Autorin
Sabine Ibing
»Wirklich erfolgreich ist man eben nicht als One-Man-Show. Die
Verantwortung von Führung besteht darin, kompetente und
vertrauenswürdige Leute für sich zu gewinnen – und ihnen das
Vertrauen und die erforderlichen Freiräume für ihre Arbeit zu
geben.«
Die FDP flog 2013 aus dem Bundestag und verschwand in der
Versenkung, in der Bedeutungslosigkeit. Doch die Freien
Demokraten gaben nicht auf. Allen voran Christian Lindner, was
ihm auch den Ruf einer »One-Man-Show« einbrachte. Aber wie soll
einer alleine das alles stemmen? Natürlich hat er ein Team hinter
sich. Vom Absturz 2013 in die »Schattenjahre« und 2017 zurück ins
Parlament. Über die harte Zeit dazwischen kämpfen die Freien
Demokraten für den Wiedereinstieg ins Bundesparlament, in die
Länderparlamente. Davon handelt das Buch, tagebuchartig, unter
anderem. Kurz skizziert Christian Lindner seinen politischen Weg
zur FDP. Was hat damals zum Absturz der Partei geführt und wofür
steht die Partei heute?
Das Buch endet mit dem Einzug ins Parlament und heute, ein paar
Wochen später, wissen wir, die FDP ist aus den
Sondierungsgesprächen für »Jamaika« ausgestiegen. Wer
verstehen möchte, warum das so ist, sollte dieses Buch lesen.
Wolfgang Kubicki wurde die Tage von der NZZ gefragt, ob es
wirklich keine Einigung gegeben hätte, die Grünen und die CDU
behaupten ja. »Nennen Sie es ein Wintermärchen. Ich frage Union
und Grüne immer wieder: Worauf habt ihr euch denn geeinigt? Ich
kriege keine Antwort. Beim Familiennachzug, bei der Frage der
sicheren Herkunftsländer, bei der Mütterrente: Überall stellt man
fest, dass man sich gar nicht nahe war. Und jetzt wird dieses
Märchen erzählt, dass die FDP kurz vor dem Erfolg ihres Lebens
panisch aufgestanden und vom Tisch weggerannt sei, aus Angst zu
regieren. Um diese Geschichte zu glauben, muss man viel geraucht
haben«, so Kubicki. Warum haben die Freien Demokraten in den
Sondierungsgesprächen auf eine Festlegung bestimmter Punkte
gepocht? Warum hat es ihnen nicht gereicht, schlicht darüber
geredet zu haben, wie es Frau Merkel gern gesehen hätte?
2013: »So fand sich aufgrund eines Tauschgeschäfts am Ende das
Betreuungsgeld im fertigen Koalitionsertrag. Es war ein
Mammutprogramm – zu viele Prüfaufträge, wenig konkrete
Absichten. Es fehlte die Zeit, weil die Regierung rasch gebildet
werden sollte. … Regieren wollten wir dennoch, also hatten wir
auch Formelkompromisse als Durchbruch für die Öffentlichkeit
inszeniert. ›20 von 20 Kernforderungen gegen die Union
durchgesetzt‹, hieß es. Das schürte Erwartungen in der
Öffentlichkeit – und bei uns selbst.«
Und in der Folge wurden die Prüfaufträge nicht verfolgt, die FDP
verlor ihr Gesicht. Aber das war natürlich nicht alles. Eine schwache
Führung und Flügelkämpfe innerhalb der Partei gaben ein
schlechtes Außenbild. Lindner beschreibt, wie die Partei sich Stück
für Stück davon befreite, zurück zu den Wurzeln fand, der
Selbsterneuerungsprozess zurück zu den liberalen Wurzeln. Dabei
zeigt Linder die Positionen der FDP, wo sie sich mit anderen Parteien
schneiden und wo sie sich unterscheiden. Es gibt Gemeinsamkeiten
mit den Grünen, eine Wählerklientel mit überdurchschnittlichem
Bildungsstand, Bürgerrechte, ähnliche Standpunkte zur Inneren
Sicherheit und zu Fragen der Gesellschaftspolitik. Doch es
existierten auch genügend Gegensätze.
