Autorin
Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
Krimis / Thriller
Rezension
Vor dem Erben kommt das Sterben
von Ulrike Blatter
«Wie verwöhnte Kinder waren sie stets auf der Jagd nach dem
versprochenen Kitzel. Schnell. Billig. Laut und bunt und von allem
immer viel zu viel. Sie waren innerlich leer und gleichzeitig übersättigt
bis zum Brechreiz.»
Blanche ist verstorben, wo sie doch noch so viel vorhatte … Wie
konnte das passieren? Hören wir Cloe zu, der Katze, die uns von
Blanche berichtet. Blanche war lange fort, kommt nach 20 Jahren an
ihren Geburtsort zurück, nach Köln. Warum war sie fortgegangen? Ein
Geheimnis, das später gelüftet wird, ein Päckchen, das sie ewig tragen
wird. Bisher hat es Blanche zu nichts gebracht. Ihre Mutter hat reich
geerbt, macht ihr aber gleich klar, dass sie gedenkt, das Vermögen
selbst auszugeben und macht sich gleich auf den Weg in den Urlaub,
auf ein Traumschiff. Blanche darf noch ein paar Monate in einer
abgewrackten Wohnung leben, die der Mutter gehört. Cleo erzählt
„Sie“ von Blanche und wer Sie ist, löst sich am Ende auf. Überhaupt, das
Ende ist köstlich. Cleo, die weiße Katze ist die Reinkarnation von
Cleopatra und einigen anderen. Hin und wieder berichtet sie aus ihrem
eigenen Leben. Ihr Job ist es, Typen wie Blanche davon abzuhalten, in
diesem jetzigen Leben die Fehler aus dem alten Leben zu wiederholen.
Blanche war schon in vorigen Leben ein Schlawiner und so wird Cloe
ihre Mühe haben …
Blanche, die Hauptfigur ist Trance- und Hypnosetherapeutin und in
ihrem Fach ein Meister. Eigentlich heisst sie Lara. Sie schlendert durch
ihr altes Stadtteil, ein Viertel das in seinen Sozialstrukturen im Wandel
ist. Es ist das Viertel der sozialen Unterklasse. Allerdings fallen die
verkommenen Häuser in die Hände von Immobilienhaien, die
Totalsanierung in Luxusimmobilien planen und verdrängen die
Bewohner. Blanche schlendert mit ihren Gedanken in den Siebzigern
durch Veedel, erkennt Bekanntes, entdeckt Unbekanntes. Sie sehnt
sich nach Reichtum. Gern besäße sie eine Luxusisuite in einem der
neuen Hochhäuser. Doch wie kommt man schnell an Geld? Sie hat einen
Job als Wahrsagerin angenommen. Am Telefon muss sie die Anrufer
bequatschen, sie möglichst lange in der Leitung halten, denn jede
angefangene Minute ist ihr Verdienst. Damit kann man aber nicht reich
werden. Da ruft Sybille an, ist fasziniert von Blanche, sie möchte Aug in
Aug mit ihr sprechen, sich von ihr die Zukunft voraussagen lassen.
Sybille ist reich, sehr reich und sie ist unglücklich, sehr unglücklich,
denn der von ihr geliebte Mann ist verstorben. Blanche wittert ein
Geschäft, sie will Sybille von sich emotional abhängig machen, sich ein
Kuchenstück von ihrem Vermögen abschneiden. Sybille ist fixiert auf
ihren verstorbenen Gatten. Blanche ist in Trance, sieht, dass diese
Liebe schon über Jahrhunderte zusammenhält, die beiden immer
zueinanderfinden. Um den Schwindel zu untermauern, muss Blanche in
der Historie von Köln recherchieren, welche berühmten Liebespaare
sie Sybille als Reinkarnation vortäuschen kann. Sybille ist fasziniert von
Blanche.
Man erfährt viel über Köln und Kölsch, über kölschen Klüngel, die
kölsche Seele und die 11 Gebote von Köln. In humorvoller Art führt uns
Ulrike Blatter durch das Köln der Jahrhunderte. Aber Humor und
Historie sind nur Facetten dieser vielschichtigen Geschichte. Blanche,
die Hauptprotagonistin der Geschichte ist ein ausgekochtes Miststück.
Mit psychologischer Berechnung zieht sie Sybille in ihren Bann, trickst,
sucht in Sybilles gebrochener Seele die Punkte, um Anker zu schlagen,
sich einzunisten. Vertrauen und Hoffnung schaffen, das ist ihr Ziel.
Sybille muss muss ihr hörig werden, um sie lenken zu können. Und
Sybille ist ein gutes Opfer, eine trauernde Frau, die den Halt im Leben
verloren hat, einsam ist und an die Seelenwanderung glaubt. Ein
«Guru» kommt ihr gelegen. Sybille ist eine unsichere Frau, der früher
das Leben von ihrem Mann gelenkt wurde, sie sucht einen neuen
Kaptein, jemand der sie versteht, der mit ihr fühlt, ihrem Leben Sinn
gibt. Zwei Personen, die sich gesucht und gefunden haben. Auf der
anderen Seite ist aber auch Blanche eine Suchende, ein Mensch, der in
früher Jugend einen Fehler gemacht hat und sich die Schuld für ein
schreckliches Ereignis gibt. Dieses Trauma verfolgt sie ihr ganzes
Leben. Die Mutter von Blanche verachtet ihre Tochter. Auch hier hat sie
nicht viel zu erwarten, weil sie den Erwartungen nicht entsprach.
