Autorin
Sabine Ibing
Interview mit
Thomas Montasser
(von Sabine Ibing)
Thomas Montasser, Jahrgang 1966, studierte
Rechtswissenschaften und gründete 1990 zusammen mit seiner
Frau die Montasser Medienagentur. Von 2002-2007 war er
Geschäftsführer der Publishers Headhunt
Personalberatungsagentur für Verlage GmbH. Er agiert
mittlerweile auch als Verlagsberater für Programm- und
Strategiefragen. Thomas Montasser hat selbst diverse Romane,
Sach- und Kinderbücher veröffentlicht. Im Herbst erscheint unter
dem Pseudonym Tim Erzberg sein erster Thriller: „Hell-Go-Land“
(HarperCollins). Ein Mann, der das Verlagsgeschäft von allen
Seiten kennt.
S. I.: Der Markt der Verlage ist heute schwer zu durchschauen.
Immer mehr Verlage kommen auf den Markt. Selbst wenn man
das Programm durchforstet, weiß man nicht immer, nach welchen
Maßstäben dort Manuskripte auswählt werden. Woher weiß eine
Agentur, zu welchem Verlag ein Autor passt?
T. M.: In erster Linie hat das natürlich mit Erfahrung zu tun. Doch
da Erfahrung immer nur auf der Kenntnis der Vergangenheit
beruht, es bei anzubietenden Manuskripten aber um die Zukunft
geht, ist es für eine gute Agentur wichtig, stets mit allen
namhaften Verlagen im Austausch zu sein, um zu wissen, wohin
die Reise geht. Wenn wir den Verlagen Manuskripte anbieten
wollen, die man dort auch brauchen kann, müssen wir wissen, was
sich die Verlage wünschen.
S. I.: Ist es wirklich so, dass eine Agentur mehr für einen
Schriftsteller herausholen kann? Das meine ich nicht mal
finanziell. Das Geheimnis des Vertrags sitzt im Detail. Sie sind
Jurist, können Sie uns das erklären?
T. M.: Eine gute Agentur wird in der Regel immer selbst die
Verlagsverträge für ihre Autoren ausfertigen. Wenn man das
Geschäft beherrscht und sich auch den Verlagen gegenüber als
seriöser Partner erwiesen hat, muss man sich nicht auf Verträge
einlassen, die einem die Verlage vorsetzen und die naturgemäß
sehr viel stärker aus Verlagssicht formuliert sind. Natürlich
fahren Autoren immer besser, wenn sie eine Agentur einschalten.
Üblicherweise kommen sie ohne Agentur heute ohnehin kaum
noch an einen Verlag. Das war früher schon extrem schwierig und
ist heute nahezu aussichtslos.
S. I.: Ist Agentur gleich Agentur? Wenn ich mir Ihre Website
ansehe, hilft mir das nicht weiter. Außer einer kleinen
Allgemeinaussage zu Agenturen finde ich nur noch ein
Impressum. Ich erfahre weder, welche Genres Sie betreuen, mit
welchen Verlagen Sie arbeiten, noch welche Autoren Sie
vertreten, kann mir kein Bild machen, ob ich als Autor zu Ihnen
passen würde. Ist das ein so großes Geheimnis? Wie bekomme ich
heraus, welche Agentur zu mir passt?
T. M.: Unsere Website ist da sicher nicht vorbildlich. Wir haben als
Agentur auch einen ausgeprägten Hang zu Unterstatement und
Diskretion. Das hat seine Vor- und Nachteile, weshalb ich das auch
gar nicht nur als Qualität betrachten würde. Andere Agenturen
bieten mehr Transparenz oder bieten mehr Hilfestellung. Nach
unseren Erfahrungen entscheiden sich heute die meisten Autoren
aber nicht wegen einer schicken Website dafür, eine bestimmte
Agentur anzusprechen, sondern weil sie Empfehlungen anderer
Autoren gehört haben – ob nun persönlich oder auf Foren.
S. I.: Sie haben einige Kinderbücher geschrieben. Von daher gehe
ich davon aus, dass Sie sich in diesem Segment gut auskennen
und vermitteln. Stephan M.Rother bei blanvalet und rowohlt und
Markus Flexeder bei arsvivendi, Marita Spang bei Knaur, alles
Thrillerautoren und Achim Wohlgethan als Sachbuchautor
(Schwarzbuch Bundeswehr) bei Bertelsmann, vertreten Sie.
Welches Genre würden Sie nicht vertreten wollen?
T. M.: Was wir nicht machen sind Ratgeber und ist SciFi. Auch im
hochliterarischen Feld sind wir nicht besonders stark. Wofür wir
vor allem stehen, ist gute Unterhaltungsliteratur und populäres,
gerne gehobenes Sachbuch.
