Autorin
Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
Krimis / Thriller
Rezension
Der Gerechte
von John Grisham
»Ich kämpfe mit allen Mitteln für meine Mandanten und würde fast alle
Gesetze brechen, um sie zu schützen, aber ich lasse sie nie zu nah an
mich heran.«
Die Memoiren eines Strafverteidigers, so würde ich den Inhalt dieses
Romans kurz zusammenfassen. Dies Buch ist eine Mischung aus
Schierach und Grisham. John Grisham der emotionale Romanautor und
Ferdinand Schierach, der sachlich in juristischen Kurzgeschichten
erklärt, das Recht nichts mit Gerechtigkeit oder Moral zu tun hat,
sondern die Auslegung von Gesetzen bedeutet. Grisham kann als
Romanschriftsteller in die Vollen langen, denn das amerikanische Recht
arbeitet mit seinem Juriy-System mit Gefühlen. Eine große ungebildete
Jury entscheidet emotional über Recht und Ordnung, über schuldig
und unschuldig. Unser Schöffensystem ist anders aufgebaut. Sie sind
Laienrichter, besitzen eine Menge Möglichkeiten, müssen minimal
ausgebildet werden, sind wenige, stehen im ständigen Austausch mit
dem Richter im Hinterzimmer. Ein völlig anderes System, das keine
Theatervorstellung benötigt.
»Zurzeit muss ich in billigen Motels nächtigen, jede Woche in einem
anderen. Nicht dass ich Geld sparen will. Nein, ich versuche, am Leben
zu bleiben. Es gibt jede Menge Leute, die mich umbringen wollen.«
Sebastian Rudd ist Anwalt, er lebt gefährlich. Denn er verteidigt den
Dreck, den die Kollegen ablehnen. Er verteidigt Gangster, den Mob.
Presse und Volk sind schnell bei der Hand, ein Vorurteil zu fällen. Ein
Anwalt, der Mörder und Kinderschänder verteidigt, muss genauso ein
Monster sein. Diese Typen haben keinen Anwalt verdient, lynchen.
Genau aus diesem Grund kann man verstehen, warum in Kleinstädten
niemand die Bösen verteidigen will. Es schädigt das Geschäft. Sebastian
Rudd interessiert sich für solche Fälle oder er lässt sich als
Pflichtverteidiger anheuern. Sein Büro ist ein gepanzerter Wagen mit
Schreibtisch, Altenschrank, Bar, Waffenschrank, kleiner Küche, für den
Notfall ein Bett. Ihm zur Seite steht Partner. Er ist ständig bei ihm,
sozusagen, die Assistenz: Freund, Bodyguard, Detektiv, Fahrer,
Sekretär, Golfcaddie, Laufbursche. Recherche und Jury-Checking,
Schriftverkehr, lässt Sebastian von einer Kanzlei erledigen, die
unerkannt nur mit solchen Dingen beschäftigt ist. Die verdienen immer,
selbst wenn der Anwalt den Prozess verliert.
Eine Spezialität von Sebastian Rudd ist es, gegen Bullen vorzugehen.
Das macht seinen Job noch gefährlicher. Verliert er einen Fall, ein
Mafiaboss ist eben wirklich ein Mörder, dann kann es sein, dass dieser
vor Wut noch aus dem Gefängnis seine Jungs gegen Sebastian
losschickt. Sebastian Rudd berichtet aus seinem Leben. Er erzählt von
seinen Fällen, erklärt nebenbei das Rechtssystem. Natürlich hat er auch
ein Privatleben, ein kleines zumindest. Geschieden bleiben ihm nur ein
paar Tage im Monat, seinen Sohn zu sehen, Exfrau Judith legt ihm
Steine in den Weg. Seine Wohnung ist nicht gemütlich, denn er ist oft
unterwegs, mit Partner. Der Anwalt interessiert sich für Käfigkämpfe,
ist dort engagiert.
Trägheit und Tricks im Justizapparat, bei der Polizei (die hier
erschreckend idiotisch dargestellt wird), Korruption, Macht,
Manipulation, Ehrgeiz, viele Dinge spielen in einen Prozess hinein.
Völliger Irrwitz von Gesetzen wird aufgedeckt. Da ist das Rentnerpaar,
dessen Haus mitten in der Nacht von einer militanten Eingreiftruppe
(Ortspolizei), einem SWAT-Team, wegen ein paar Drogen gestürmt wird.
Erschreckt aufgewacht glaubt der Rentner an Gangster, schießt
zurück. Seine Frau wird von der Polizei von Schüssen zersiebt.
Verdammt, der Drogendealer war der Nachbarsjunge, der sich in das
W-Lan der Alten eingehackt hatte. Das muss vertuscht werden. Der
Rentner wird angeklagt, weil er einen Polizisten erschossen hat, in dem
Fall gilt keine Notwehr. Und die Polizisten, die seine Frau getötet haben,
werden nicht angeklagt. Tut mir leid. Polizisten, die im Einsatz
jemanden erschießen, auch wenn es nicht nötig gewesen wäre, dürfen
in diesem Bundesstaat nicht angeklagt werden. Wer sagt, das Gesetze
gerecht sind?
