Autorin
Sabine Ibing
Blogtour: Der weitseher von Robin Hobb
Fantasy
Urban Fantasy – High Fantasy
(was steckt in “Der weitseher” von Robin Hobb?)
Zur Blogtour
Was ist eigentlich Fantasy? Ist das nicht jeder Roman? Es ist ja eine
ausgedachte Geschichte. Insofern entspringt jeder Roman der Fantasie
des Autors. Unter Fantasy allerdings bezeichnet man Texte, die nicht
realitätsbezogen sind, Welten die es nicht gibt, Gestalten die den Sagen,
Mythen und der Fantasie entspringen wie z.B. Drachen, Feen, Orks.
Oft wird die Fantasy-Sparte in der Literatur belächelt, in Richtung
Märchen geschoben. Allerdings sind gute Fantasy-Bände weit entfernt
davon, schlichte Unterhaltung zu sein. Es gibt hoch angesehene
Schriftsteller in diesem Genre wie J.R.R. Tolkin, H. White, Tad Williams usw.
Dazu gehört auch Robin Hobb, die die Weitseher-Trilogie geschrieben hat.
Gute Fantasy beschäftigt sich fiktiv mit Gesellschaftsstrukturen, und
philosophischen Fragen. Oft geht es um Gut und Böse, um Nationalismus,
religiösen Extremismus, Extremismus im Allgemeinen, um philosophische
Fragen die uns beschäftigen. Als Ursprung der Fantasy kann die
„Odyssee“ bezeichnet werden, die Irrfahrten des Odysseus. Die alten
Griechen würden mich wohl für diese Aussage erschlagen, denn sie
glaubten ja an ihre Göttergeschichten.
In gehobenen Fantasy-Geschichten wird das Magische, die Kraft der
Macht, das dritte Auge, als eine schöpferische Kraft bezeichnet. Eine
Kraft, aus der die Person für sich positive Werte herauszieht, Wissen,
Weisheit, die sie aber auch schwächt und auslaugt, wenn er sie benutzt
wird.
Die High Fantasy ist zwar eine ausgedachte Welt, kommt aber unserem
Mittelalter sehr nahe und entspringt letztendlich der Abenteuerliteratur.
Burgen und Festungen, kleine Städte, viel Landbevölkerung,
Gerätschaften wie im Mittelalter: Pferd und Wagen, Schwerter,
Brunnenwasser usw. Die Autoren sind meist in den Techniken des
Mittelalters sehr bewandert. Die Regierungsform ist feudalistisch, wird
geprägt von Königreichen und es gibt in der Regel viele Kriege und
Schlachten. Oft bestehen die Völker nicht nur aus Menschen, sondern
parallel gibt es Zwergvolk, Elbenreiche usw. Vorwiegend tritt ein
unbedarfter Held eine Reise an, meist weiß nicht, von wem er wirklich
abstammt, Diese Queste wird eingebaut um etwas zu suchen, einen Sinn
oder ein Dokument, einen Gegenstand. Dazu gesellen sich Fabeltiere wie
Drachen, Trolle. Magie nimmt eine zentrale Rolle ein. Es gibt eine Menge
Leute mit besonderen Kräften, die zaubern, verwandeln, in die Zukunft
sehen … Ein Wesen der High Fantasy ist die malerische Schilderung.
Landschaften werden ausgiebig beschrieben, Gegenstände,
handwerkliche Arbeit. Die Charaktere der Protagonisten sind ausführlich
dargestellt. Das Wesentliche ist, dass diese Welt so feinsäuberlich
dargestellt wird, inclusive Landkarten, dass der Leser sich hineingezogen
fühlt, sie sozusagen als real betrachtet. Man unterscheidet zwischen
Guten und Bösen. Die Bösen wollen sich die Welt zu Untertan machen. Hier
haben wir die mystische Einflechtung: Himmel und Hölle, die Störung der
göttlichen Ordnung. Meist gibt es Götter und Riten, die Sprache ist an
manchen Stellen mystisch, religiös geprägt. Der apokalyptische Endkampf
ist sozusagen Pflicht. Letztendlich hat jede High-Fantasy mystisch-
religiöse Tendenzen, oft dienen verschiedene Kulturen und Religionen
den philosophischen Betrachtungsweisen. Der Glaube an übernatürliche
Fähigkeiten prägt die Menschen. Es gibt eine höhere Ordnung, in der
jeder seinen Platz hat. Die Definition von Gut und Böse ist eindeutig. Die
Ordnung ist gestört und jemand wird auserwählt sie wieder ins
Gleichgewicht zu bringen. Meist kennt der Held zu Beginn seine
Fähigkeiten nicht. Er muss Prüfungen ablegen, mehrfach wird er auf
seinem Weg verführt, auf die andere Seite zu treten, er muss ein paar
Mal scheitern, um ans Ziel zu gelangen. Es gibt ein höheres Ziel: die Welt
vom Bösen zu befreien.