S. I.: Gilt immer noch der alte Zopf: Entweder du schreibst
ernsthaft oder du wirst in der Literatur nicht ernst genommen?
T. M.: Wer seine Existenz allein auf Schreiben gründet, lebt
gefährlich. Goethe war auch hauptberuflich Minister, Schiller
Geschichtsprofessor. Kafka hat bei einer Versicherung
gearbeitet…
S. I.: Es gibt das Gerücht, die Lektoren und Programmmanager
der Verlage bekommen irgendwann ein Burnout, weil sie dem
Druck nicht standhalten, Bestseller produzieren zu müssen. Was
ist dran?
T. M.: Es ist sicher so, dass der Faktor Bestseller deutlich
wichtiger geworden ist. Die Verkaufszahlen zwischen ganz wenige
Bücher ganz oben und dem großen Rest klaffen immer weiter
auseinander. Wer dauerhaft keinen Bestseller hat, hat es schwer.
Das gilt aber nicht nur im Verlagswesen. Auch sonst befinden wir
uns zunehmend in einer „Event-Kultur“. Heute können Sie am
Sonntagabend im Fernsehen nichts mehr senden, weil in der ARD
der „Tatort“ läuft. Karten für Stones-Konzerte sind in Sekunden
ausverkauft, aber Tausende Indie-Bands müssen vor leeren
Häusern spielen.
Von Burnouts wegen Bestsellerdrucks habe ich deshalb aber noch
nichts gehört.
S. I.: Es gibt Auktionen für Manuskripte. Geht es dabei lediglich um
Übersetzungen oder auch um das Manuskript von Newcomern?
T. M.: Es gibt immer auch Auktionen von Originalmanuskripten.
Natürlich ist das bei noch unbekannten Autoren oft besonders
prickelnd und eröffnet Möglichkeiten, bringt aber auch einen
entsprechenden Erwartungsdruck seitens der Verlage mit sich.
S. I.: Früher war es so, dass ein Verlag die vollen Rechte für ein
Buch bekam. Heute splitten sich manchmal die Verträge, einen für
das Hardcover, einen für das Taschenbuch und dazu der Vertrag
für E-Book und Hörbuch. Manchmal verteilt sich dies sogar auf
verschiedene Verlage. Ist dieser Trend sinnvoll, wenn ja warum?
T. M.: Es ist immer sinnvoll, darüber nachzudenken, wie man
Rechte am besten verwerten kann. Oft geht das mit einem
kompetenten Verlagspartner sehr gut, etwa im Bereich der
Auslandslizenzen, wo die meisten Verlage ausgezeichnet vernetzt
sind. In manchen Bereichen ist aber ein alternatives Vorgehen
klüger. Das kann z.B. bei den Filmrechten sein, wo wir
durchschnittlich meist bessere Ergebnisse erzielen als etwa die
Verlage.
S.I .: Es gibt Personen, die behaupten, wer als Selfpublisher
beginnt, hat keine Chance mehr auf einen Verlag. Dazu gibt es
genügend Gegenbeispiele. Hat sich hier die Einstellung geändert
oder war das schon immer so?
T. M.: Das gilt nach unserer Erfahrung immer, wenn es um
Eigenpublikationen im Print geht. Bei eBook-Selfpublishern ist es
anders: Man hat keine Chance, sein Werk als Printbuch
unterzubringen, wenn man die eBook-Rechte nicht mitübertragen
will. Ansonsten kann im Einzelfall natürlich eine sehr erfolgreiche
Eigenpublikation durchaus auch inspirierend auf Verlage wirken.
S. I.: Was muss in Ihren Augen ein Roman bieten, um sich von der
großen Masse abzuheben?
T. M.: Abgesehen davon, dass er gut erzählt sein muss, sollte er
originell sein. Das klingt ganz einfach, wird aber immer schwerer,
weil es ja so unendlich viele Geschichten bereits gibt.
S. I.: Die Anmerkungen der Lektoren mahnt Schriftsteller, wie
wenig perfekt ein Werk ist, dass man bereit sein muss, seine
Arbeit zu überdenken. Manch ein Autor kann schwer damit
umgehen. Früher galt: je berühmter der Autor, desto schwieriger
der Umgang mit ihm. Ist das immer noch so? Sind Schriftsteller
Mimosen?
T. M.: Das müssen sie sein, sonst fehlt ihnen die Empathie, die es
braucht, um wahrhaftige Geschichten schreiben zu können. Aber
natürlich darf auch der Lektor ein gewisses Einfühlungsvermögen
vom Autor erwarten.