Blanche hat ihr Glück überall gesucht, es aber nie gefunden, auch sie
hat keine Freunde. Enttäuscht kehrt sie zu den Wurzeln zurück, kann
sich in der veränderten Stadt nicht zurechtfinden. Der Traum vom
Glück hat sich in ihr materiell verfestigt, das ist das einzige was bleibt:
reich sein. Zu jedem Täter gehört ein passendes Opfer und oft sind
die Täter Opfer ihrer selbst. Ulrike Blatter hat sehr fein
herausgearbeitet, wie psychologische Abhängigkeit funktioniert, wie
Manipulation von Menschen von statten geht. Die Autorin ist nicht nur
eine gute Beobachterin, sie teilt auch ihre Feinsicht mit dem Leser:
«Vom umfangreichen Busen-Balkon dieser Fleischfachverkäuferin
grinste dagegen ein quietschrosa Schweinekopf. Auch ohne
anatomische Verbindung zu einem dazugehörigen Körper schien
dieses Kittelschwein wunschlos glücklich zu sein.»
Die Vogelfrau
von Ulrike Blatter
»`Die Einsamkeit wütet tagtäglich gegen die Frauen, die eine Liebe
verloren haben. Wenn man nicht aufpasst, gesellt sich der Irrsinn zum
Drama hinzu?’, grübelte Madame Belle mit sanfter Stimme.»
Im Archäologischen Landesmuseum von Konstanz wird Professor
Hoffmann tot aufgefunden, erschlagen mit einer historischen Steinaxt.
Es gibt sogar einen Zeugen, Churchill, der Mops des Professors.
Kommissar Bloch und sein Assistent Cenk haben es nicht einfach bei
der Ermittlung, denn der egomane Professor war nicht besonders
beliebt. Bald fällt auf, dass der Mann extrem erfolgreich war, da er
überdurchschnittlich viele Funde vorweisen konnte. Der Weg führt in
die Rechtsmedizin nach Zürich. Die letzte Arbeit von Hoffman befasste
sich mit einer Hexenweihstätte, wo er mit einem Mumienfund Aufsehen
erregte.
Hexen, indianische Riten, ein Feld das für die Ermittler immer
verworrener wird. Cenk findet heraus, dass sich seit geraumer Zeit
verschiedenen Gruppen am Bodensee niedergelassen haben, die nach
indianischer Tradition und Ritus leben. Einer davon wohnt abseits mit
seiner Familie, Adler, ein unzugänglicher Kautz.
Bloch wird währenddessen dauernd von seiner geschiedenen Frau
angerufen. Die macht sich Sorgen, weil die gemeinsame Tochter nicht
nach Hause gekommen ist. Bloch nimmt das nicht ernst, denn die
Tochter ist erwachsen. Auch wenn sie Essstörungen hat, so sei es
hysterisch, gleich nach ihr zu fahnden, wenn sie ein paar Nächte nicht
im eigenen Bett schläft.
Mit Bloch hat Ulrike Blatter einen mundfaulen Charakter erschaffen,
der eigenbrötlerisch mit Menschen ein wenig Schwierigkeiten hat. Er ist
fleissig, gewissenhaft, mag keine Schwätzer. Auf der einen Seite hat er
Achtung vor Cenk, der immer mitdenkt und die Drecksarbeit erledigt.
Auf der anderen Seite behandelt er in schroff, da Menschen ihm an
sich auf die Nerven gehen. Weil sich niemand um den Mops kümmern
will, nimmt Bloch ihn mit nach Hause. Der brummige Kommissar wird
nicht bei jedem Leser Sympathien hervorrufen. Mir hat er gefallen.
Ulrike Blatter ist Ärztin und hat in der Gerichtsmedizin gearbeitet. Das
merkt man ihren Ausführungen an:
«Der Mediziner spreizte mit einer langbeinigen Pinzette die
blutverkrustete Kopfschwarte, die sich leise knisternd dehnte.»
Ihre Beschreibungen von Menschen und Dingen sind fein beobachtet
und detailgetreu. Dem Leser eröffnen sich Bilder im Kopf. Langsam
tasten sich Bloch und Cenk an die Mordsache heran. Interessante
Themen werden aufgearbeitet, Wissenschaftsbetrug, Rivalitäten in
der Museumsbranche. Man mag meinen, wer in der Forschung steckt,
ist nur daran interessiert, neue Entdeckungen zu machen, voll
verschrieben der Naturwissenschaft. Weit gefehlt. Auch hier boxen
Exzentriker sich gegenseitig an die Wand, Taschenspielertricks
inklusive. Schamanen machen Geld mit der Gutgläubigkeit von
Esoterikern. Da wird gebastelt was das Zeug hält, um es zu verkaufen.
Traumfänger, Traumdeuter. Eine Nacht im Tipi ist teuer. Andere
Schamanen überschätzen sich und experimentieren mit Riten,
selbstsüchtig, spielen sie mit dem Leben von anderen.
Oberflächlichkeit liegt der Autorin nicht, und das ist gut so. Fein spinnt
sie ihr Netz, detailliert und gut beobachtet. Die Protagonisten eröffnen
sich dem Leser und nicht alle sind sympathisch. Sie stehen bildlich vor
dem Leser und man erfasst ihre Eigenarten, versteht, was sie
vorantreibt.
Konstanzflair in nebelbehangener unterkühlter Atmosphäre, eine
Lesetipp.
Zum Interview mit Ulrike Blatter
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