Autorin
Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen
haben
Krimis / Thriller
Rezension
Hell-go-Land
von Tim Erzberg
»‚Es ist offensichtlich eine persönliche Sache‘, sagte Paul. ‚Und es
steckt offenbar auch ein ganz perfider Plan dahinter. Die Frage ist,
was für ein Plan das sein soll.‘«
1890 tauschte England die Insel Helgoland gegen Sansibar an das
Deutsche Reich. Nach 1945 nutzten die Briten die Insel als
Bombenübungsplatz. In dieser Zeit sprachen die britischen Soldaten
auch von »Hell go Land«, vom Land, das zur Hölle geht. Und wer
erinnert sich nicht an die Butterfahrten nach Helgoland, mit Eltern und
Großeltern, bei denen oft die Hälfte der Passagiere gegen den Wind
kotzte. Oft genug musste man umkehren, Ablanden in die kleinen
Boote war zu gefährlich, selbst im Sommer. Wieder nichts mit zollfreier
Butter und Köm.
Auf dieser rauen Insel platziert Tim Erzberg seinen ersten Thriller.
Erzberg hauptberuflich Literaturagent, hat schon mehrere Bücher
geschrieben. Diesen Agenten nennt man den »Bestseller-Macher« Hier
ist sein erster Thriller. Wer meinen Blog aufmerksam liest, weiß wer
dahintersteckt.
Anna Krüger hat sich versetzen lassen, stellvertretende
Dienststellenleitung auf Helgoland. Drei Polizisten, zwei Vorgesetzte.
Die Polizistin ist auf Helgoland geboren, ihre Eltern sind dort begraben,
sowie ihre erste große Liebe. Kontakt hat sie zu niemandem dort.
Niemand weiß, dass sie zurückgekehrt ist. Daher ist es erstaunlich,
dass für Anna am ersten Tag ein Paket in der Dienststelle abgegeben
wurde. Ein Willkommensgeschenk. Der abgetrennte Daumen eines
Menschen! Wem gehört dieser Daumen? Ist der Besitzer tot, lebt er
noch, ein Unfall, ein Verbrechen? Draußen tobt der Sturm, die letzte
Fähre hat abgelegt. Das Wetteramt meldet, die nächsten Tage wird es
keinen Kontakt zum Festland geben. Anna erhält Blut-Geschenke. Nun
wird es ungemütlich. Die Sache muss persönlich sein. Das kleine
Helgoland hat weder einen kriminaltechnischen Dienst, noch gibt es
eine Rechtsmedizin, nicht mal einen Pathologen. Die örtlichen Ärzte sind
wenig hilfreich. Blutgruppe bestimmen, ja. Das ist fast alles, sie können
nicht mal sagen, ob es sich um menschliches Blut handelt oder um
Schweineblut. Der Sturm wird heftiger, es gibt Ausgangssperre für die
Insel.
Tim Erzberg blättert langsam Annas Vergangenheit auf, bis zum
Schluss hält er Einzelheiten zurück, hält den Leser an der Leine. Was ist
damals geschehen? Sehr schön beschreibt der Autor die Insel in ihrer
Kargheit und in ihrer Schönheit. Behagliches Leben im Sommer, raue
Natur im Winter, Salz auf der Haut, Sturm um die Nase, Gischt im
Nacken. Wunderbar beschriebene Naturszenen, keine Frage.
Eine spannende Geschichte nach Baukastensystem. Gut zu lesen, aber
für einen Top-Thriller muss für mich mehr kommen. Knaller am
Anfang, rauf und runter im Maß in der Mitte, persönliche Geschichte
aus der Vergangenheit der Hauptprotagonistin, Nebenplot,
Cliffhanger, tosendes Ende. Thriller vom Reißbrett. Der geübte
Thrillerleser weiß vor der Hälfte, wer der Bösewicht ist, nur noch nicht
warum. Das Buch wird bei mir nicht nachhallen. Warum? Mir fehlte eine
echte Geschichte. Diese ist schon hundertmal erzählt worden. Für mich
braucht ein gutes Buch ein Thema, damit es in meinem Gedächtnis
hängenbleibt. Die Figuren waren mir zu flach abgehandelt, ich konnte
mir nicht eine einzige vorstellen, mich in sie hineinversetzen, vielleicht
ein wenig in Anna. Aber selbst die Hauptprotagonistin kommt mir ein
wenig fleischlos herüber. Mir fehlt dem gesamten Buch die
Persönlichkeit. Kann man das so sagen?
Der Plot ist spannend. Wer zur Entspannung einen netten Thriller
lesen will, ist gut bedient mit diesem Buch.
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Foto © Ulrike Kemmling