S. I.: Es wird immer wieder diskutiert, ob ein unbekannter Autor
einen reinen E-Bookvertrag bei einem Publikumsverlag annehmen
soll. Die Verlagsbücher sind teuer und man erhält kein Marketing.
Im Vertrag gibt es Klauseln, die verbieten, eigenständig eine
Printversion zu verkaufen, ev. sogar das Verbot, im gleichen
Genre als Selfpublisher weitere Bücher zu vertreiben. Was ist Ihre
Meinung dazu?
T. M.: Wir raten zur Vorsicht. Aber natürlich kommt es immer auf
den Einzelfall an.
S. I.: Wie entscheidend sind heute die Leser? Es gibt ellenlanges
empirisches Datenmaterial. Was lesen Männer, was Frauen,
welche Bevölkerungsschicht liest welche Bücher und bei welchem
Alter kommt was an? Kann man so intensiv analysieren, was der
Buchmarkt braucht? Gehen Verlage so vor?
T. M.: Wenn das der Schlüssel zum Erfolg wäre, gäbe es nur
Bestseller. Man guckt sich das alles sicher sehr interessiert an,
vertraut aber am Ende doch mehr dem Bauchgefühl als einer
Studie, die ja auch nur die Vergangenheit analysieren kann aber
über die Zukunft nicht zwingend viel aussagt.
S. I.: Warum muss heutzutage ein Manuskript in eine Schublade
passen? Manuskripte die schwer zu greifen sind, schlicht nur
Roman zu nennen wären, genreübergreifend geschrieben sind,
haben kaum eine Chance. Sehen Sie das anders?
T. M.: Der Trend geht in die Richtung, weil das etwas mit
Orientierung zu tun hat: für das Lektorat, den Vertrieb, die
Buchhändler und letztlich die Leser, die im Laden vor
unübersehbaren Mengen an Büchern stehen. Aber es ist natürlich
nur bedingt gut. Vieles wird auf diese Weise entweder nicht
sichtbar oder erhält einen falschen Stempel.
S. I.: Was ist mit Hypes? Reagieren Sie als Agent? Folgen „Harry
Potter“ Zauberergeschichten, die Sie vorher ignoriert haben oder
springen Sie auf die Vampirmode auf?
T. M.: Sicher haben Trends auch auf die Agenturen Einfluss, nicht
zuletzt, weil die Verlage dann bestimmte Arten von Büchern
besonders suchen. Aber der Wunsch praktisch aller wäre, einen
neuen Trend zu setzen. Leider fehlt zu diesem Versuch den
Verlagen meist etwas der Mut.
S. I.: Sie lesen ein wundervolles Skript, Genre Chicklit von „Nadine
Auron“ und laden die Dame per Mail zu sich in die Agentur ein. Es
erscheint ein Mann von 67 Jahren. Würden Sie ihm immer noch
einen Vertrag anbieten?
T. M.: Wenn er ein wundervolles Script geschrieben hat, spricht
das sehr für ihn. Die Frage wird sein, wie man das dem Verlag
vermittelt. Und da kommt es dann immer auf die konkreten
Umstände und Möglichkeiten an.
S. I.: „Dürften“ Sie überhaupt das Manuskript von einem Mann bei
einem Verlag wie „Diana“ anbieten? Es ist ein phantastischer
Liebesroman. Aber der Autor ist nun mal ein Mann.
T. M.: Ausgerechnet Diana wäre der einzige Verlag, der mir
spontan einfällt, bei dem man Manuskripte von männlichen
Autoren ausdrücklich nicht wünscht. Ansonsten ist prinzipiell alles
erlaubt, solange man mit einem Verlag partnerschaftlich agiert
und alle Beteiligten gut damit leben können.
S. I .: Weibliche Protagonistinnen dürfen in der Literatur gern taff
sein. Darf ein Mann ein ängstliches Häschen sein, einer der immer
schreit, wenn es gefährlich wird?
T. M.: Nette Idee. Käme auf das Werk an.
S. I.: Es kommt immer mehr Mainstream auf den Markt, immer
mehr nichtssagende Literatur. Doch Literatur darf nicht
einschließlich unterhalten. Wenn sie nur zur Unterhaltung taugt,
geht uns die Kultur verloren. Was meinen Sie dazu?
T. M.: Wird schon immer behauptet. Hat noch nie gestimmt.
Unterhaltung geht völlig in Ordnung, wenn sie gut ist. „Literatur“
hat im Buchladen nichts verloren, wenn sie schlecht ist.
