigsten Journalistinnen der
Weimarer Republik.
»Über die Toilettenverhältnisse in den Berliner Schulen sollte man mal was
schreiben.«
1929, Otto Lambeck, eigentlich ein Literat, erhält von Chefredakteur
Miermann, »er war ein Ästhet, aber nicht für sich selber«, der »Berliner
Rundschau«, den Auftrag, eine Serie von Essays über die Hauptstadt
Berlin zu schreiben. Da sitzt er nun, ihm fällt rein gar nichts ein. Kollege
Frächter gibt ihm den hinterhältigen Tipp, einen Artikel über den
Volkssänger Käsebier zu verfassen, der im Varieté »Hasenheide« auftritt.
»Denn dieses Café ist eine Heimat. Ungarn, Polen, Jugoslawen, Russen,
Tschechen, Slowaken, Ruthenen, Dänen, Böhmen, Österreicher, Balten,
Letten, Litauer, Serben, Rumänen und die große Schar der in Berlin dem
Geiste geöffneten, von Osten kommenden Juden, die alle finden dort
Landsleute. Denn so ist es mit Berlin: In der Fremdenstatistik interessiert
man sich hauptsächlich für die Amerikaner, aber eigentlich kommen am
meisten Völker von Osten nach Berlin, eventuell ein paar Holländer und
Dänen.«
Unerwartet für alle Seiten wird Käsebier berühmt durch den Artikel, der
aus der Kiste gezogen wird, als keine Topnachrichten eingehen, der
Sänger steht im Rampenlicht. Die Unterhaltungsindustrie möchte an
seinem Erfolg teilhaben und so setzt sich ein Rad in Bewegung, das
Käsebier zum Star aufstreben lässt. Der Sänger ist »blond, dick, quibblig«,
singen kann er eigentlich auch nicht, doch die Medien protegieren ihn,
die eine Zeitung schreibt von der anderen ab, »Wie kann er nur schlafen
durch die dünne Wand«, »Mensch ist Liebe schön« werden Megahits. Er
singt Texte vom Stoff der kleinen Leute.
Berlin ist in, lebt vor, was Kunst ist, Szenekneipen, feine Cafés, Varités, in
Berlin lebt man gern. Schicke Leute wohnen gern in schicken Wohnungen,
Immobilienhaie entkernen die Quartiere und treiben die Gentrifizierung
voran, wohnen in der Stadt wird teuer. Jeder investiert sein Geld.
Faschistische Bewegungen sind auf dem aufsteigenden Ast. Käsebier
wird zur Marke von Schuhen, Füllhaltern, Zigaretten, Schokolade,
Gummipuppen. Ein Buch wird über ihn geschrieben, ein Film produziert.
Die Krönung: Ein Käsebier-Theater soll am Ku'damm errichtet werden. Ein
windiger Investor plant in bester Lage, zehn-Zimmer-Luxuswohnungen
und das Käsebier-Theater zu bauen, sammelt bei Investoren. Die
verwerfen Warnungen, dass die Zeit für Luxuswohnungen vornüber
wäre, eine Wirtschaftskrise bevorstünde. Ein Stoff der Weimarer Zeit,
kein aktueller. Es geht in diesem Roman aber auch um die Journalisten
der Zeitung, Miermann, Gohlisch, Augur und Fräulein Dr. Kohler, um die
Medien schlechthin. Am Ende platzt die weltweite Immobilien-
Spekulationsblase, die Wirtschaftskrise ist real, eine Katastrophe zieht
die nächste nach sich, mancher ist pleite, viele der Protagonisten sind tot
oder ruiniert, und die »Berliner Zeitung« wird durch den mit den Wölfen
heulenden Frächter auf den »rechten Kurs« gebracht.
»Sie denken immer, es kommt druff an. Es kommt nicht druff an. Sonst
streich ich. Ich kann nich auf’n Rand drucken.«
Man erfährt auch etwas über das Zeitungswesen. Der Metteur der
Zeitung ist der, der den passenden Schrifttyp für die Schlagzeile
aussucht, der für den Satz zuständig ist, unter dem sich sogar der
Chefredakteur ducken muss. Es ist herrlich zu lesen, in welcher
Handarbeit früher eine Zeitung entstand.
»Miermann kannte den Typ der völlig selbstständigen Frau noch nicht. Sie
schwamm sehr rasch, kannte bald die Welt, besuchte Vorträge, arbeitete
höchst angestrengt, war ungeheuer intelligent, witzig und geistreich, nur
völlig amusisch. Sie fand alles falsch an dieser Welt. Die Ehe, die Familie,
das Staatswesen, die Wirtschaftsreform. Sie sah die Schattenseiten, war
gegen das Zufriedensein.«
Frauen sind auch das Thema, Fräulein Dr. Kohler und Käte Herzfeld.
Gebildete Frauen, die es sich leisten, unverheiratet zu sein, einen guten
Job zu haben. Die eine, Käte Herzfeld, sexy, modebewusst, frönt das
ausschweifende Leben, verhöhnt die Werte- und Moralvorstellungen des
19. Jahrhunderts. Die andere, Fräulein Dr. Kohler, hängt noch ihren
Idealen humanistischer Bürgerlichkeit nach, kann mit Kätes Verhalten
trotz aller Emanzipation wenig anfangen.
Am Ende des Romans erfahren wir etwas über die Autorin, ihr bewegtes
Leben und den Roman, der erstmals 1929 bei Rowohlt erschien, mit
diversen Veränderungen immer wieder in die Neuauflage kam. Dies ist
der Originaltext. Es ist erschreckend, welche Parallelen die Welt von
damals mit unserer heutigen Welt aufweist! Darum ist der Stoff ein
aktuelles Thema.
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