Autorin
Sabine Ibing
In ihrem Blog »Drinking Diaries« wollten Leah Odze Epstein und Caren
Osten Gerszberg über Frauen und ihren Alkoholgenuss reden.
Erinnerungen, Gespräche über Mütter, die Erfahrung als Jugendliche mit
dem Genuss von Alkohol, Abstinenz, Geselligkeit usw. Ausgewählte
Geschichten aus diesem Blog finden wir in diesen Band. Trinkt ein Mann,
ist das cool, insbesondere, wenn er darüber schreibt. Charles Bukowski,
Ernest Hemingway, James Joyce usw. schreiben über ihre
Alkoholexzesse, bestimmte Detektive, Kommissare, sind erst interessant,
wenn sie saufen wie ein Loch. Welche Schriftstellerin schreibt eine Hymne
aufs Trinken? Mir fällt dazu nichts ein. Mir fallen nur traurige Gestalten
ein: Janis Joplin, Whitney Houston, Amy Winehouse, Sinead O’Connor …
Ein betrunkener Mann ist unangenehm, eine besoffene Frau widerlich …
so oft das Gesellschaftsbild. F. Scott Fitzgerald sagte: »Trinken ist das
Laster des Schriftstellers.«; Der griechische Poet Anakreon war der
Meinung: »Viel besser ist es, trunken, als tot am Boden liegen.«; und
Horaz im alten Rom stellte fest: »Gedichte, die von Wassertrinkern
geschrieben wurden, können nicht lange Gefallen erregen.« Wie sieht es
bei den Frauen aus? Die Schriftstellerin Amy Liptrot, auf Orkney
aufgewachsen, wurde im Londoner Partyleben zur Alkoholikerin, kehrte
auf die Orkneys zurück, machte einen Entzug, schreibt in »The Outrun«
über ihren Kampf mit dem Alkohol. Charlotte Roche outet sich als
essgestört und alkoholkrank in ihrem Buch »Das Protokoll des Horrors in
ihrem Kopf«, die amerikanische Autorin Lucia Berlin schrieb über ihre
Sucht. Gabriele Schmelz hat eine Geschichte über eine Trinkerin
geschrieben. Irmgard Keun hat ihr Alkoholproblem ansatzweise in ihren
Romanen thematisiert. Es gibt sie, die trinkenden Frauen, die sich outen,
aber sie schreiben keine Hymnen.
»Ich habe meinen Vater niemals mit einem Drink in der Hand gesehen.
Meine Mutter habe ich niemals ohne einem Drink in der Hand gesehen.
Allerdings habe ich meine Eltern auch nie Seite an Seite gesehen. Ich bin
das Produkt zweier Extreme: halb chinesisch, halb amerikanisch.«
Aber in diesem Buch wird nicht nur über Abhängigkeit gesprochen. Von
der Kindheitserinnerung an die eigenen Mütter, die betrunken eine
Situation versauten, Eltern die betrunken einen Autounfall fabrizierten,
üble Erinnerungen. Was machen die Erinnerungen aus einem? Wie ist
später die eigene Einstellung zum Alkohol? Eine der Autorinnen hasst es,
ihren Geburtstag zu feiern, da war etwas mit der Torte … Wie gehen wir
selbst mit unseren Erfahrungen mit Alkohol um? Wie mit unseren
Partnern und Kindern? Geselligkeitstrinkerinnen, leidenschaftliche
Trinkerinnen, Abhängige, Frauen, die mit Abhängigen in einer Beziehung
stehen, bis hin zur Abstinenzlerin. Alkohol und Religion ist ein Thema. 28
Frauen, die berichten. »Teil 1 Kindheit« – die erste Überschrift lautet:
»Acht Autos Schrott, eins hatte Glück«, der Text ist von Pam Houston. Es
geht weiter über die Kapitel Beziehungen, Kultur und Gesellschaft,
Familie, Bekenntnisse.
»Ich habe nicht aufgehört, als mein Mann mir zu verstehen gab, dass es
nicht ok. sei jeden Abend drei Gläser Wein oder zwei Martinis zu trinken.
… Ich hörte auf, nachdem ich mir ganz gezielt bewusst gemacht hatte,
wie sehr ich vom Alkohol abhängig war, während ich unter seinem
Einfluss stand.«
Die Geschichten sind persönlich, manche erschreckend, andere amüsant,
alle regen zum Nachdenken an. Frauen und Alkohol, ein Tabu in der
Literatur. Männer trinken, Frauen nehmen einen Drink zu sich, oft
beinhaltet der eine Drink mehr Alkohol als sechs Bier. Männer schütten,
Frauen nippen, Männer können was vertragen, Frauen sind schnell breit,
so das gängige Klischee. Diese Kurzgeschichten sind typisch
amerikanisches Buch, feine Geschichten, ohne Zweifel. Aber sie sind
eben amerikanisch, eine Übersetzung. Die europäische Geschichte des
Alkohols deckt sich nicht mit der der USA, wir haben als Europäer eine
andere Tradition. Bei uns trank man im Mittelalter wegen der schlechten
Wasserqualität eher Wein und Bier als Wasser, bis der Zusammenhang
des abgekochten Wassers und Gesundheit klar wurde, gereinigtes
Wasser, Kaffee, Tee, Limonade lösten Alkohol als gängiges Getränk ab.
In Europa, besonders im Süden, gibt es die Tradition, Alkohol zum Essen
zu genießen. In den USA ist der Genuss von Alkohol erst ab 21 Jahren
erlaubt, in der Öffentlichkeit (z.B. an Stränden) darf man nicht trinken, in
manchen Staaten gibt es Verkaufs- und Ausschankbeschränkungen.
Insofern ist die häusliche und heimliche Trinkerei ein völlig anderes
Thema. Die Geschichten sind gut, interessant, weil sie persönlich sind und
es gibt auf jeden Fall Überschneidungen zu europäischen Frauen.
Allerdings frage ich mich, warum der Verlag eine Übersetzung zum
Thema herausgeben musste. Eine Problematik, die sicher auch bei uns
brennt. Vielleicht bin ich mit falschen Voraussetzungen an das Buch
gegangen. Die Rede war im Klappentext von trinkenden Frauen,
persönliche Erfahrungen und Erlebnisse, was ja insofern korrekt ist. Der
Plauderton der Erlebnisse ist gut zu lesen und manche Geschichte
berührt. In der Tiefe gingen sie an mir vorbei, zu weit entfernt. An
anderer Stelle war ich wieder dabei, wenn eine Muslima berichtet, wie sie
in Gewissenskonflikte kommt, Alkohol zu trinken, als Genuss, ihren Eltern
das jahrzehntelang verschweigt. Irgendwann ist Schluss, sie will nicht mit
der Lüge leben. Und es ist sehr anrührend, wie die Mutter darauf
reagiert. Und hier war ich wieder in Amerika. Die Mutter ist klug und man
kann sie umarmen. Bei uns ist diese Reaktion kaum vorstellbar, außer in
Familien, die Religionsgesetze sowieso locker auslegen … und da
braucht man auch nichts verstecken. Die Geschichten sind gut, das
Thema wichtig. Meine Anregung an den Verlag, einen zweiten Teil mit
europäischen Texten nachzulegen.
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Rezension
Trinkende Frauen
herausgegeben von Leah
Odze Epstein & Caren Osten
Gerszberg