Autorin
Sabine Ibing
Middelhoffs Autobiografie ist heraus. Die Sicht eines Narzissten auf
sein Leben: Die anderen sind schuld, man will mich vernichten, um
von sich abzulenken. Die Biografie des »Handelsblatt«-Redakteurs
Massimo Bognanni zu lesen, liegt mir näher, die Sicht von außen, gut
recherchiert, Wegbegleiter kommen zu Wort, neutral der Journalist
aus der Weitwinkelperspektive. Letztendlich erschüttert das Buch,
aber nicht, weil es die Middelhoff-Story ist, sondern weil einer wie
dieser Weltkonzerne zum Erschüttern bringen kann. Ein Vorstand
besteht aus vielen Personen, darüber sitzt der Aufsichtsrat mit
mehreren Personen, der die Aufsicht führt, damit der Vorstand
richtig entscheidet, damit kein Geld verprasst wird, in die Zukunft
gedacht wird. Aber der Aufsichtsrat redet dem Vorstand nicht
grundsätzlich ins Geschäft, sagt, was zu tun ist, außer er heißt
Middelhoff. Wie kann ein einzelner Mensch so viel Schaden
anrichten, fragt man sich. Er kann. Aber um ehrlich zu sein, er kann
es nicht allein. Er muss charismatisch sein, ein guter Lügner und
Einpeitscher und eine Menge Leute müssen ihm die Füße küssen, ihn
anbeten. Die Verblendung der Masse, ausschalten der Kritiker, so
funktioniert es auch in der Politik.
»Formel-1-Boss Bernie Ecclestone hat Sven Thomas in Beschlag
genommen. … Und so wartet die Zweitbesetzung auf Thomas
Middelhoff. … - Middelhoff habe davon gesprochen, um seine Ehre
kämpfen zu wollen, holt Richter Schmitt aus. ›Aber Ehre hat etwas mit
Ehrlichkeit zu tun. Ich habe selten einen Angeklagten erlebt, der so
oft unehrlich war.‹«
Begeben Sie sich direkt ins Gefängnis, gehen Sie nicht über Los. Drei
Jahre Freiheitsstrafe ohne Bewährung für Reisekostenbetrug und
Finanzierung einer privaten Festzeitschrift auf Firmenkosten, ist das
gerecht? Gut, es handelte sich insgesamt um eine Summe von weit
mehr als einer haben Million, das in einem Konzern, den man vor der
Pleite retten sollte, in dem Mitarbeiter auf Weihnachtsgeld und
Lohnerhöhung verzichteten, die oberen Etagen sich parallel fette
Boni gönnten. Moral und Recht sind zwei Dinge und verurteilt werden
kann man nur für rechtliche Verfehlungen. Die Schmach am Ende
der Karriere: Der Prozess. Während der Verhandlung tauchen in der
Mittagspause Gerichtsvollzieher auf: Taschenpfändung, Bargeld und
Uhr sind verloren, das vor den Augen der Presse. Von der Anklage
direkt ins Gefängnis: Fluchtgefahr. Middelhoff kann das ganze
Szenario nicht fassen.
Middelhoff verließ das Gymnasium mit mittlerem Abschluss,
Berufskolleg Wirtschaft, jobben in der Textilfirma von Onkel Leo,
Studium der BWL an der Fachhochschule Ratlingen, Assistentenstelle
an der Uni Münster. Die Promotion schlägt fehl (er holt sie später im
Saarland nach), Heirat mit Cornelie.
