Autorin
Sabine Ibing
Der Anfang:
»Peter Arbeitsloser hat genug.
»Niemand«, sagt er.
»Ja, Peter?«, fragt Niemand.
»Ich habe keinen Appetit mehr.«
»Okay«, sagt Niemand.
Niemand ist Peters persönlicher digitaler Assistent. Peter selbst hat
diesen Namen gewählt, denn er hat oft das Gefühl, dass Niemand für ihn
da ist. Niemand hilft ihm. Niemand hört ihm zu. «
Peter Arbeitsloser lebt in Qualityland, in einer Zeit, ein paar Jahre uns
voraus. Eine Dystopie? Ein wenig schon, letztendlich fühlt man sich im
Jetzt, bzw. in einer Zeit die schon begonnen hat und nur noch einen
ganz kleinen Schubs nach vorn braucht. Und genau das ist so
erschreckend.
»Die Leute, die den Code schreiben lassen, wollen dass wir glücklich sind,
denn Frustration ist unproduktiv. « – »Willkommen in der Zukunft, hier
läuft alles rund.«
In Qualityland ist alles digitalisiert und offen. Das fahrerlose Taxi, das
vorbeifährt, begrüßt mit »Hallo Peter«, es spielt seine Playlist und kennt
die Themen, über die er sich unterhalten mag. Peter wird in seiner
Persönlichkeit nicht so besonders gut bewertet, besitzt keinen hohen
Score. Der Score ist wichtig, denn danach wirst du überall eingeschätzt,
beim Job, Einkauf, danach werden dir Partner vorgeschlagen. Steigt ein
Partner im Score, schlägt man ihm vor, sich zu trennen um einen
besseren Typen zu bekommen. Peter hat ein Geschäft, er verschrottet
Geräte, Roboter und Drohnen. Und er hat ein persönliches Problem mit
Bestellungen bei Firmen, die er gern umtauschen möchte. Ein Umtausch
ist nicht vorgesehen, auch wenn er laut den Geschäftsbedingungen ein
Recht darauf hat. Der Toaster wird immer falsch geliefert, er sendet ihn
zurück, doch es flattern Mahnungen ins Haus. Das Maß ist voll, als er
einen pinkfarbenen Delfinvibrator zugesendet bekommt, den er nicht
bestellt hat. Und nun nimmt er es mit Robotern und einer technisierten
Welt auf, um sein Recht auf Rückgabe durchzusetzen.
»Es tut mir sehr leid«, sagt das Auto, »aber neue Versicherungsrichtlinien
haben Ihr Stadtviertel als zu gefährlich für selbstfahrende Autos meiner
Qualität eingestuft. Sie werden sicherlich verstehen, dass ich Sie darum
bitten muss, hier auszusteigen.«
Peter hat ein Herz für Maschinen. Einige, die er eigentlich verschrotten
sollte, weil sie defekt sind, gab er in seinem Keller Asyl: eine Drohne mit
Flugangst, ein Sexdroide mit Erektionsstörungen, ein Staubsauger mit
Messie-Syndrom. Und dann kommt E-Poetin Kalliope 7.3 in seinen Laden,
um sich verschrotten zu lassen. Er rettet den weiblichen poetischen
Androiden, der sich nicht den Marktanalysen anpassen will und richtige
Literatur schreiben möchte. Sie wird der zweite Protagonist. Peter lernt
einen Rechtsanwalt kennen (Mensch), der seinen Job verloren hat, weil
er plötzlich ein Gewissen entwickelte. In einem Nebenstrang geht es um
die Wahl des Präsidenten: Mensch gegen Android. Als Politiker werden
immer die ausgebildet, die es in einem ordentlichen Beruf zu nichts
bringen würden.
