Autorin
Sabine Ibing
Der Anfang: »Ich kenne Roderick Macrae seit seiner Geburt. Im
Allgemeinen war er ein höfliches Kind und später ein höflicher und
hilfsbereiter junger Mann.«
Der 17-jährige Roderick Macrae hat am 10. August 1869 in seinem
Heimatdorf Culduie drei Menschen ermordet, darunter den Constable
des Dorfes, Lachlan Mackenzie. Der eine davon ist dem Leser gleich
bekannt, wer die anderen beiden sind, erfährt man im letzten Drittel.
Mord im schottischen Hochland in der ländlichen Gegend von Inverness.
Der Autor schreibt sich selbst fiktiv in die Geschichte, berichtet, er wäre
durch Zufall während Recherchen für ein anderes Buch auf Dokumente
seiner Vorfahren gestoßen, dem Bericht von Roderick Macrae, der im
Gefängnis als Mörder inhaftiert seine Geschichte niederschrieb. Das Buch
beginnt mit Zeugenaussagen, es folgt Rodricks Bericht und am Ende ist
die Gerichtsverhandlung skizziert.
»Der Auslöser dieser Widrigkeiten war unser Nachbar Lachlan
Mackenzie, und ich habe ihn aus dieser Welt entfernt, um das Schicksal
meiner Familie zum Besseren zu wenden.«
Aber geht es nur darum? Sicher, nachdem Lachlan Mackenzie zum
Constable der Gemeinde bestimmt wird, geht es den Macraes an den
Kragen, er schikaniert die Familie bis aufs Blut. Reicht das aus für einen
Mord? Erzählt uns Roderick die Wahrheit, oder eben das, was er für die
Wahrheit hält. Gibt es vielleicht weitere Motive, einen Motivkomplex? Um
diesen Mordfall wird viel Spektakel gemacht, diverse Mediziner werden
als Gutachter vom Gericht von der Verteidigung instrumentalisiert. Was
ist die Wahrheit? Wäre der Stein ohne den Ziegenbock überhaupt ins
Rollen geraten? Oder hat die Anzeige wegen »Diebstahls« der Algen den
Hass entfacht?
»›Ihnen ist doch sicher bewusst, dass alles, was am Ufer wächst,
einschließlich der Algen, dem Lord gehört.‹ … ›Es geht nicht darum, ob
der Lord Verwendung für die Algen hat, sondern darum, dass sie sein
Eigentum sind.‹«
Neben der guten Beschreibung des harten Lebens der ländlichen
Bevölkerung kommt der Unterschied zwischen den gebildeten Bürgern
und den Bauern zum Tragen. Dem Lord sind die Bauern egal, er hat einen
Constable bestimmt und der ist allmächtig, solange er genug Geld in die
Kasse spült. Ein gerechter Verwalter wird abgesetzt, der ist zu
nachsichtig, presst nicht genug heraus, ein harter Hund muss her. Ein
aufmüpfiger Bauer, der den Lord belästigt, die Gesetze lesen will, die der
Verwalter zitiert, empfindet dieser als impertinent. Medizinische
Gerichtsgutachter, die Schwachsinn per Physiognomie bestimmen wollen,
die von oben herab über die ländliche Bevölkerung urteilen, eine
Gesellschaftsordnung jener Zeit, gut beschrieben inklusive Bräuche und
Lebensweise. Ein zeitgeschichtliches Buch, gut recherchiert spannend
erzählt.
»Halten Sie es für möglich, Roddy, dass ein Verrückter überzeugt ist, er
sei bei klarem Verstande?«
Graeme Macrae Burnet schafft es, dem Leser glaubhaft zu machen,
wirklich auf alte Dokumente gestoßen zu sein. Die Details zum Leben in
den Highlands des 19. Jahrhunderts, die Sprache, alles ist gekonnt
dokumentenhaft gesetzt. Mittels der Danksagung des Autors erfährt der
Leser, dass nur zwei Figuren der Geschichte einem wahren Hintergrund
entstammen.
Aber es gibt wieder etwas zu ärgern, was die Verlagsseite betrifft, die
dieses Buch als psychologisch raffinierten Thriller, Psychothriller
anpreisen. Man kann zum Glück sagen, dass ich gerne historische
Romane lese. Darum mag ich das Buch, das ein typischer
Geschichtsroman ist. Wäre ich ein ausgesprochener Thrillerleser, hätte
ich das Buch mit trockenen Passagen schnell beiseitegelegt. Kein Thrill,
schon gar kein Psychothrill, nicht mal ein Krimi wird hier präsentiert,
maximal könnte man es unter Archivfiktion im Kriminalroman ablegen.
Was denken sich die Verlage bei solcher Beschreibung? Letztendlich wird
das Buch ins falsche Regal eingeräumt, der Geschichtsfreund verpasst
ein gutes Buch, der Thrillerleser wird verärgert.
Gräme Macrae Burnets »Sein blutiges Projekt«, »His Bloody Project.
Documents relating to the case of Roderick Macrae« hatte er es 2016 auf
die Shortlist zum Booker Prize geschafft.
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Rezension
Sein blutiges Projekt
Der Fall Roderick Macrae
von Graeme Macrae Burnet