»Im Gegensatz zu seinem Gegenüber war Wössner wenig
beeindruckt von dem Bewerber aus Münster. Hier hatten schon ganz
andere gesessen. Unternehmenspatriarch Reinhard Mohn hatte vor
Jahren die Philosophie geprägt, nur die klügsten Köpfe nach
Gütersloh zu locken.«
Die Bewerbung im Weltkonzern Bertelsmann fällt nicht ganz so aus,
wie Middelhoff sich das vorgestellt hatte. Doch er erhält einen Job
bei der »Mohndruck« als Assistent. Schnell bekommt er einen
Managerposten, als die Mauer fällt. Ab nach Berlin, die
»Elsnerdruck« von Bertelsmann auf Tour bringen. Er holte einen
dicken Auftrag vom Springerverlag, strukturiert um, bekommt
Aufmerksamkeit aus Gütersloh. In den neuen Bundesländern kauft
er die Druckerei, die am rentabelsten erscheint, sie druckte alle
Schulbücher für den russischen Staat. Dumm gelaufen, denn dies
war ein sozialistischer Freundschaftsdienst, weder gab es einen
Auftrag noch floss Geld. Doch eine Pleitefirma. Das schadet ihm
allerdings nicht, Middelhoff steigt in Gütersloh zum Manager auf,
Mark Wössner ist sein Mentor. Allerdings wird dieser seinen Job kurz
vor der Rente bei Bertelsmann verlieren. Lügen, Intrigen, Middelhoff
setzt sich auf seinem Stuhl. Wössner wird erst nach langen Jahren
erfahren, welch Spiel sein Zögling abzog. Middelhoff wird gefeiert.
Ein Medienstar, charismatisch, großmäulig, er ist der Mann der
Zukunft. Er besorgt sich junge Berater von der Uni St. Gallen. Das
Zeitungsgeschäft von Bertelsmann sitzt auf dem absteigenden Ast,
auch RandomHouse geht es schlechter. Internet heißt die Zukunft
prophezeit Middelhoff und kauft in den USA ein. Die Hinterhofbutze
AOL erweist sich als Megadeal. Napster bringt Milliardenschaden
(aber da ist Middelhoff schon aus dem Konzern entlassen). Kaufen,
verkaufen, herumwirbeln, Staub aufwirbeln, Presse, Blitzlichter,
großes Gehabe, das gefällt auch der Presse, die ihn hochjubelt.
Einkauf in RTL, Middelhoff will an die Börse, die Familie Mohn möchte
nicht von Aktionären erpresst werden, immer mehr
Fehlentscheidungen, zu viele Intrigen. Middelhoff muss 2002 gehen.
»Der Ausstieg wurde Middelhoff mit einem zweistelligen
Millionenbetrag versüßt.«
Josef Esch, der Finanzberater von Middelhoff war auch
Finanzberater von Madeleine Schickedanz. Und nachdem der
Arbeitslose bei der Suche nach einem Job nicht fündig wurde, rät
ihm Esch: »Karstadt braucht dich!« In der »Süddeutschen« lässt Big T.
prahlerisch verkünden, er würde Manager des WEF in Davos
werden, Vertrag in Arbeit. Im Weltwirtschaftsforum ist man darüber
etwas verschnupft, denn man hatte längst einen anderen
Kandidaten gewählt. Middelhoff erhält durch Kontakte einen Job bei
dem Finanzdienstleister »Investcorp«, man arbeitet diskret und
geräuschlos. Hier fehlte Big T. wohl die mediale Aufmerksamkeit, den
schnell flatterte er los, um Karstadt-Quelle-Neckermann zu retten,
Madeleine Schickedanz ist begeistert von ihm.
»Inzwischen waren auch Feinheiten ausgetüftelt. Middelhoff, der in
der Öffentlichkeit vorgab, es ginge ihm um seine Reputation und die
Rettung der Arbeitsplätze, hielt Dank des Geheimpapiers eine
weitaus handfestere Motivation in den Händen, von der
Neuausrichtung zu profitieren: dreistellige Millionenbeträge.«
Bankhaus Sal. Oppenheim, Berater Esch, Familie Schickedanz und
Middelhoff gründen eine Firma: »Neos«. Der Plan sieht vor, Karstadt
von der Börse zu nehmen, die Firma günstig über »Neos«
einzukaufen und sie dann zu filetieren. Kaufhäuser, Versandhäuser
dichtmachen, die Immobilien für viel Geld verhökern, vermieten.
Denn die Immobilien, jede für sich, waren Millionen wert, als
Aktienpaket nicht viel. Als Estes muss Madeleine Schickedanz geheim
(über eine Schweizer Vermögensgesellschaft) sich 50 % der Aktien
aneignen. Dazu brauchte sie Geld. Das gibt das Bankhaus Sal.