»Wenn einer der Unregistrierten zum Beispiel einen Kaffee Latte bei
Starbucks per TouchKiss bezahlt, postet das System autonom und
augenblicklich ein passendes Status-Update auf dessen Profil: »Trinke
gerade bei Starbucks einen Kaffee. Superlecker. Starbucks ist wirklich
meine Lieblingskaffeehauskette. Ihr solltet alle auch mal zu Starbucks
gehen.«
Das klingt zunächst banal und letztendlich ist sie das auch. Die Geschichte
ist aber ein zynischer Abgesang auf unsere digitale Welt, und leider
steckt so viel Wahrheit dahinter. Wozu war das Internet noch mal
gedacht? »Der eigentliche Witz ist, dass wir damals, in meiner Jugend,
ernsthaft geglaubt haben, das Internet könne das Mittel zur Befreiung
der Menschheit sein«, erzählt der alte Mann Peter. Und weil der Mensch
ein Mensch ist, ein Hordentier, haben sich erst im Netz Giganten gebildet,
die den Markt revolutionierten, unter sich aufteilen, die ganzen
individuellen kleinen Firmen im Einzelhandel zerschlugen.
Berieselung und Wohlfühlcharakter, eine Diktatur, ohne, dass das der
Mensch sie wahrnimmt, sich völlig frei fühlt … Peter Arbeitsloser und
seine Freundin Sandra Programmiererin (der Nachname eines Kindes
richtet sich danach, welchen Beruf Vater bzw. Mutter zum Zeit der
Geburt ausübten) sind anfänglich ein Paar, besuchen das Musical »Hitler:
Das Musical«. Als Hitler verkleidetes Personal im Vorfeld, ein lustiger Typ
dieser Hitler … Nebenbei, ganz kuschelweich haben sich die Rechten ins
Regierungsfeld geschoben.
Dein Score ist wichtig! Sandras Level steigt, sie verlässt wie von »Rate me«
vorgeschlagen Peter, dessen Score nun noch mehr sinkt. »Rate me«, die
Dating-Plattform meldet sich sogleich.
Eine Drohne, die liefert, fordert auf: »Bewerte mich mit 10 Sternen!« und
schiebt im Nachsatz hinterher, Peter solle dran denken, sie wisse ja, wo
er wohne. Eine Überwachungsdrohne nennt sich Super-Secure, kurz SS.
Digitalkapitalismus lässt grüßen.
»Mein, Dein, das sind doch bürgerliche Kategorien!« (Deutsche Bank)
»Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.« (Deutsche Bahn)
Ein Lacher folgt den nächsten (mit dem Hörbuch fällt man auf der Straße
unangenehm auf), aber, frage ich mich manchmal, warum lache ich
eigentlich hier an dieser Stelle nicht, ist doch witzig. Wenn diese
zukünftige Welt nicht längst begonnen hätte und das alles gar nicht so
lustig ist, wäre das einen Lacher wert. Manchmal bleibt er allerdings im
Halse stecken. Natürlich kommen bei der Menge von Stoff auch blöde
Kalauer daher, wie oben. Hier lacht man dann ganz heftig, denn das ist
eben nur witzig. »Personalisierung in der digitalen Kommunikation«,
ziemlich zynisch auf die Schippe genommen und daher verdammt gut.
Verdammt gute Unterhaltung mit einem bitterbösen Nachgeschmack.
Wie lange dauert es noch, bis wir in Qualityland angekommen sind? Oder
stecken wir schon mittendrin?
Nun sei noch angemerkt, es gibt das Buch in hell und dunkel zu erhalten.
Ich hatte mich für die dunkle Seite der Macht entschieden. Der
Unterschied soll fein, aber entscheidend sein, in den Zwischentexten
(zwischen den Kapiteln werden Werbung, Empfehlungen, Nachrichten
eingespielt, die sich in den beiden verschiedenen Versionen
unterscheiden). Krieg oder Frieden, gut oder böse, schwarz oder weiß.
Allerdings sagt man, der Unterschied sei so unerheblich, dass genau
diese Tatsache die Katastrophe ist. Es gibt kaum einen. Ich kann das Buch
als Hörbuch nur empfehlen, denn gelesen, kommen die Faustschläge
besonders gut. Wohl dem, der es beherrscht, an der richtigen Stelle die
Pausen zu setzen. Wer sich mit amüsieren möchte und das mit
intelligenter Satire, der liegt goldrichtig.
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Rezension
Qualityland
von Marc-Uwe Kling
Gesprochen von: Marc-Uwe Kling
Spieldauer: 08 Std. 26 Min.
ungekürztes Hörbuch