Autorin
Sabine Ibing
Der erste Satz: »Wir fuhren in einen Luftkurort, um zu retten, was noch
zu retten war von unserer verfluchten Ehe.«
Joan-Marc Miro-Puig trifft sich mit seiner Frau Helen in einem spanischen
Hotel, sie wollen sich versöhnen. Der Ort ist gespenstig, sie sind umgeben
von alten Leuten. Helen hat ihre Eltern im Schlepptau und ihren Sohn, der
von einem anderen Mann stammt. Joan-Marc nennt das Kind nie beim
Namen, er nennt ihn den Jungen, etwas, was Helen stört, wie so vieles.
Joan-Marc beginnt mit der Versöhnung, indem er Helen gleich ausziehen
möchte, seine Art der Aussöhnung. Nach minütlichem Frieden geht es
ziemlich schnell zur Sache, Helen schreit, wird hysterisch, zerdeppert
einige Dinge, schließt sich im Bad ein. Der Leser wird hineingezogen in
diese Ehe, die nicht mehr zu retten ist.
»Ich war seit jeher der Ansicht, dass man die herausragende Rolle
fremder Zimmer in Hotels, Pensionen oder Gästehäusern zur Festigung
von Paarbeziehungen gar nicht hoch genug schätzen kann. Ich
jedenfalls schwöre darauf, sowohl zur Einstimmung als auch als
Ausgleich zum häuslichen Sex, sozusagen zur flüchtigen Belebung
zwischendurch. Doch auf unserer Reise war mir bei der Vorstellung, mit
ihr allein im Schlafzimmer zu sein, die Lust vergangen.«
Wir erfahren, wie Helen und Joan-Marc zusammengekommen sind:
sexuelle Anziehungskraft. Und viel mehr wird daraus nicht werden. Joan-
Marc, aus der Oberschicht Barcelonas, noch erzogen in einer Matcho-
Kultur trifft auf Helen, eine exzentrische junge Amerikanerin aus
Montana, Typ Hillbilly, nicht bereit, dem Klischee einer Hausfrau zu
entsprechen, kompromisslos, euphorisch-aggressiv oder mal traurig, am
Boden zerstört, sie ist manisch-depressiv. Sie heiraten heimlich, denn
diese Frau, die sich Joan-Marc aufdrängte, kann er der Familie nicht
präsentieren. Joan-Marc kommt mit Helen nicht klar, er ist sexuell
besessen von ihr, aber ihre Art leben zu wollen, kompromisslos, exessiv,
frei von Arbeit, kommt bei ihm nicht an. Gleichzeitig verlangt sie aber
von ihm, er möge viel Geld anschaffen. Letztendlich schämt er sich für
Helen, mag sie seiner Familie nicht vorstellen, sein Zoom auf Helen geht
immer weiter weg von ihrer Seele, im Focus die gesellschaftliche
Vorstellung, die bei Helen nicht stimmt.
»Helen lehnte es ab, Getränke zu servieren, weigerte sich, Kinder zu
hüten, der bloße Gedanke, ihr Spanisch zu verbessern oder sich näher
mit Office zu beschäftigen, bereitete ihr Übelkeit … In Helens kleiner
Welt (der ihrer Tagebücher) waren die Prinzessinnen blond, stammten
aus den VEREINIGTEN STAATEN – von ihr immer in Großbuchstaben
geschrieben – und hießen allesamt Helen.«
Helen fällt immer weiter in ihre Krankheit, das Scheitern der Beziehung ist
vorprogrammiert. Kein Riss in der Beziehung, sondern zwei Puzzleteile,
die nie zusammengepasst haben, Helen als »vorhersehbar wie banal und
wirklich, die Story an sich ist es auch. harmloser Witz«, bezeichnet von
Marc.
»Pass mal auf Joan-Marc, du hast diese Pseudo-Person geheiratet, gib
mir also jetzt nicht die Schuld. Papa hat uns mühselig beigebracht, uns
nur mit Leuten einzulassen, die im Corte Inglés einkaufen. Was soll ich
also mit einer anfangen, deren Hirn zu siebzig Prozent vom Alkohol
vernebelt ist und ansonsten aus nichts als Lüsternheit, Vulgarität und
Bosheit besteht. Und noch etwas: Arbeit ist Arbeit.«ihn zurück
In Rückblicken erfahren wir etwas über Joan-Marcs kaputtes Leben.
Depression begleitet seinen Weg. Die Eltern haben sich getrennt, die
Mutter verfiel in Depression, lebt zurückgezogen, der Vater hat Suizid
verübt. Joan-Marc ist einsam, sucht auf Facebook nach alten Freunden,
bei denen er sich jahrelang nicht gemeldet hat, »weil sie etwas Klebriges
ausstrahlten«, trifft sich, aber auch hier ist alles kaputt. Der Roman ist
depressiv, bitterböse, rechnet mit der oberen Gesellschaft Spaniens ab.
Die alten Strukturen von Macht und Mangas (Vitamin-B) haben sich
aufgelöst, nicht Stand, sondern Leistung zählt. Die Welt von Joan-Marc ist
ein Mikrokosmus. Die Eltern gescheitert, die ehrgeizige Schwester
verheiratet mit einem reichen Mann, den sie nicht liebt, Helen bringt
sorglos das Familienvermögen durch, das Joan-Marc verwaltet, seine
Schulfreunde der besseren Gesellschaft, aufgewachsen im
Feudalsystem, sind gescheitert, weil Ehrgeiz und Arbeit nicht zu ihren
Tugenden zählt, sie sich nicht anpassen können. Beißender Humor und
Zynismus durchzieht den Roman, ein Joan-Marc, der in Selbstmitleid
zerfließt. Diese ganze Geschichte erzählt er in Zwiegesprächen seiner
zweiten Frau, während er von Bar zu Bar des Nachts durch Barcelona
zieht, des Lebens müde. Auch diese Ehe ist gescheitert, die Frau hat ihn
kurz zuvor verlassen. Ein Scheitern der Männlichkeit, ein Scheitern der
katalanischen Bourgeoisie.
Gonzalo Torné, ist 1976 in Barcelona geboren, hat dort Philosophie
studiert. Im Original heißt das Buch »Divorcio en el Aire«. Er ließ in einem
Interview durchblicken, Joan-Marc sei eine Nebenfigur aus »Hilos de
sangre«, ein Roman, der leider bisher nicht übersetzt wurde. In Spanien
vermuten die Leser, dass Joan-Marc vom vorangegangenen Roman jene
Figur sei, die mit Clara verheiratet ist, die zweite Ehefrau, die namentlich
in »Meine Geschichte ohne dich« nicht genannt ist. In »Hilos de sangre«
wird von Eheproblemen der beiden berichtet. Für »Hilos de sangre«
Roman erhielt Gonzalo Torné den hochdotierten Preis »Premio Jaén de
Novela«. Es wäre wundervoll, auch dieses Werk als deutsche
Übersetzung lesen zu können.
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von Gonzalo Torné