Urban Fantasy ist urban, städtisch, spielt eher in der Zeit von heute oder
in einer Welt, die dem Heute ähnlich ist. Oft gibt es Parallelwelten, wie bei
Harry Potter. Diese Fantasy Welt prägt sich dahingehend, dass die
Mehrheit der Menschen keine übernatürlichen Fähigkeiten besitzt.
Mythen und Sagen befinden sich in Büchern, niemand glaubt daran, es
herrscht die reale Welt. Es gibt keine Drachen oder verschiedene Völker,
die dem Menschen nicht ähnlich sind. Die „Anderen“ verkehren
unerkannt in einer Parallelwelt. Oft spielt die Urban Fantasy im Jetzt und
Heute, allerdings auch mal in sozusagen früheren Zeiten, denen ohne
Strom. Insofern ist das Mystische und die Anrufung von Göttern, von dem
die High Fantasy geprägt ist, in der Urban Fantasy nicht unbedingt das
Thema. In der Urban-Fantasy wird die Parallelwelt dazu benutzt, um das
Diesseits in Frage zu stellen. In der High Fantasy stehen sich Gut und Böse
in Schlachten gegenüber. Das ist nicht Thema in der Urban-Fantasy.
Alle Fantasy-Helden jeglicher Untergenres besitzen irdische Probleme.
Junge Menschen müssen ihre eigenen Fähigkeiten und Schwächen in sich
selbst finden. Allein gegen die Masse zu schwimmen ist nicht einfach, Mut
und Beharrlichkeit führt zum Ziel. Das Böse ist immer und überall und
hackt dich, Schicksalsschläge gehören zum Leben. Krieg und Vernichtung
bedrohen die Menschen, religiöse Fanatiker und Despoten wollen die
Welt beherrschen, Ethnien werden rigoros vernichtet, bestimmte Ethnien
sind Außenseiter, Sklaven. Also insofern ist Fantasy immer real.
Nun kommen wir zum Weitseher, Teil 1. Zunächst erscheint mir der erste
Teil als High Fantasy. Es gibt mittelalterliche Verhältnisse, ein
Feudalsystem und Fitz ist der Bastard des Königs. Halt! Mittelalter? Gut,
man hat keinen Strom, reitet auf Pferden. Aber was war das Prägendste
im Mittelalter? Die Kirchen! Religiöse Macht und Königshaus waren eins,
Religion bestimmte das Leben der Menschen. Ebenso war das Mittelalter
von Kriegen bestimmt. Hier ist für mich der Knackpunkt. In diesem Roman
ist es fast friedlich, zumindest gibt es keine Schlachten. Fitz ist zwar der
Bastard, aber er lebt im Königshaus und wird respektiert als Teil der
Familie, nur eben auf der unteren Leitersprosse. Es gibt keine Priester,
Tempel, Kirchen, von Glauben wird nie geredet. Fitz wird auch nicht auf
die Suche nach irgendwas geschickt, erhält keinen mystischen Auftrag. Er
sucht nach nichts und niemand, außer nach sich selbst, tritt sich dabei
auf den eigenen Füßen herum. Fitz entdeckt irgendwann die Fähigkeit,
per Gedanken mit Tieren zu kommunizieren. Burrich erwischt ihn, warnt
Fitz, dass dies eine uralte Gabe sei und wer sie benutzt, der würde
verrückt. Burrich verbietet es Fitz. Er kann es nicht ganz sein lassen,
damit zu experimentieren, hat gleichzeitig Respekt, das Ganze nicht
auszuweiten. Beiläufig wird erwähnt, dass manche Menschen die Gabe
der alten Macht (was immer das auch ist) besitzen, sich in die Gedanken
von anderen Menschen einloggen zu können, ohne dass diese das
merken. Das kann aber eigentlich nur Verity, der Thronfolger. Er benutzt
seine Gabe zur Gefahrenabwehr. Die Gabe wurde nämlich in letzten
Jahrzehnten vernachlässigt, niemand ausgebildet. Nun versucht man ein
paar junge Leute zu schulen, unter ihnen auch Fitz, der versagt. Die neu
Ausgebildeten taugen lediglich als „Boten“, sich gegenseitig Nachrichten
über Kilometer hinweg mitzuteilen. Verity bleibt allein. Ich erwähnte, es
gibt kaum Krieg. Es gibt kleine Scharmützel. Die Roten Korsaren (wer auch
immer sie sind) fallen über Küstenstädte her, vorzugsweise im Sommer.