Oppenheim über Kredite. Middelhoff muss den Aktienkurs nach oben
bringen. Karstadt braucht Geld, Sal. Oppenheim ist auch hier
behilflich. Würde Karstadt kippen, wäre das Bankhaus pleite (um das
zu verhindern, schluckt es später die Deutsche Bank Sal.
Oppenheim).
Big T., sitzt nun im Aufsichtsrat, trotz Interessenkonflikts, und
pfuscht dem Vorstand ständig in die Geschäfte. Später wird er
Vorstandsvorsitzender. Zunächst läuft es auch besser: Verkauf
einiger Firmen, Zukauf von »Thomas Cook« bringt schwarze Zahlen.
Die Firma nennt sich nun »Arcandor«, rostige Laube einfach
überstreichen, feixen Kritiker. Aber das laue Verkaufsgeschäft wird
nicht umstrukturiert, läuft immer schlechter. Verkaufte Immobilien
bringen die Bilanz zunächst ins Lot, aber sie werden gleichzeitig
angemietet, die hohen Mieten lassen im nächsten Jahr die
Einnahmen wieder in den roten Bereich rücken.
»Der KarstadtQuelle-Chef, der für seinen Posten ein Fixgehalt von
47.000 € brutto im Monat verdiente, zahlte also allein für den
Kaufpreis der Jacht über 60.000 € im Monat. Auch die Villa Aldea …
wurde ein sechsstelliger Betrag fällig. Jeden Monat.«
Luxusvilla und Luxusboot in Saint-Trope verursachen immense
Kosten, auch die Villa in Deutschland ist nicht billig. Nachbarlich steht
die Oetker-Villa. Als die verkauft wird und ein Kinderhospiz dort
einziehen soll, verhinderte Middelhoff dies durch ein grandioses
Angebot. Er lässt die Villa hochwertig umbauen, sie soll sein privates
Institut werden. Alles auf Pump. Geldanlagen in Fonds auf Pump.
Später wird ein Insolvenzverwalter frustriert festgestellt haben,
dieser Familie gehört rein gar nichts, absolut nichts.
»Ich bin wie die Katze übers Dach. Ich musste drei Meter tief auf eine
Garage springen und dann noch einmal drei Meter auf die Straße.
Dann bin ich durch den Hinterhof fröhlich pfeifend zu einer
Nebenstraße gegangen, habe mir ein Taxi gewunken und bin zu
Gesprächen und Verhandlungen geflogen.«
So rauschend wie der Manager Middelhoff nach oben startete, so
stürzte er ab. Big T. insolvent, Arcandor insolvent. Der
Gerichtsvollzieher steht im Gerichtsgebäude, die Pressemeute, die
Flucht aus dem Fenster, selbst das verkauft er noch medienwirksam.
Natürlich ist Middelhoff für seine Taten verantwortlich, aber er hätte
die ganzen Aktionen nie alleine durchziehen können. Gefeiert,
verehrt, verrissen, wieder aufgestanden, beklatscht: Big T. – Big
Boss. Die Story allein wäre nicht interessant, wenn sie nicht
exemplarisch für einen bestimmten Typ von Managern stehen
würde: charismatisch-narzisstische Typen, bei denen das Mundwerk
größer ist, als das Hirn. Habgier, Entrückung aus der Welt,
Selbstverherrlichung, leider viel zu oft ein Charaktermerkmal in
Chefetagen. Besonders der zweite Teil dieses Buchs liest sich wie ein
Krimi, lässt es einem eiskalt den Rücken hinunterlaufen: was ein
einzelner Mann mithilfe einer gierigen Gefolgschaft alles anrichten
kann. Selbstverständlich sieht sich Middelhoff selbst als Opfer, er ist
ja ein Narzisst. Das Buch ist glaubwürdig, gut recherchiert. Massimo
Bognanni zeigt die Stärken und Schwächen des Managers auf, seine
Erfolge, seine Niederlagen und eben auch seine Gier und
Hinterhältigkeit.
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