Autorin
Sabine Ibing
Interview mit
Inge Löhnig
(von Sabine Ibing)
Inge Löhnig zähle ich zu den besten
Kriminalschriftstellerinnen in Deutschland. Sie wurde 1957 in
München geboren, studierte an der Akademie U5 in München
Grafik-Design. Ihre berufliche Karriere begann sie in
Werbeagenturen, als Art-Direktorin auf einem Mode-Etat,
zuletzt war sie freiberuflich als Grafik-Designerin tätig. Mit
dem Schreiben hat sie spät begonnen. Ihren ersten
Verlagsvertrag unterschrieb sie an ihrem 50. Geburtstag.
http://www.inge-loehnig.de/Inge_Loehnig/Home.html
Dein neues Buch aus der Dühnfort-Serie »Gedenke Mein« ist
erschienen. Und du hast etwas gewagt, hattest selbst Angst,
die Leser würden es dir übelnehmen: Die Hauptfigur hat
gewechselt. Erzähle uns davon.
I.L. Hallo Sabine!
Stimmt, ich habe meiner bisherigen Hauptfigur – dem
Kriminalhauptkommissar der Münchner Mordkommission
Konstantin Dühnfort – im aktuellen Roman nur eine
Nebenrolle gegeben und seiner ehemaligen Kollegin und
jetzigen Lebensgefährtin Gina Angelucci den roten Teppich
ausgerollt. Genau genommen, ist das also kein Roman aus
der Dühnfort-Reihe, eher Gina Angeluccis erster Fall.
Wie es dazu gekommen ist?
Wer die Dühnfort-Reihe kennt, weiß, dass ich Gina versetzen
musste, als aus ihr und Tino ein Paar wurde. Ich hatte ja
keine Ahnung, dass Paare bei der Kripo nicht im selben Team
arbeiten dürfen! Es war wirklich eine Überraschung, als mein
Berater der Münchner Mordkommission mir das erklärte und
ich Gina wohl oder übel versetzen musste. Damals habe ich
mich spontan entschieden, sie künftig ungeklärte Altfälle
bearbeiten zu lassen, die so genannten Cold Cases.
Seither war Gina in den Dühnfort-Romanen weniger präsent
und einige Leser haben mir das übelgenommen. Auch mir hat
es leidgetan, denn in dieser Figur steckt Potenzial und so
entstand die Idee, Gina zur Hauptfigur des neuen Romans zu
machen.
Gina ist längst nicht so korrekt, wie Tino und testet gerne die
Grenzen aus, die für Ermittler gelten. Sie ist spontan und
greift auch mal zu unorthodoxen Methoden. Zum Beispiel zu
einem GPS-Tracker ihres Kollegen Holger Morell, ein Self-
Tracker vor dem Herrn, der mit diesem Gerät eigentlich sein
teures Mountainbike vor Diebstahl schützen will. Doch man
kann es auch ganz anders einsetzen.
Aber ich schweife ab, die Frage war ja, die nach meiner
Angst.
Dühnfort hat eine regelrechte Fangemeinde. Seine Leser
warten auf neue Fälle und ich war mir nicht sicher, wie sie es
aufnehmen werden, wenn plötzlich nicht er die Hauptrolle
spielt. Jetzt ist das Buch knapp zwei Wochen auf dem Markt
und ich bin erleichtert, dass meine Sorge unbegründet war.
Eine Leserin schrieb in einer Rezension, sie habe das Buch im
selben Moment zugeschlagen als sie las, dass Gina und
Dühnfort für Flüchtlinge spenden. Und sie wird nie wieder ein
Buch von dir lesen. Das hat dich schockiert. Mich übrigens
nicht. Wir haben derzeit eine Hass-Kultur im Land, die kaum
zu überbieten ist. Du schreibst über wichtige Themen der
Gesellschaft. Hält dich ein solcher Kommentar davon ab,
diese Thematik weiterhin aufzugreifen, oder schreckt dich
das ab?
I.L. Schockiert hat mich diese „Rezension“ nicht. Eigentlich
war ich darauf vorbereitet, habe aber mit E-Mails und PNs
bei Facebook gerechnet.
Das Thema Flüchtlinge hat mich schon in den letzten Jahren
beschäftigt. Ich war schockiert, mit welcher Gleichgültigkeit
wir zusehen, wie Menschen auf der Flucht vor Krieg und
Terror im Mittelmeer ertrinken. Und in der ersten Fassung
von „Gedenke mein“ war diese Situation für Gina der Anlass
aufs Hochzeitsgeschenk des Schwiegervaters zu verzichten
und das Geld für Flüchtlinge zu spenden. Als der Roman Ende
Oktober / Anfang November fertig war, hatte sich die
Situation geändert und ich musste die entsprechenden
Szenen – es ist absolute Nebenhandlung – an die Ereignisse
anpassen. Es gab dann noch einen Lektoratsdurchgang
Ende November, als die Stimmung bereits zu kippen begann
und mir eine Sekunde die Vermutung durch den Kopf schoss,
dass ich mir mit dieser Spendengeschichte möglicherweise
ein paar Ohrfeigen einfangen werde. Sei’s drum. Deswegen
werde ich mich nicht verbiegen.
