Autorin
Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
zeitgenössische Romane
Rezension
Traurige Freiheit
von Friederike Gösweiner
Dieser Roman hat mich ein wenig ratlos sitzengelassen, zu viele Fragen
bleiben offen, ein dünnes Werk, vielleicht darum. Auf keinen Fall kann
ich den Hype diverser Feuilletons um das Buch verstehen, schon gar
nicht sprachlich. Die Story ist ok, aber bitte, mehr kann ich darin nicht
sehen.
Die Geschichte beginnt mit einem Streit.
»Es waren immer die gleichen Sätze, die sie einander gesagt hatten, und
immer waren sie bis hierher gekommen. Entweder war Hannah dann
wütend ins andere Zimmer gelaufen und hatte kopfschüttelnd die Tür
hinter sich zugeknallt oder Jakob hatte sich gekränkt umgedreht und
war wortlos gegangen.«
Hannah und Jakob wohnen zusammen, ca. 700 km entfernt von Berlin,
wo auch immer. Jakob ist Assistenzarzt, etabliert an der Klinik. Hannah
hat ein Studium abgeschlossen (Bachelor? Master?), von dem man nur
erfährt, es muss etwas publizistisches sein. Schade. Ein wenig mehr
Wissen über die Protagonisten hätte dem Leser beim Verstehen des
Buchs weitergeholfen. Nach über 500 Bewerbungen hat Hannah es
geschafft. Sie darf in Berlin ein Volontariat absolvieren, ein Praktikum in
der schreibenden Zunft, sechs Monate, ev. Verlängerung auf ein Jahr.
Die beste Freundin von Hannah (über die erfährt man auch nicht viel)
wurde in die Redaktion nach Moskau abberufen, ihre kleine Wohnung
steht leer, Hannah braucht nicht einmal Miete zu zahlen. Jakob möchte
sie nicht gehen lassen, nicht solange allein sein, stellt Hannah vor die
Entscheidung: Praktikum oder er. Sie Situation ist in der heutigen Zeit
nicht ganz glaubwürdig, da junge Paare meist ähnlichen Situationen
gegenüber stehen. Aber Machos soll es immer noch geben. Jakob bietet
an, die Miete der Wohnung voll zu übernehmen. Er sagt nicht, lass mich
dir helfen, vielleicht kannst du ein Aufbaustudium draufsetzen, eine
Ausbildung. Er sagt nicht, lass uns eine Familie gründen oder
irgendetwas in dieser Richtung. Der Leser weiss nicht, wie gefestigt die
Beziehung ist. Wie distanziert ist Jakob? Man wird es nicht erfahren.
»Irgendetwas in ihr hatte sie diesen Satz sagen lassen, ebenso ruhig und
bestimmt wie Jakob vorhin sein Nein ausgesprochen hatte, als sei sie
sich sicher, dass sie sich beide trennen sollten. Dabei wollte sie das doch
gar nicht, dachte Hannah dann.«
Hannah geht nach Berlin, absolviert ihr Volontariat. Darüber erfährt
man nichts. Leider. Was ist ihre Aufgabe, in welcher Redaktion sitzt sie?
Es wäre interessant gewesen, ob sie dieser Tätigkeit gewachsen war, wie
viel Druck sie bekommen hat, Überstunden usw. Genau das hätte für
mein Verständnis zu den folgenden Ereignissen dazugehört. Das
Praktikum ist merkwürdigerweise schon nach acht Wochen beendet,
Fehler im Manuskript? Will Hannah zurück? Sie ist sich uneins, zu stolz,
zuzugeben: Das war es. Sie bewirbt sich weiter, schreibt kleine Artikel.
Worüber hätte der Leser gern gewusst. Irgendwie bleibt Hannah ein
leeres Blatt.
Und von nun an lesen wir die Geschichte über eine Depression, die
wahrscheinlich schon begonnen hatte, aber der Leser erfährt ja nichts..
