Autorin
Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
zeitgenössische Romane
Rezension
Nach einer wahren Geschichte
von Delphine de Vigan
Der erste Satz: »Einige Monate nach dem Erscheinen meines jüngsten
Romans hörte ich auf zu schreiben. Fast drei Jahre lang schrieb ich
keine Zeile.«
Die Bestsellerautorin Delphine de Vigan, die zuletzt ein Buch über ihre
Mutter geschrieben hatte, schreibt ein Buch, indem die
Hauptprotagonistin die Bestsellerautorin Delphine de Vigan ist, die
zuletzt ein Buch über ihre Familie geschrieben hatte, die eine
Schreibblockade bekommt. Sie ist überwältigt über die Reaktion ihrer
Leser, die genau wissen wollen, ob alles wahr ist, was in ihrem Buch
steht. Sie suchen die Orte aus dem Roman auf, recherchieren im
Internet über ihre Familie, saugen Delphine in Lesungen über Privates
aus. Nicht alle Familienmitglieder sind mit diesem Buch einverstanden.
Delphine verarbeitet den Triumph für ihr letztes Buchs, hadert Neues
anzufangen. Was muss sie jetzt schreiben, um an den Erfolg
anzuknüpfen? Lesungen und Interviews lassen sie nicht zur Ruhe
kommen, der Verlag macht Druck, fragt nach dem neuen Manuskript.
Die Autorin beschreibt auch optisch sich selbst, ihre Kinder ziehen aus,
wechseln ins Studium. Soweit stimmen Autorin und Protagonistin überein.
Delphine de Vigan spielt mit ihrem Leser, was ist Fiktion, was ist Realität?
Genau darum geht es unter anderem, das Schreiben einer wahren
Geschichte, der Leser hat es satt, fiktiven Stoff zu lesen, er will Reales
lesen, sagt L.. Und wer ist L., die in das Leben der Autorin tritt?
Eines Tages trifft Delphine auf einer Party L.. Elle, gesprochen L
bedeutet sie im Französischen: Sie. Die beiden Frauen sind sich auf
Anhieb sympathisch und treffen sich ein paarmal, telefonieren, mailen.
L. ist Journalistin, als hochkarätige Ghostwriterin für Prominente tätig,
schreibt deren Autobiografien. Delphine erhält Hassmails auf ihr letztes
Buch, indem sie pikante Details über ihre Familie veröffentlichte, sich vor
dem Leser ausblätterte. Die Mails bringen sie aus dem Gleichgewicht.
Auch leidet sie unter einer leichtem Schreibblockade. Nur L. berichtet sie
davon. Sie diskutiert mit L. ihre Ideen für ein neues Buch. L. verhöhnt
Delphines fiktive Entwürfe, sie soll über sich selbst schreiben, ihre Seele
öffnen, der Leser will die Wahrheit lesen. Delphine hat genug von der
Wahrheit, genug von den Reaktionen des letzten Buchs. Doch L. gibt
nicht nach.
»Ihre Worte zwangen mich, über das nachzudenken, worüber ich nie
hatte theoretisieren wollen. Ihre Überzeugungen stießen heftig gegen
das minimale Gebäude, das ich errichtet hatte, um meiner Arbeit einen
Sinn zu geben oder wenigstens über sie sprechen zu können. Und ihre
Worte schlichen sich ins Herz des Zweifels, den ich nicht mehr zu
formulieren vermochte.«
Delphine fühlt sich beobachtet, L. meldet sich stets zur richtigen Zeit, um
Delphine zu helfen. Manipulativ, auf freundliche Art und Weise dringt L.
in das Leben von Delphine ein, sie sucht Gemeinsamkeiten mit Delphine
und da gibt es eine Menge. Delphine fällt in ein tiefes psychisches Loch.
L. ist verständnisvoll, mitfühlend, behilflich, wobei sie subtil immer weiter
in Delphines Leben eindringt, in ihre Seele. L. manipuliert Delphine, sie ist
der Verursacher der Schreibblockade. Delphines Schreibblockade weitet
sich aus, nicht einmal Mails kann sie beantworten, einen Einkaufzettel
schreiben. L. sieht, wie die Freundin in eine Krise stürzt, ist
unterstützend, die einzige wahre Freundin. Sie zieht bei ihr ein, geht
einkaufen, kocht, beantwortet Delphines Mails, schreibt Artikel für sie,
überweist für sie Rechnungen, übernimmt Delphine. Sie fängt an, sich zu
kleiden wie Delphine. Die Soziopathin übernimmt. Delphine ist nur noch
ein psychisches Wrack, lebensunfähig. Doch wer ist L.?
»Ja, Schreiben ist eine Waffe... eine Rakete, ein Flammenwerfer, eine
Kriegswaffe. Es kann alles zerstören, aber es kann genauso gut alles
wieder aufbauen. »
Es geht nicht nur um Delphine und L. in diesem Roman. Es geht um das
Schreiben an sich. Die Nöte, eines Bestsellerautors, der unter enormen
Druck steht. Von einem Tag auf den anderen ist man weltberühmt und
die Welt verlangt Nachschlag von dir. Es geht in diesem Roman um die
Wahrheit. Was ist wahr, von dem, was du schreibst, will der Leser wissen.
Die typische Frage an Autoren: Wie viel Autobiografisches steckt in ihrem
Buch? Der voyeuristische Leser, der alles wissen will, in deinem Leben
wühlt. Kann er sich nicht schlicht mit einer guten Geschichte
zufriedengeben? Doch was passiert, wenn ein Schriftsteller wirklich
Autobiografisches niederschreibt? Wie heftig reagiert seine Umwelt? Hat
der Autor damit gerechnet? Wer fängt ihn auf? Wem muss er nun Rede
und Antwort stehen? Wie tief verletzen Hassmails den Autoren, die er
auf seinen Roman erhält? Lesungen, Anfragen, Interviews, Fans, die
bedrängen. Wie findet man in dieser Anspannung die Ruhe, ein neues
Werk zu beginnen? Themen gehen durch den Kopf. Sind das die
richtigen Geschichten, die ein Bestsellerautor schreibt? Werden sie dem
Publikum genügen? Was bedeutet schreiben? Wie weit zieht man sich
aus? Wo vermischt sich Fiktion mit Wahrheit? Der Protagonist denkt,
handelt, hat eine Meinung. Ist das die Meinung des Schriftstellers oder
der Figur? Delphine de Vigan hat ein Buch nach dem Buch geschrieben,
nach der Veröffentlichung der Autobiographie ihrer Mutter. Diesen
Roman hätte es nicht ohne den ersten gegeben. Sie verarbeitet mit dem
Schreiben ihre eigene Geschichte. Somit ist die Story wahr. Oder auch
nicht. Gibt es L.?
Dieser spannende Roman spiegelt nicht nur die Inneneinsicht einer
Schriftstellerin, es ist ein Spiegel für den Leser. Ihr wollt die Wahrheit
wissen? Sucht euch eine aus! In dem Roman geht es um die Wahrheit, um
nichts als die Wahrheit. Ein Buch, das nicht loslässt, bis man auf der
letzten Seite angekommen ist. Das Jahr ist noch nicht ganz zu Ende,
aber dies Buch ist für mich bisher die TOP 1.
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