Autorin
Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
zeitgenössische Romane
Rezension
Wir kommen
von Ronja von Rönne
Hörbuch, 3 Std, 49 Min,
gelesen von Ronja von Rönne
„Sie studieren Kulturwissenschaft oder Politikwissenschaft, in den
Semesterferien reisen sie nach Asien, lassen sich von australischen
Backpackern ficken und irgendwo im Hinterland Indiens fühlen sie sich auf
einmal ganz klar und wissen, was sie vom Leben wollen.“
Ein schmales Büchlein. Schlichte Sätze, aber gekonnt. Viele Füllwörter, aber
gekonnt platziert. Schnoddrige Jugendsprache, Tagebuchform, daher
authentisch.
Jonas, Leonie, Karl und Nora, die Icherzählerin, leben zusammen als
Wohngemeinschaft, als Paarkonstruktion, na eben als eine
Gesellschaftsform, die der heutigen Paarbeziehung trotzen will. Man ist
offen und teilt alles. Mit dazu gehören Emma-Lou, die kleine Tochter von
Leonie, ein Kind, das nie redet, und 390-Gramm, die Schildkröte von Nora.
Die Handlung beginnt damit, dass diese Vierergruppe in einem Haus am
Meer am Küchentisch sitzt, sie öden sich an. Nora leidet unter
Panikattacken und kämpft mit diversen Ängsten, im Grunde mit sich selbst.
Ihr Therapeut hat ihr geraten in den Urlaub zu fahren, aufzuschreiben
was sie erlebt, fühlt. Vier verwöhnte junge Intellektuelle, die gelangweilt
ihre elektronischen Kommunikationsmittel auf dem Tisch zerhauen, um
einmal draußen zu sein, abgeschnitten von der Welt, die ihnen nichts zu
geben, hat die nur nervt. Dann ist da noch Maja, Noras beste Freundin, zu
deren Beerdigung Nora eingeladen war. Das nimmt sie nicht ernst, weil
Maja öfter solche Späße treibt, Beerdigung der einen Maja, auf zur neuen
Maja. – Doch Maja ist wirklich tot.
«Maja ist nicht tot. Wenn Maja gestorben wäre, hätte sie mir Bescheid
gesagt. Solche Dinge haben wir immer abgesprochen. »
Auf den ersten Blick ein amüsant-neurotisches Buch mit zweideutigen
Sätzen in alle Richtungen. Ein Buch über die Langeweile. Auch der Leser
erstickt irgendwann in Langerweile. Nicht ganz. Im zweiten Blick ist dies ein
Buch über die Generation Y, über genau die Typen, die von ihren Eltern
keine Grenzen gesetzt bekamen, sich langweilen, ausprobieren. Es ist
alles vorhanden in Massen, man muss nur zugreifen. Gleichzeitig steht
dieser Generation die Angst im Nacken. Die Technik wird die Welt
verändern, Arbeit, Arbeitsstrukturen, Gesellschaftsstrukturen, eine Welt
drumherum in Unruhe. Die eingezahlte Rente wird nicht für alle reichen.
Eine Generation die noch aus dem Vollen schöpfen konnte, deren Zukunft
ungewiss ist.
«Wir kommen», soll das eine Drohung sein? Schnoddrige, disziplinlose,
psychisch überreizte und überdrehte junge Erwachsene, die die Welt
regieren wollen? Sind nicht die Römer schon an ihrer Dekadenz erstickt?
Nora arbeitet für eine TV-Show als Shopping-Queen, eine TV-Show eines
Privatsenders, "Die Super-Shopper". Der Job ödet sie an. Unscheinbare
Frauen, die vor der Kamera noch unscheinbarer verhunzt werden, damit
die Wirkung groß erscheint, wenn Nora sie neu stylt. Letztendlich fühlt sie
sich nutzlos. In Rückblenden wird erzählt, wie die Viererbeziehung
zusammenhängt, die Beziehung zu Maja, das ganze glücklose Leben, trotz
allem Überfluss. Oder vielleicht deswegen? Karl, mit dem Nora leiert war,
schleppte einst die magersüchtige Leonie mit Kind an: Sie wohnen jetzt
hier. Und dann zog Jonas ein, um das Gleichgewicht zu halten. Eine
Beziehung zu viert, die nicht funktioniert, die gewollt ist, die aber keiner
will. Karl spricht es aus. Er sehnt sich nach einem Spießerleben, nach einer
ganz normalen Familie mit Kind. Karl, der Schriftsteller, der viel Geld
verdient (so was soll es geben), schreibt an einem Glücksratgeber. Jonas,
ist Softwareentwickler. Leonie? Von ihr erfährt man nicht viel, sie betreibt
ein Ernährungscenter. Eine Gemeinschaft ohne Geldsorgen, die an ihrer
Langeweile erstickt, die keine Ziele hat, die schon alles besitzt, nur keine
Liebe zueinander. Da helfen auch Partys und Drogen nicht weiter.
«Schlechter Sex, das ist Liebe.»
Ronja von Rönne treibt die Dekadenz auf die Spitze, Sprache wird
inszeniert durch Wiederholung und Füllwörter. Was schnoddrig naiv klingt,
ist in Szene gesetzt, Tagebuchstil.
"Unglück ist etwas für Leute mit Talent, die darüber Bücher und Songs
schreiben können, von denen sich dann Leute ohne Talent wie ich
verstanden fühlen"
Urbanes Leben ist „over“, wie Karl sagt, drum zieht man in das Strandhaus
von Karls Eltern, auf unbestimmte Zeit. Ein Ort der Kindheit, ein
Rückzugsort. Aber selbst Strandhaus, Kindheit und die Zerstörung der
elektronischen Kommunikation nützt nichts. Die Kommunikation zwischen
den vier Personen ist längst zerstört. Eine Party soll helfen, denn „Partys
gehen immer“. Nora berichtet emotionslos, angewidert von der
anwesenden Schickeria der Party. Es ist nichts mehr da, es gibt auch nichts
zu retten.
"Ich habe genickt. Das kann ich gut." Nora hat sich seit ihrer Kindheit von
Maja leiten lassen. Maja war die Anführerin, aber Maja ist tot. Maja, Noras
letzter Halt.
"Wir sind jung und geschmackvoll."
Diese Viererclique steht sicherlich nicht für den Großteil der jungen
Menschen. Aber für einen Teil. Selbstsüchtige Existenzen in Wohlstand aus
der Medien- und Juppywelt.
«Dass wir Amazon-Rezensionen über Toaster verfassen und uns über
Gemüsekisten-Abos unterhalten. Dass wir eigentlich nichts zu erzählen
haben.»
Eine Gesellschaft im Überfluss, die selbstverliebte Nischen sucht, um sich
besser zu fühlen, erhabener. Junge Menschen, die nicht am System
zweifeln, es nicht verändern wollen, sondern ihre Rebellion gegen das
Althergebrachte in Nahrungs-Exzessen und Tattoos ausdrücken.
„Wir sprachen den gleichen Code, wir tranken unser Gemüse püriert und
nannten das kalifornisch, wir waren genauso schlechte Menschen wie alle
hier, aber wir waren schlechte Menschen, die beschlossen hatten,
zusammenzugehören“.
Mir hat das Buch gefallen. Auf keinen Fall ist es billig, nur weil hier salopp
dahingeplappert wird.
zeitgenössische Romane
Krims und Thriller
Historische Romane
Fantasy, Fantastic, SciFi, Utopien Dystopien
Sachbücher (für jedermann)
Kinder- und Jugendliteratur