»Immer wieder hatte Hannah in diesen Wochen solche kleinen Anfälle
von Atemnot gehabt, zuhause, wenn sie im Bett lag und versuchte
einzuschlafen. Jetzt war es zum ersten Mal außerhalb von Miriams
Wohnung passiert und sehr viel heftiger.«
Der Betroffene bekommt selbst in der Regel von seiner Krankheit nichts
mit. Hannah muss nun von irgendetwas leben, darum nimmt sie einen
Kellnerjob an. Sie entzieht sich ihrer Umwelt. Sie kennt niemanden in
Berlin, möchte niemanden kennenlernen, bereits an den Treffen der
Volontäre hatte sie nicht teilgenommen. Hannah steht unter Stress, auch
wenn sie das so nicht wahrnimmt, dem Konflikt, zwischen dem, was sie
innerlich benötigt und was external von ihr gefordert wird. Sie braucht
Selbstbestätigung, muss sich und ihrer Umwelt beweisen, dass sie etwas
wert ist, dass sie zum System etwas beiträgt. Sie muss funktionieren,
überleben. Hannah lechzt nach Anerkennung zur Stärkung ihrer inneren
Sicherheit. Aber da ist niemand. Hin und wieder skypt sie mit Miriam in
Moskau, doch die hat eigene Probleme. Weiterhin simst sie jeden Tag mit
Jakob, ziemlich oberflächlich. Warum hält er den Kontakt aufrecht,
bemerkt als Arzt nicht Hannahs seelische Verfassung? Auch eine Frage,
die nicht beantwortet wird. Was kommen muss in der Depression, ist die
Phase der Verweigerung, der Rückzug nach innen. Bewerbungen
werden nicht mehr geschrieben, auch keine Artikel mehr eingereicht,
beides führte ja nur zu negativer Resonanz. Hannah verwahrlost ein
Stück. In dieser Phase taucht eine Person auf, die mir in ihrem ganzen
Verhalten befremdlich erscheint. Ein älterer, bekannter Journalist aus
Hamburg unterrichtet an der Journalistenschule von Berlin, trifft sich
hin und wieder mit Hannah. Es entsteht eine ganz sonderbare
Freundschaft. Er ist Hannahs Strohhalm. Er könnte ihr beruflich
weiterhelfen. Dieser ältere Herr blieb mir ein Rätsel bis spätestens zur
Abschiedsszene. Vielleicht interpretiere ich das falsch, für mich ist der
Mann eine Vision. Es gibt Formen der schweren Depression oder ähnlich
gelagerten Krankheiten, bei denen stellt man sich eine fiktive Person
vor, die einen begleitet, weiterhilft. Eine andere Form ist das
Stimmenhören.
»Als Hannah jünger war, hatten alle Erwachsenen immer gesagt, sie sei
glücklich, gehöre zu der Generation, der alle Wege offenstünden. Man
könne alles werden, alles sein, hieß es, alles sei möglich, das sei die
totale Freiheit. Aber das stimmte nicht, dachte Hannah, das stimmte
überhaupt nicht. Ihr standen keine Wege offen. Niemand brauchte sie.
Niemand wollte sie. Sie war zu nichts nutze. Oder stellte sie sich nur
besonders dumm?«
Hannah allein in Berlin, erschöpft, mitten in einer Identitätskrise, feiert
ihren 30. Geburtstag, einsam in einem Café bei einer Tasse Kaffee und
einer Kugel Vanilleeis. Mehr kann sie sich nicht leisten. Dieser Roman
handelt von einer schweren Depression oder einer Psychose. Hier geht
es nicht um die Generation Praktikum oder das aussichtslose Studium.
Das Thema wird niemals behandelt. Eine Krankheit, die in den Genen
liegt, irgendwann hätte es Hannah sowieso erwischt bis hin zum
Zusammenbruch. Und genau das beschreibt Friederike Gösweiner
hervorragend.
»Wie hatte sie nur nicht daran denken können? Wenn alles möglich war,
war eben auch das Verlieren möglich. Wie konnten das alle nur
vergessen? Wie konnte man denken, dass es immer nur die anderen
treffen würde?«
Feine Beobachtung der Autorin setzt sich an einigen Stellen sprachlich
durch. Doch in der Gesamtheit hat es mir im Text an Wortkraft gefehlt,
an ausgefeilten Sätzen, Stilistik und Rhythmus. Die Autorin ist Journalistin
und Lektorin. Die vom Feuilleton hochgelobte sprachliche Kompetenz, wo
war sie? Ich hab oft beim Lesen gestutzt, Holpersätze, zu oft. »Hannah
wunderte sich über die vollkommene Stille, die da plötzlich war.«; »... der
sonst manchmal schon dort saß, wenn Hannah erst um die Mittagszeit
kam ...«; »Das hatte ihr auch früher oft geholfen: Wenn ...«
Das Buch ist eine interessante Lektüre, keine Frage. Letztendlich blieben
mir zu viele Fragen in der Geschichte offen, um sie ganz zu verstehen.
Sprachlich ist das Buch keineswegs der Knaller. Atmosphärisch dicht, in
der Darstellung einer psychischen Krankheit, ansonsten hat es mich
nicht völlig begeistern können..
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