S. I.: Im vergangenen Jahr wurden nur 43 Prozent der
Originalveröffentlichungen in der Sparte Hardcover-Belletristik
von Frauen verfasst. Frauen bietet man eher einen
Taschenbuchvertrag an. Zum „Preis der Leipziger Buchmesse“
befand sich dieses Jahr nur ein Titel (von fünfzehn nominierten
Titeln), der von einer Frau geschrieben ist, auf der Shortlist. Beim
Deutschen Buchpreis brachten es in elf Jahren 64 Frauen auf die
Liste von 220 Nominierungen. Warum ist das so?
T. M.: Die 43 Prozent Bestseller halte ich für im Rahmen der
Toleranz. Mal werden es etwas mehr, mal etwas weniger Frauen
sein. Die Frauen sind längst vollständig im Literaturbusiness und
auf den Bestsellerlisten angekommen. Als wir vor 26 Jahren die
Agentur gegründet haben, waren die meisten Lektoren Männer,
auch in der Belletristik. Heute findet man in den belletristischen
Lektoraten nur noch selten Männer. Das wirkt sich – langsam,
aber kontinuierlich – auch auf die leitenden Positionen in den
Verlagen aus. Die meisten Cheflektorate und Programmleitungen
sind inzwischen mit Frauen besetzt. Und in der Geschäftsführung
ist die Generation der starken Frauen ebenfalls angekommen: Ob
Siv Bublitz bei den Ullstein Verlagen, Barbara Laugwitz bei Rowohlt
oder Felicitas von Lovenberg bei Piper… Männer sind in den
Verlagen, vom Sachbuch abgesehen, eher die aussterbende
Gattung. Allein die Bastion der Preisgremien – und damit auch der
Nominierten – ist noch nicht von Frauen übernommen worden.
Aber das wird sich ganz natürlich ergeben. Die vielen alten
Männer, die heute noch über die Preiswürdigkeit von Literatur
entscheiden, werden nach und nach abtreten und auch hier das
Feld überwiegend den Frauen überlassen.
S. I.: Um übersetzt zu werden, muss man von ausländischen
Lektoren entdeckt werden. Es benötigt viel „Buzz“,
Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Nominierungen, Preise,
Auszeichnungen, Besprechung im großen Feuilleton, das wird im
Ausland wahrgenommen. Im Umkehrschluss heißt das natürlich,
dass deutsche Schriftstellerinnen durch den Ausschluss im
Ausland nicht wahrgenommen werden. Es heißt ja immer, wir
brauchen keine Frauenquote, unsere Gesellschaft hat die
Gleichberechtigung längst umgesetzt. Gerade der Literaturmarkt
zeigt, dass diese Aussage falsch ist. Was muss geschehen, damit
eine Gender-Ausgewogenheit im Literaturmarkt zustande kommt?
T. M.: Um übersetzt zu werden, braucht man sehr gute
Lizenzhändler/innen und sehr viel Glück. Alles andere ist
Spekulation. Einige unserer erfolgreichsten Bücher, Bestseller im
Inland und mit Preisen ausgezeichnete Werke haben wenige, zum
Teil gar keine Übersetzungen erhalten, und wenn, dann nach
Bulgarien oder Südkorea. Andere Bücher, die sich als Original nur
ein paartausend Mal verkauft haben, wurden in Weltsprachen
übersetzt. Warum? Weil sie einen Nerv getroffen haben und weil
die Lizenzhändlerin diesen Nerv entdeckt und das Werk
leidenschaftlich vertreten hat. Amerikanische Lektoren lesen
keine Rezensionen in deutschen Zeitungen, französische gucken
nicht das Literarische Quartett, italienische kennen den Chamisso-
Preis nicht einmal.
Insgesamt ist die Menge der Übersetzungen in Fremdsprachen
relativ gering, soweit es Weltsprachen sind, völlig
vernachlässigbar. Das gilt für Frauen und Männer gleichermaßen.
Ich bin sehr dafür, dass es gleiche Chancen für die Geschlechter
gibt, kann aber für uns nur sagen, dass wir uns über die Frage,
ob ein Manuskript von einer Frau kommt oder von einem Mann,
normalerweise keine Gedanken machen. Allenfalls sind Frauen
leicht im Vorteil, weil sich nach unserer Erfahrung Manuskripte
aus weiblicher Feder besser verkaufen als solche aus männlicher.
Von daher kann ich nur alle Frauen ermutigen, selbstbewusst zu
sein und ohne Befürchtungen in den Markt zu gehen. Wir
brauchen starke, kreative, originelle und leidenschaftliche
Schriftstellerinnen, und zwar in allen Bereichen.
S.I.: Vielen Dank, dass Sie sich für die Beantwortung meiner
Fragen Zeit genommen haben.
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