»… damit man auch den gemeinsamen Zielort erreicht und nicht
ganz woanders rauskommt. … Es empfiehlt sich immer, Dinge klar
zu verabreden. … Ein Prüfauftrag bedeutet doch nur: Aus dem
Auge, aus dem Sinn«
Man versteht die Position der heutigen Freien Demokraten, nur mit
einem festen Papier aus den Verhandlungen herauszugehen, sich
nicht mit Prüfaufträgen abspeisen zu lassen, die dann in der
Regierungszeit vom Tisch gefegt werden, da sie nie festgezurrt
wurden. »Wir schaffen das!« ist zu wenig, das Vertrauen zu den
gleichen Leuten von damals ist noch nicht wiederhergestellt. Zu
schwer war der Weg zurück, zu schmerzhaft die Erfahrung, wenn
das Vertrauen der Wählerschaft bricht.
»Niemand hat die FDP mehr besiegt als sie sich selbst.«
Selbstkritisch mit sich und der Partei blickt Lindner zurück. Auch auf
seine Zwitterposition als Generalsekretär der Bundespartei und
gleichzeitig von NRW. Gleichzeitig verschiedene Positionen
vertreten zu müssen, um keinen Vorsitzenden zu brüskieren, lieber
den Mund zu halten, bzw. drum herum zu reden, sich dabei
lächerlich zu machen, ein schmerzlicher Prozess. In der Regierung
habe man liberale Positionen nicht mehr durchsetzen können.
»Niemand sollte daher so mächtig werden, dass er mit Steuergeld
gerettet werden muss oder anderen die Spielregeln selbstherrlich
diktieren kann – wer das geschehen lässt, der darf sich nicht
wundern, wenn das Vertrauen in die freiheitliche
Wirtschaftsordnung nachlässt.«
Christian Lindner spricht über Bildungspolitik, die Vorstellung der
Liberalen, vernünftige Kindergärten für alle Kinder zu schaffen,
die Schulen zu stärken, sie gut auszubauen, die Erzieher und
Lehrer wertzuschätzen, sie gut weiterzubilden und zu bezahlen. Er
schreibt, für ihn bedeutet Gerechtigkeit, gleiches Startkapital zu
haben, eine gute Bildung muss für alle gleich sein, darf nicht vom
Geldbeutel der Eltern abhängen, wer den besten
Nachhilfeunterricht bezahlen kann, die bestausgerüsteten
Bildungseinrichtungen besuchen darf. Und er erklärt, warum er
nicht über Familiennachzug diskutieren will, sondern über ein
Einwanderungsgesetz, in dem der Familiennachzug ein Teil sein
könnte. Digitalisierung, Europapolitik, Finanzpolitik, klar definiert
Lindner seine Positionen.
»Für mich ist klar, dass bei Menschen zu uns kommen, ein Wechsel
des Status sein muss: Jemand kommt als Flüchtling, aber er
integriert sich so gut, dass er danach ein legales und dauerhaftes
Aufenthaltsrecht erhalten kann, auch wenn der eigentliche
Schutzgrund entfallen ist.«
Jürgen Möllemann, Guido Westerwelle, Philipp Rösler sind
Vergangenheit, Schatten, über die man springen muss, aber auch
Vorbilder wie Heuss, Genscher und Scheel stehen für die Liberalen.
Ein Erfahrungsbericht, persönlich, gespickt mit kleinen Berichten
aus Lindners Leben, Einsichten, Weitsichten?, die Beschreibung des
harten Wegs im Wahlkampf, on the road again. Lindner erzählt, wie
er sich Freiraum schafft, um nicht ganz aufgefressen zu werden
vom Politikbetrieb, er erklärt die liberalen Positionen, setzt sich mit
anderen Parteien auseinander, eine Mischung aus Tagebuch,
Rückblick und Zukunft.
»Anders gesagt: Eine Freiheit, die nicht auch im Einzelfall
missbraucht werden kann, ist keine Freiheit. Als sittliches Prinzip
muss ihr aber die Zuweisung und Übernahme von Verantwortung
gegenüberstehen.«
Haben die Liberalen bei »Jamaika« gekniffen? Nach der Lektüre
dieses Buchs wird sich jeder sein eigenes Bild machen können, denn
es endet vor den Verhandlungen mit dem Einzug zurück ins
Parlament.
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