Dühnfort und Gina sind sehr lebendige Figuren. Erzähle uns
etwas über ihre Charaktere.
I.L. Konstantin Dühnfort ist eigentlich Hamburger und sollte,
dem Wunsch seines Vaters entsprechend in dessen
Fußstapfen treten und Strafverteidiger werden. Doch
während der ersten Semester Jura hat er erkannt, dass er
die Täter nicht verteidigen will. Er will sie finden und
überführen. Deshalb hat er die Seiten gewechselt und ist zur
Kripo gegangen. Das hat natürlich erst einmal zu Streit mit
seinem Vater geführt.
Er hat eine großbürgerliche Erziehung genossen und daher
gute Umgangsformen. Er ist ein empathischer Mensch und
begnadeter Grübler mit einem Hang zur Melancholie. Er
interessiert sich für Kunst – seine Mutter ist eine erfolgreiche
Malerin – und ist immer korrekt. Das Besondere an Dühnfort
ist, dass er nicht besonders ist. Er ist ein ganz normaler
Mann aus der Mittelschicht. Sozusagen ein Gegenentwurf zu
all den Schimanskis, die sich in vielen Krimis tummeln.
Er liebt Espresso und schwarze Schokolade und kocht gerne,
vorausgesetzt es geht schnell. Fast Food a la Dühnfort,
sozusagen.
Gina ist völlig anders. Vielleicht passen die beiden deshalb so
gut zusammen. Sie hat niederbayrisch-italienisches Blut in
den Adern. Eine besondere Mischung, die für ein
entsprechendes Temperament sorgt. Gina ist lebensfroh
und spontan, kann aber auch hartnäckig und zielgerichtet
sein, beinahe stur. Manchmal ist sie auch sehr emotional und
aufbrausend. Vor allem aber hat sie ein großes Herz. Und sie
legt die Grenzen, die Ermittlern aus gutem Grund gesetzt
sind, gerne weit aus und überschreitet sie manchmal auch.
Während Dühnfort das nie tun würde. Wobei? In „Gedenke
mein“ springt er tatsächlich einmal über seinen Schatten.
Der gemeinsame Traum der beiden: Sie wollen eine Familie
gründen. Die Freude ist daher groß, als Gina mit knapp
achtunddreißig endlich schwanger wird.
Wie entwickelst du die Charaktere deiner Nebenfiguren?
Stehen sie vorher auf dem Reißbrett fest oder entwickeln sie
ihre Eigenschaften?
I.L. Die Nebenfiguren werden meist von allein während des
Schreibens lebendig. Bis dahin kenne ich nur ihre Geschichte
und ihre grundlegenden Eigenschaften.
Dühnfort ist nun Vater geworden. Wie alt ist dieser Mann
eigentlich. Das habe ich mich immer gefragt.
I.L. Vater ist er noch nicht. Gina ist schwanger. Bis zur
Entbindung dauert es noch ein paar Monate. Die Frage nach
seinem Alter ist gut! Eigentlich kann ich sie nicht genau
beantworten. Im ersten Band ist er Anfang vierzig.
Inzwischen sind ein paar Jahre ins Land gegangen und er
dürfte jetzt Mitte vierzig sein.
Du berichtest in den sozialen Medien von Dühnfort so, als sei
er eine reale Person. Wie wäre es, eine Liaison mit Dühnfort
zu haben?
I.L. Die haben wir doch. ;-) Er kann ohne mich nicht leben.
Du bist Grafik-Designerin. Dühnfort liebt die bildenden
Künste. Hast du ihm an dieser Stelle deine Seele eingehaucht?
I.L. Vermutlich ist das so. Jedenfalls schätzt er dieselben
Künstler wie ich. Und dann auch noch Gedichte.
Dühnfort hat in deinen Romanen ein Privatleben. Er ist nicht
dieser Typ, der 24 Stunden lang hinter der Lösung eines Falls
her ist, nie schläft, keine Beziehungen pflegt. Das gefällt mir
an der Serie. Er wird dadurch real und menschlich. Warum
gibt es bei dir nicht den egozentrischen, ballernden
Außenseiter, der von Alleingängen lebt?
I.L. Weil ich diesen ballernden Außenseiter für unrealistisch
halte. Ich will Geschichten nah an der Realität erzählen. Ich
möchte in meinen Lesern das Gefühl entstehen lassen, dass
alles, was ich schreibe, genauso jederzeit in ihrer
Nachbarschaft passieren könnte.
