Autorin
Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
zeitgenössische Romane
Rezension
Montana
von Smith Henderson
»Du bist schon am Limit, und die Zahl der Fälle wird ansteigen, wenn es
auf Weihnachten zugeht bei den Armen, bei den aus der Bahn
Geworfenen und Irre. Kinder warten mit Cops in Wohnzimmern oder auf
dem Vordersitz vom Streifenwagen, damit sie nicht völlig auskühlen, bis
du kommst. Und du bringst diese Kinder ins Krisenzentrum in Kalispell. Wo
es zu wenig Betten gibt.«
Peter Snow arbeitet beim sozialen Familiendienst, Amt für Jugendschutz,
in Tenmile, Montana. Der Roman spielt zur Wahlkampfzeit von Reagan,
also um 1980. Die Minen für Edelmetalle sind geschlossen, auch einige
Sägewerke. Verarmte Familien, arbeitslose Eltern, Alkoholiker,
Drogensucht, durchgeknallte Hillbillies, die schon lange nicht mehr an den
amerikanischen Traum glauben, Weltverschwörungstheorien
nachhängen. American Trash, der weißen Bevölkerung. Peter, der selbst
seine Probleme hat, dem die Frau weglief, ins entfernte Texas verzog, der
probiert, mit seiner Tochter Kontakt zu halten, sein gewalttätiger Bruder
wird von der Polizei gesucht und sein allmächtiger Vater, ein reicher
Rancher, der mit seiner neuen Frau zusammenlebt, geht ihm auch auf die
Nerven. Ein wenig Ruhe findet Pete bei seiner Kollegin Mary, mit der er ein
Techtelmechtel beginnt, die wiederum selbst aus schwierigsten
Verhältnissen stammt. Peter versorgt Familien mit Lebensmitteln und
Medikamenten, holt Kinder aus verwahrlosten Verhältnissen, bringt sie
bei Pflegeeltern unter, die sie nicht immer aus sozialem Engagement
aufnehmen, sondern der Kohle wegen. Er trifft auf die Familie Pearl, die
von Vater Jeremiah angeführt, erbärmlich in den Wäldern haust, auf die
Apokalypse wartet. Pete versucht zu helfen, wird vom Vater fast
umgebracht, der sich paranoid vom Geheimdienst verfolgt fühlt. Pete ist
weiter auf der Suche nach ihnen, will den Kindern helfen.
»Es gab Kinder mit Narben auf dem Rücken, die unter der Dusche glühten
wie geschmolzenes Wachs. Kinder, die keinen Respekt vor persönlichem
Eigentum oder Privatsphäre kannten … Kinder, bissen.«
Hendersen beschreibt die Landbevölkerung, die Abgehängten der
Gesellschaft, zeigt die grauenhafte Realität einer Population ohne soziales
Netz, ohne vernünftige Bildung. Peter weiß, dass seine Hilfe nur ein
Tropfen auf den heißen Stein sein kann, dass das ganze System verkorkst
ist. Wildnis in Montana, Berge, Wälder, Kälte. Kälte durchzieht das Buch.
Verschrobene Typen, heruntergekommene Ortschaften, weitab der
schicken Großstädte, entfernt von Technik und Kultur.
Cecil, der von der Pflegefamilie rausgeschmissen wird, Rachel, Peters
Tochter, die von ihrer Mutter abhaut und die Familie Pearl stehen im
Zentrum dieses Romans. Rachel, die sich prostituiert.
Verschwörungstheorien, religiöser Fanatismus, faschistoide Gedanken
und immer wieder Gewalt, ein Amerika, das in unserem TV nicht
vorkommt, weder in Serien noch in Dokumentationen. Das Amerika der
Armen, die täglich zu einem bitteren Überlebenskampf aufbrechen. Hier
gibt es kein »yes, we can do«.
»Es gab Familien denen man half, weil es Teil des Jobs war; … ich fuhr sie
in die gottverdammte Arztpraxis, damit ihre Infektion endlich behandelt
wurde. Man machte es eben. Weil es sonst niemand machte.«
Kinder, die nicht zur Schule gehen, ein allzeit betrunkener Richter, Pete,
der Sozialarbeiter, ein Versager, der selbst gern zur Flasche greift,
junge Menschen mit Hoffnung, irgendwann aus dieser Mühle
auszusteigen, der Leser weiß, es wird nie passieren. Montana, weites
Land genannt, weite, raue Landschaften, wunderschön melancholisch
beschrieben von Henderson. Ein anderer Menschenschlag,
Landbevölkerung. Der Autor lässt seine Figuren handeln und sie sich
selbst erklären. Toleranz gegenüber anders denkenden Menschen und
die Wendung von Blickweisen durchzieht den Roman. Niemanden hängen
zu lassen, auch wenn es einem selbst nicht gut geht, niemals aufzugeben,
»Yes, we can!«
Um die amerikanische Seele zu verstehen, sollte man sich auch mit dieser
Seite des Landes befassen, weit ab von Washington, New York, Florida.
Henderson selbst stammt aus Montana und hat als Sozialarbeiter
gearbeitet.
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