Autorin
Sabine Ibing
»Wenn es dem weißen Mann nicht bestimmt wäre, diese neue Welt in
Besitz zu nehmen, dann würde sie ihm jetzt nicht gehören. Hier lag der
wahre Große Geist, der göttliche Strang, der alles menschliche Streben
miteinander verband – wenn du es halten kannst, gehört es dir. Dein
Eigentum, ob Sklave oder Kontinent. Der amerikanische Imperativ.«
Historischer Background: Die Underground Railroad gab es wirklich. So
nannte sich ein Netzwerk, das seit den 1850er Jahren Metaphern aus der
Welt der Eisenbahn verwendete, um verschlüsselte Botschaften an zur
Flucht entschlossene Sklaven zu übermitteln, die aus den Südstaaten in
den Norden fliehen wollten. Ein Fluchthelfer nannte sich »conductor«, das
Codewort für Unterkunft war »station«. Die Flüchtlinge selbst wurden als
»passengers« bezeichnet. Nachdem die Sklaven durch Nachrichten oder
Gesang verschlüsselter Botschaften über Zeit und Ort der Flucht
erfuhren, gelangten sie mittels Fluchthelfern in verlassene Häusern oder
Scheunen, etappenweise, wurden mit Hilfe von Spendengeldern neu
eingekleidet, damit man sie nicht als Sklaven identifiziert, Richtung Norden
transportiert, teils legal in Zügen, auf Schiffen. Und es gab
Sklavenfänger, die für Kopfgeld versuchten, die Entlaufenen
einzufangen, dem »Besitzer« zurückbrachten.
»Sie hatte ihm nicht gehört, und jetzt gehörte sie ihm. Oder sie hatte ihm
schon immer gehört und es bis jetzt bloß nicht gewusst.«
Die Hauptprotagonistin dieses Roadmovies ist Cora. Ihre Großmutter kam
auf die Farm der Randells. Ihre Mutter ist hier geboren, wie auch sie. Als
Cora acht Jahre alt war, ist ihre Mutter weggelaufen, mitten in der Nacht,
und sie ist eine der Wenigen, die es geschafft haben, nie wieder hat man
etwas von ihr gehört. Cora versteht nicht, warum ihre Ma sie im Stich ließ.
Der alte Randell ist verstorben, die Söhne teilen den Besitz auf. Cora ist
nun alt genug, um zu den Frauen zu gehören, die in Besitz genommen
werden. Sie möchte fliehen, wie ihre Mutter, in den freien Norden.
Caesar, ein neuer Sklave, hat Kontakt zum Underground Railroad und die
beiden hauen ab.
»Wenn man sehen will, was es mit diesem Land auf sich hat, sage ich
immer, dann muss man auf die Schiene. Schaut hinaus, während ihr
hindurchrast, und ihr werdet das wahre Gesicht Amerikas sehen.«
Der berüchtigte Sklavenfänger Ridgehead ist ihnen auf den Fersen, denn
er lebt davon, den Eigentümern ihren Besitz zurückzubringen. Weiße
Herren, besitzen, peitschen aus, vergewaltigen, schneiden Zungen
heraus, brandmarken. Colson Whitehead beschreibt sehr eingehend das
Los der Sklaven, ihre Lebensgewohnheiten. Weshalb wurden im Süden so
viele Sklaven benötigt? Baumwolle war begehrt, doch ihr Anbau benötigte
viel Pflege und viele Hände bei der Ernte. Die Überheblichkeit der weißen
Rasse war maßlos. Flucht war für viele Farbige das Ziel, um frei zu leben.
Der Autor hat hier als Metapher eine echte Eisenbahn unter Tage gewählt.
Und das erste Ziel wird nicht das Ende sein. Auch die Fluchthelfer leben
nicht ungefährlich.
»So viele Jahre später ist mir der amerikanische Geist lieber, derjenige,
der uns aus der Alten Welt in die Neue gerufen hat, damit wir erobern,
aufbauen und zivilisieren. Und zerstören, was zerstört werden muss. Um
die unbedeutenderen Rassen emporzuheben. Und wenn nicht
emporzuheben, dann zu unterwerfen. Und wenn nicht zu unterwerfen,
dann auszurotten. Unsere Bestimmung kraft göttlicher Vorschrift – der
amerikanische Imperativ.«
Anhand der verschiedenen Stationen zeigt sich auch der politische
Umschwung in den südlichen Staaten zur Kehrtwende. Anfangs stellten
die sich gemäßigten Staaten gegen die Sklaverei, wichen aber davon ab,
nachdem zu viele Schwarze zu ihnen flüchteten. Hochrechnungen
besagten, dass auf einen weißen Herren eine Vielzahl von schwarzen
Sklaven kamen. Sollten die sich alle vermehren und aufbegehren, so
waren die Schwarzen in der Mehrheit. Oh Gott! Es musste dagegen
gesteuert werden. Umbringen, reihenweise, das war die Devise. Und
welch Glück, dass genügend Weiße Hungerleider aus Europa
nachrückten, Polen, Iren, Italiener, Deutsche, die im Heimatland vor dem
Hunger flohen. Genau die arbeiteten gern für einen Hungerlohn und
waren nicht schwarz. Sklaven kosteten auch etwas! Unterkunft,
Verpflegung, ärztliche Versorgung, das gab es nicht umsonst. Die neuen
Angestellten hatten sich gefälligst selbst zu versorgen.
»Mein Herr hat gesagt, das Einzige, was gefährlicher wäre als ein Nigger
mit einem Gewehr«, sagte er zu ihnen, »wär ein Nigger mit einem Buch.
Das muss dann ja ein Riesenhaufen Schwarzpulver sein!«
Underground Railroad ist hochaktuell, hat den Pulitzerpreis erhalten.
Sicher gab es den Preis nicht für die ausgefeilte Sprache. Akribisch
recherchiert, die politischen Hintergründe von damals in Szene gesetzt,
ist hier eine gute Geschichte entstanden. Bei der Vielfalt von Information
und Personal in diesem Roman, bedingt durch die vielen Orte, bleiben die
Figuren sehr flach. Ich konnte nicht einen einzigen Protagonisten wirklich
fassen, teilweise klingt die Geschichte wie eine Dokumentation.
Preiswürdig ist letztendlich das gut aufgearbeitete Thema, das ans Herz
geht, die Aktualität. Der Roman hilft zu verstehen, warum der
Kolonialismusgedanke, die Herrenrasse, noch heute in den Köpfen vieler
Weißen spukt und das nicht nur in Amerika. Ein lesenswertes Buch, das
erschreckend zeigt, wie dicht wir noch heute am Herrendenken dran sind.
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Rezension
Underground Railroad
von Colson Whitehead