Ich
habe
gerade
ein
Hörbuch
aufliegen,
auch
ein
interessantes
Experiment:
»Verschwörung«
von
David
Lagercrantz.
Dieser
Schriftsteller
schreibt
die
»Millenium-Trilogie«
von
Stieg
Larsson
weiter,
der
2004
verstorben
ist.
Was
hältst
du
von
solchen
Experimenten?
Kann
man
die
Serie
eines
anderen
Schriftstellers
weiterschreiben, in dessen Stil und welchen Sinn hat das?
I.L.
Das
ist
sicher
eine
große
Herausforderung
für
jeden
Autor
und
jede
Autorin.
Die
Gründe
dafür
liegen
eigentlich
auf
der
Hand.
Stieg
Larsson
hat
mit
seiner
Millenium-Trilogie
den
Nerv
seiner
Leser
getroffen.
Deshalb
war
sie
so
erfolgreich
und
begeisterte
Leser
hoffen
immer
auf
eine
Fortsetzung.
Mit
David
Lagercrantz
hat
der
Verlag
einen
Autor
gefunden,
dem
es
offenbar
gelungen
ist,
in
Larssons
Stil
die
Geschichte
um
Lisbeth
Salander
und
Mikael
Blomkvist
weiter
zu
entwickeln.
Die
Leser
freuen sich, der Verlag freut sich und alle sind zufrieden.
Auf
Lokales
legst
du
keinen
Wert,
deine
Bücher
spielen
alle
in
München.
Für
dich
gibt
es
jedoch
immer
ein
gesellschaftlich
tragendes
Thema.
Die
psychologische
Ausrichtung
deiner
Romane
ist
mit
viel
Feingefühl
ausgelotet.
Recherchierst
du
dazu oder besitzt du psychologisches Fachwissen?
I.L.
Fachwissen
besitze
ich
nicht.
Aber
dafür
viel
Einfühlungsvermögen
und
mit
neunundfünfzig
Jahren
auch
ein
wenig
Lebenserfahrung
;-).
Auf
der
FOS
hatte
ich
zwar
die
Fachrichtung
Sozialwesen
gewählt
und
daher
Psychologieunterricht, aber das ist lange her.
Ich
recherchiere
gerne
und
hole
mir
Rat
bei
Experten.
Das
gilt
nicht
nur
für
die
Figurenpsychologie,
wenn
es
notwendig
ist,
sondern
für
alle
Bereiche.
Bei
der
Pressestelle
der
Münchner
Polizei
bin
ich
inzwischen
bestens
bekannt.
Dort
erhalten
nicht
nur Journalisten, sondern auch Autoren Auskunft.
Warum
Krimis,
Thriller
und
nicht
Liebesromane
oder
Fantasy?
Was fasziniert dich an dem Genre?
I.L.
Beim
Krimi
kann
man
die
Figuren
an
ihre
Grenzen
treiben
und darüber hinaus. Das bereitet mir großes Vergnügen.
Gibt
es
Neues
von
dir
in
der
Pipeline?
Gina,
Dühnfort,
Jugendliteratur?
I.L.
Der
Vertrag
für
Dühnforts
achten
Fall
ist
unterschrieben.
Ab
April
werde
ich
daran
arbeiten.
Der
Roman,
den
ich
gerade
schreibe,
ist
noch
top-secret.
Nur
so
viel:
Ein
echtes
Herzensprojekt.
Kein
Krimi
oder
Thriller.
Aber
trotzdem
spannend. Die Jugendliteratur muss derzeit warten.
Du
hast
deinen
Beruf
als
Grafikerin
zugunsten
der
Schriftstellerei aufgegeben. Warum?
I.L.
Es
ging
einfach
nicht
mehr.
Mein
Beruf
als
selbständige
Grafikdesignerin
hat
mich
voll
beansprucht
und
„nebenbei“
habe
ich
jedes
Jahr
einen
Roman
verfasst,
seit
Dühnforts
erster
Fall
so
erfolgreich
war.
„Nebenbei“
bedeutete,
dass
ich
in
jeder
freien
Minute
geschrieben
habe.
Bei
aller
Leidenschaft
dafür,
musste
ich
mich
irgendwann
entscheiden.
Und
ich
habe
mich
fürs Schreiben entschieden.
Mit
dem
neuen
Buch
gehst
du
sicher
auf
Lesetour.
Wo
kann
man sich informieren?
I.L.
Die Termine sind auf meiner Webseite zu finden.
Ich
danke
dir
für
die
Beantwortung
meiner
Fragen
und
freue
mich auf neue Bücher von dir.
I.L.
Danke, ebenfalls.
Rezension zu Inge Löhnig
Der Sünde Sold von Inge Löhnig
Nun ruhet sanft von Inge Löhnig
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