Der Roman ist nicht einfach eine Aneinanderreihung von Fällen.
Grisham schafft es zusätzlich, die Geschichten miteinander zu
verknüpfen. Gibst du mir, gebe ich dir ... Jeder hat das Recht auf einen
Anwalt, auch wenn er ein Mörder ist. Alle sind vor dem Gesetz gleich.
Ein hübsches Märchen. Es gibt keine Vorverurteilung. Noch ein nettes
Märchen. Grisham steckt sein Finger in die eitrige Wunden des
Rechtssystems, mediale Schlachten, und zeigt einen Polizeistaat
Amerika auf. Hin und wieder muss man tief Luft holen beim Lesen.
Sebastian Rudd kämpft nicht immer mit legalen Mitteln, er sucht die
Lücken im System. Er ist der Gerechte, sagt Sebastian von sich, der,
den die anderen nicht mögen, weil er gegen das System kämpft. Sucht
er stets Gerechtigkeit? Er tut das, was ein Anwalt erreichen will: Das
Beste für seinen Klienten herausholen. So kommt man zum Schluss,
Sebastian ist ein Selbstgerechter.
Aber nicht alle Menschen in Justiz und bei der Polizei sind schlecht bei
Grisham. Auch sie sind oft machtlos. Ein Anwalt steckt schnell einmal im
Dilemma ... Das Mandantengeheimnis besagt, man muss alles für sich
behalten ... Für mich eines der besten Bücher von Grisham. Mir hat
Sebastian Rudd gefallen. Er ist auch nur ein Mensch.
Die Erbin
von John Grisham
Hörbuch, 24 Stunden, 23 Min, gesprochen
von Charles Brauer
Wer Grisham kennt, der weiß worauf er sich einlässt. Die Bücher sind
nichts für den „schnellen“ Leser. Dieser Roman erinnert an die
Anfänge des Autors, eine detaillierte Beschreibung eines Prozesses,
mit allen Tricks und Wendungen.
Seth Hubbard, ein reicher Fabrikbesitzer aus dem Bundesstaat
Mississippi, beendet sein Leben freiwillig, er hängt sich auf, nicht
irgendwo, sondern an einem Baum, der für ihn eine Bedeutung haben
mag. Der Tod ist lange vorausgeplant, denn der schwerkranke Mann
hinterlässt ein absolut geordnetes Erbe mit Instruktionen.
Davon betroffen ist Jack Brigance, der das Testament zugestellt
bekommt, mit dem Auftrag, es zu vollstrecken. So weit, so einfach. Der
Haken an der Sache, Haupterbin soll Hubbards schwarze
Hausangestellte Lettie Lang sein, die Kinder und Enkel von Hubbard
erhalten nicht einen Cent. Daran knüpfen sich Prozessabläufe, Beweise
müssen zusammengetragen werden, die Suche nach Zeugen läuft,
inklusive aller fiesen Tricks aller Seiten. Denn natürlich lassen sich die
Kinder diesen letzten Willen nicht gefallen, fechten das Testament an
und Lettie wird von einem farbigen Anwalt bedrängt, sie zu vertreten.
Obendrauf taucht ein weiterer letzter Wille auf, älter, der die Kinder
begünstigt. Alle Beteiligten wittern Geld, haben es bitter nötig. Diverse
Anwälte versuchen blutsaugend einen Teil des Kuchens zu erhaschen.
Die raffgierigen Kinder lügen, dass sich die Balken biegen. Lettie wird
vorgeworfen, sie habe sich die letzten Tage bei dem kranken Hubbard
eingeschmeichelt, auf welche Art und Weise auch immer.
Jake Brigance kennen die Fans aus dem ersten Buch von Grisham
bereits:„Die Jury“.
In diesem Roman geht es nicht nur um Missgunst und Habgier, es geht
auch um Schuld und Sühne, den Hintergrund einer bis heute
anhaltenden Rassendiskriminierung. Die Figuren sind fühlbar, man
leidet mit ihnen, hasst andere, hadert mit seinen Gefühlen. Was trieb
den Alten dazu, gerade der farbigen Letti sein Vermögen zu vererben,
die gar nicht so lange in seinen Diensten stand? Bis zum Schluss ist der
Leser gespannt, wer den Prozess gewinnend wird, wie die Jury
entscheidet.
Das Buch zeigt wieder eindrucksvoll das amerikanische Rechtssystem,
für Europäer immer ein wenig befremdlich. Kann die Beschreibung
einer Gerichtsverhandlung spannend sein? Aber ja, denn sie gleicht
einem Kriegsschauplatz. Hacken, stechen, lügen, vertuschen,
hintergehen, alles ist dabei. Das war wieder ein richtig guter Grisham.
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