Verity verbindet sich mit den Gedanken der Schiffsführer, um die Schiffe
in die Irre zu lenken, auf Felsen, in Stürme. Viel mehr erfährt man von
den Korsaren nicht (etwas, dazu gleich), hier mal ein Überfall, dort mal
ein Überfall. Fitz ist der Icherzähler, man erfährt alles aus seiner Sicht.
Hier schwächelt für mich das Buch ein wenig. Er ist nie dabei, wenn die
Korsaren eine Stadt überfallen, beobachtet einmal etwas aus der Ferne.
Verity soll als Thronfolger eine Prinzessin heiraten, um zwei Königreiche
zu vereinen, sich gegen die Korsaren zu schützen. Wir haben in diesem
Buch in allen Ländern ein recht fortschrittliches Frauenbild, freundliche
Könige, man hört nichts von armen Menschen oder Sklaven, zumindest
nicht im ersten Teil.
Bündnisse in der Politik, Diplomatie, Intrigen, Bedrohung von anderen
Völkern, alles Dinge, die auch unsere Welt betreffen. Ich habe keine
Guten gefunden und keine Bösen. Nehmen wir die Korsaren heraus, die
man als Piraten bezeichnen kann. Das ist nicht typisch für eine High
Fantasy. Natürlich gibt es „böse“ Menschen, Intrigen, Verräter, boshafte,
hinterhältige Typen, Tierquäler usw. Schauen wir um uns um, das ist die
normale Welt.
Kein religiöser Wahn, kein Despot, der die Welt beherrschen will, kein
Quest, kein Suchender, keine schwierige Aufgabe, keine Schlachten. Hier
haben wir nichts, was High Fantasy ausmacht. Diese Welt könnte die
unsere vor 150 Jahren sein. Da gab es noch keinen Strom, man ritt auf
Pferden und Königreiche gab es eine Menge, Prinzessinnen und Prinzen
mussten aus politischen Gründen heiraten.
Fitz lebt in einer Stadt. Die anderen Länder werden von Menschen
bewohnt, wie wir sie kennen. Keine Elben, Zwerge, keine bösen Trolle
oder Drachen, sonstige Monster. Insofern tendiert der Roman zu Urban
Fantasy. Halt, wird man meinen, wo ist die Parallelwelt?
Die Menschen in dieser Welt sind völlig normal. Fitz scheint der Einzige zu
sein, der mit Tieren kommunizieren kann und ein paar Wenige können
gedanklich kommunizieren. Das Ganze wird vor der normalen
Bevölkerung verborgen. Insofern haben wir eine Parallelwelt. Eine
weitere Parallelwelt ergibt sich aus den Roten Korsaren. Sie bringen eine
Krankheit über manche Menschen, sie macht sie seelenlos. Wer von der
Krankheit berührt wird, dem fehlt ab diesem Zeitpunkt Empathie. Das
einzige Ziel dieser „Zombies“ ist ab sofort der Überlebenstrieb. Sie
ziehen nur noch durch die Welt um sich Nahrung und Kleidung zu
besorgen. Dafür stehlen und töten sie. Sie erkennen niemanden mehr,
wissen nicht wer sie sind, erschlagen andere, sich gegenseitig, um zum
Ziel zu kommen. Jegliches Gefühl sozialer Gemeinschaft ist verloren. Was
das bedeuten soll, wird in diesem 1. Teil nicht klar, es ist auch nur ein
Puzzleteil am Rande der Geschichte.
Wenn man diese Parallelstränge auf die heutige Welt bezieht, so ist kann
man auf moderne Kriegsführung schließen. Cyberkrieg ist möglich, indem
man mit Hackertechniken in die „Gehirne“ unserer Gesellschaft eindringt,
in Computernetze. Heute wird alles durch Computer gesteuert: Schiffe,
Flugzeuge, Wasserwerke, Stromnetze. Um einem Gegner größtmöglichen
Schaden zuzufügen, muss man sich in seine Netze einhacken und seine
Systeme zum Absturz bringen. Geheime Kommunikation ist durch Technik
möglich. Eine Krankheit über Menschen zu bringen, die das Gehirn
durcheinanderwirbelt, irremacht, Teile des Gehirns ausschaltet, sollte
auch nicht weiter schwierig sein. Es würde zwar nicht den ethischen
Regeln der heutigen Kriegsführung entsprechen, aber es ist möglich.
Urban Fantasy oder High Fantasy? Sicher eine Mischung von beidem.
Rezension zu “Der Weitseher, Teil 1”
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